Hans-Dieter Roser
Programmheft Bühne Baden – Stadttheater Baden bei Wien
1 September, 2010
Léon Jessels Operette Schwarzwaldmädel wurde am 25. August 1917 in der Komischen Oper Berlin uraufgeführt. Das war natürlich nicht die Komische Oper in der Behrenstraße, wie wir sie heute kennen, sondern ein jetzt nicht mehr existierendes Theater an der Weidendammer Brücke, Ecke Friedrichstraße / Spreeufer, damals schräg vis-à-vis des Schauspielhauses gelegen, in dem sich ein paar Jahre später die Uraufführung des Weißen Rössl ereignen sollte. Schwarzwaldmädel mag da in einem gewissen Sinne ein thematischer Vorläufer gewesen sein.
Direktor Gustav Charlé (1871-1933) hatte das Haus an der Weidendammer Brücke schon 1912 in einem etwas heruntergekommenen Zustand übernommen, schloss es aber wieder und eröffnete es nach einer gründlichen Renovierung 1915. Als Dramaturgen und künstlerischen Berater hatte er sich für diesen Neubeginn einen Wiener engagiert, den Schauspieler und Schriftsteller August Neidhart (1867-1934), der in Wien als Autor nicht hatte reussieren können und unter anderem auch Souffleur am Burgtheater war. Bereits in Wien war Neidhart mit einem Operettenbuch bei Komponisten und Theaterdirektoren hausieren gegangen, das er nach einem Stoff verfasst hatte, dem er offensichtlich am Burgtheater begegnet war. Da war 1847 ein Stück Dorf und Stadt von Charlotte Birch-Pfeiffer uraufgeführt worden, das es dort bis 1901 auf 114 Vorstellungen brachte und über viele deutsche Bühnen ging. Die Wiener Operettenproduzenten konnten sich aber mit Neidharts Geschichte des von später Liebe getroffenen reifen Domkapellmeisters Römer nicht befreunden, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass der Johannestrieb eines alternden Organisten eine passende Operettenhandlung abgeben könne.
Charlé, der selbst Schauspieler war, auch nicht mehr gerade jung, witterte sofort die Chance einer guten Rolle für sich und trat dem Entwurf seines neuen Dramaturgen näher. Außerdem versprach er sich von dem gemütvollen Sujet einen ebensolchen Erfolg, wie ihn eine Berliner Konkurrenzbühne mit dem gefühlsträchtigen Dreimäderlhaus feierte. Und er sollte Recht behalten: Das kriegsgepeinigte Publikum gab sich willig der Idylle hin und bereitete dem Schwarzwaldmädel einen solchen Erfolg, dass man am 30. Dezember 1918 bereits die 500. Aufführung feiern und der Verleger im März 1925 stolz verkünden konnte, dass 2263 (!) Bühnen das Stück zur Aufführung angenommen hätten, wie Jessels Biograph Albrecht Dümling schreibt. Offensichtlich war in diesen wirtschaftlich schwierigen, entbehrungsreichen Jahren der Schwarzwald nicht nur ein Synonym für Seele, sondern auch für Fleisch und Butter.
In die Operettenmetropole Wien kam das Schwarzwaldmädel vergleichsweise spät – und dann nicht auf eine der traditionellen großen Operettenbühnen. Am 1. Mai 1919 – hob sich auf einer heute nicht mehr existierenden Sommerbühne im Prater, dem Metropol-Theater auf dem Gelände des ehemaligen Kaisergartens in der Ausstellungsstraße, zum ersten Mal der Vorhang über Jessels Stück. Charlé hatte gemeinsam mit dem Wiener Schauspieler Gustav Müller dieses Metropol-Theater gepachtet und seine Berliner Produktion mit ihm als Hauptdarsteller übertragen. Als er wieder nach Berlin zurückkehrte, trat für ihn der Burgschauspieler Carl Zeska als Blasius Römer auf. Immerhin spielte man die Operette, die freundlich rezensiert worden war, trotz Unterbrechung durch die Winterpause auch noch in der Pratersaison 1920, wo am 7. Mai die 200. Vorstellung stattfand. Das Stück brachte es in Wien schlussendlich auf beachtliche 220 Vorstellungen.
Zurück zu Charlotte Birch-Pfeiffer (1800-1868), der betriebsamen Autorin, Schauspielerin und Theaterdirektorin (u.a. des Stadttheaters Zürich, das sie sechs Jahre erfolgreich leitete): Auch Sie war nicht die Erfinderin des Stoffes vom Schwarzwaldmädel. Sie hatte die Handlung einer Novelle der Schwarzwälder Dorfgeschichten Berthold Auerbachs (1812-1882) entnommen, der er den Titel „Die Frau Professor“ gegeben hatte. Auerbach erlebte mit diesen Geschichten seinen literarischen Durchbruch und wurde zum Wegbereiter eines poetischen Realismus. Neben Gustav Freytag war er der meistgelesene Autor in Deutschland zu dieser Zeit.
Der Stoff hatte es nicht nur der Birch-Pfeiffer und später Neidhart angetan, sondern auch anderen. So entstand daraus sogar eine Oper Lorle auf ein Libretto von Hans Heinrich Schefsky mit der Musik von Alban Förster (1849-1916), Hofkapellmeister in Neustrelitz, die 1891 an der Dresdner Semperoper zur Uraufführung kam.
Bis Neidhart hatte der Stoff aber seinen pädagogischen Ansatz und moralischen Aspekt vom Vorteil des einfachen Lebens auf dem Land gegenüber dem gefährlichen Leben in der Stadt eingebüßt. Dominierend wurde das Thema des entsagenden alten Mannes, das den Stoff schließlich auch vor und nach dem Zweiten Weltkrieg filmtauglich machte.