Hans-Dieter Roser
Programmheft Operettenfestspiele Langenlois im Schloss Hainfeld
1 June, 2009
Am 10. Jänner 1891 wurde Carl Zellers Operette Der Vogelhändler am Theater an der Wien uraufgeführt. Die Zeitungen vermelden, dass das Publikum – durch Schneetreiben und Kälte zur Eile angetrieben – dem Theater zustrebte und glücklich war über den vorhersehbaren längeren Aufenthalt im Warmen. Der Berichterstatter vermeldet aber auch, dass dieser klimatische Vorzug nicht die Ursache des großen Erfolges war, den das zur Uraufführung anstehende Werk errang, sondern die besondere Qualität der neuen Operette. Zahlreiche Hervorrufe der mitwirkenden Künstler am Ende, unter ihnen der Publikumsmagnet Alexander Girardi als Tiroler Adam mit kessem Oberlippenbärtchen, dokumentierten den Erfolg.
Carl Zeller hatte damit seinen ersten durchschlagenden Erfolg als Operettenkomponist errungen. 1842 als einziges Kind des Wund- und Geburtsarztes Johann Zeller und seiner Frau in St. Peter in der Au im Mostviertel geboren, verliert er schon bald seinen Vater, übersiedelt mit seiner Mutter zur Großmutter nach Biberach und kommt schließlich, nach einer neuerlichen Heirat der Mutter, nach Strengberg. Da die Schule in Strengberg nicht den Ansprüchen der Mutter und des Stiefvaters genügt, übersiedelt man wieder nach St. Peter, wo der alte Schulmeister Josef Brandstetter bald das musikalische Talent des Kindes entdeckt: Es spielt schon mit sieben Jahren die Orgel der Kirche und erlernt daneben noch verschiedene Instrumente, außerdem singt es mit einem so ebenmäßigen Knabensopran, dass es 1853 als Hofsängerknabe nach Wien übersiedelt und dort noch von dem berühmten Lehrer Simon Sechter ausgebildet wird, der noch Franz Schubert im Kontrapunkt unterwiesen hat. Carl Zeller besucht das Gymnasium und ist vor dem Stimmbruch in einem Konvikt untergebracht, in dem die dort wohnhaften Studenten ein Orchester gebildet haben, das täglich zu Proben zusammentritt und das auch die ersten Kompositionen der jungen Hofsängerknaben, so auch Carls, aufführt. Nach dem Stimmbruch hilft ein Stipendium, die Studien fortzusetzen, zuletzt in Melk, wo er 1861 maturiert und im Anschluss daran ein Studium der Rechtswissenschaften in Wien absolviert. 1869 wird er zum Doktor der Rechte promoviert, heiratet 1875 eine Wiener Schneidermeisterstochter, die ihm bald zwei Söhne schenkt.
Nach einer ersten beruflichen Tätigkeit an verschiedenen Gerichten tritt Carl Zeller 1873 in den Staatsdienst im Unterrichtsministerium ein und durchläuft dort eine geordnete Beamtenkarriere bis zum Ministerialrat, bis er schließlich die Leitung des Kunstreferats übernimmt. Ein Sturz bei Glatteis auf dem Weg zum Parlament vom Kärntnerring aus, wo man wohnte, verursacht eine Rückenmarksverletzung, die Carl Zeller schließlich lähmt, in einen Rollstuhl zwingt und zu bedauerlichem Siechtum führt. Sie zwingt ihn auch, seinen Beruf im Ministerium aufzugeben, da auch mentale Probleme zu ihrem Krankheitsbild gehören. Die Familie übersiedelt nach Baden bei Wien, wo Carl Zeller am 17. August 1898 stirbt. Nach Berichten seines ältesten Sohnes soll er bis zuletzt eine Partitur Franz Schuberts studiert haben.
Die Liebe zur Musik verließ Carl Zeller sein ganzes Leben nicht, obwohl ihn ein ausgeprägtes Sicherheitsdenken davon abgehalten hat, ein Leben als Musiker zu wagen. Seine Tätigkeit als Komponist fand in der Freizeit statt, war – wenn man so will – „Liebhaberei“. Zunächst machte er mit kleineren Werken auf sich aufmerksam, dann verfasste er „Liederspiele“, wie man den losen Zusammenhalt einzelner Musikstücke unter einem bestimmten Motto damals nannte. Den echten Einstieg ins Musiktheater konnte er sich aber nur auf höchster Ebene vorstellen: Er schrieb zwei Opern (Joconde 1876 und Die Fornarina 1879). Schon Franz von Suppé, der erste Protagonist der „goldenen Wiener Operette“, wie wir heute diesen Zeitraum von 1860 – 1900 nennen, dachte immer wieder, dass er in erster Linie nach einem Opernerfolg streben müsse, der ihm aber zeitlebens versagt blieb. Bei Carl Zeller, dem letzten großen Meister dieser „goldenen“ Aera, war es nicht anders. Erst mit seiner Hinwendung zur Operette stellte sich der größere Erfolg ein. Auch den zeitlich zwischen Suppé und Zeller wirkenden beiden anderen großen Komponisten der „goldenen“ Zeit, Johann Strauß Sohn und Carl Millöcker, blieb dieses Schicksal nicht erspart. Sie fingen zwar mit Operetten auf dem Theater an. Aber die Oper zog auch sie magisch an und brachte ihnen mit Ritter Pásmán (Strauß) und Die sieben Schwaben (Millöcker) wenig Glück. Es reichte nur zu Achtungserfolgen.
Nicht nur die unglückliche Liebe zur Oper verbindet die vier Komponisten der „goldenen“ Operette. Sie waren alle in besonderem Maße Niederösterreich verbunden, obwohl nur einer von ihnen – eben Zeller – gebürtiger Niederösterreicher war: Suppé hatte sich Gars am Kamp als Sommerwohnsitz gewählt, Millöcker verbrachte seine späten Jahre wie Zeller in Baden bei Wien und Johann Strauß Sohn hatte sich in der Südbahngegend, in Schönau an der Triesting bei Leobersdorf, einen Landsitz gewählt. Man könnte also überspitzt formulieren: War Bad Ischl der Sommersitz der „silbernen“ Operette, so war es Niederösterreich für die „goldene“.
Die ersten Operetten, mit denen Carl Zeller an die Öffentlichkeit trat, beide im heute abgerissenen Carltheater auf der Praterstraße uraufgeführt, waren Die Carbonari (1880) und Der Vagabund 1886. Sie spielten im neapolitanischen bzw. tscherkessischen Milieu und benutzten damit ein Stilmittel der „goldenen“ Operette, das Erotik im Exotischen suchte, nachdem die primären erotischen Anreize des Genres, wie entblößte Damenbeine, dem Publikum allmählich langweilig geworden waren. Die dritte Operette aber, eben Der Vogelhändler 1891, brachte dann den überragenden Erfolg, der dem Werk bis heute treu geblieben ist, wo wir es noch immer zu den Top-Tens der Operettengeschichte zählen. Da war auf der Operettenbühne wieder etwas Neues zu bestaunen, da erhielt das Publikum einen neuen Kick, zumal auch die großen Erfolge der Altmeister schon längere Zeit zurücklagen, Der Zigeunerbaron von Johann Strauß Sohn sechs Jahre, Millöckers Gasparone sieben – und Altmeister Suppés Donna Juanita noch viel weiter.
Das Publikum reagierte sensibel auf eine neue Gefühligkeit, die Zeller der Operette gewann. Er verabschiedete sich vom Exotikrausch seiner Kollegen, schielte nicht nach Ungarn, sondern gewann eine neue Qualität aus dem Ländlichen, Urwüchsigen, das bisher nur als komisches Beiwerk auf der Operettenbühne zu finden war oder als Spaßfaktor einer sich der Großstadt verpflichtet fühlenden Kunstgattung diente. Zeller entdeckte für die Operette die Innigkeit und verquickte sie mit der Lebensfreude, die dem Genre seit seiner Geburtsstunde anhaftete. Man kann es auch anders artikulieren: Zeller führte das Genre wieder auf zwei seiner initialen Momente zurück, auf die Frivolität Offenbachs und die herzliche Frische des Wiener Volksstücks.
So ist der Vogelhändler als Schlusspunkt einer Operettenära zu sehen, bevor Innigkeit in Sentimentalität umschlägt, was sich bereits in den noch folgenden Operetten Carl Zeller zu zeigen beginnt, im Obersteiger 1894 und in dem von fremder Hand vollendeten Kellermeister 1901, in denen aus dem Volksstück nur mehr Biederkeit destilliert wurde und in denen das Volkslied schon zum Schlager mutierte.