“Der Zarewitsch und der Tänzer”: How Gay Is Lehár’s Operetta?

Robert Lehmeier
Staatsoperette Dresden
13 October, 2014

„Warum mag er die Frauen nicht?“ Diese Frage stellen sich nicht nur die Damen der Aristokratie, die in der Theaterpause verbotenerweise in das „Allerheiligste“ des Zarewitschs eindringen – den Raum, in dem der Thronfolger lieber „turnt, statt zu küssen“.Und auch im benachbarten Schlafzimmer lässt sich leider gar kein Hinweis finden, der Klarheit bringen würde. Oder bestätigen sich nur Gerüchte? Es geht immerhin um die Zukunft Russlands: Der Zar ist altersschwach, und sein Sohn hat offenbar gar keine Idee davon, sich seinen ehelichen Pflichten der bereits auserwählten Braut gegenüber zu stellen. Oder, um es mit den Worten des Ministerpräsidenten auszudrücken: es könnten sich „Konflikte und Kollisionen ergeben“, die bei einem „Durchschnittsmenschen“, niemals aber auf dem Thron möglich sind!

Astrid Kessler as Sonja in the Dresden production of "Zarewitsch". With Vladimir Putin giving her a critical eye. (Photo: Kai-Uwe Schulte-Bunert/Staatsoperette Dresden)

Astrid Kessler as Sonja in the Dresden production of “Zarewitsch”. With Vladimir Putin giving her a critical eye. (Photo: Kai-Uwe Schulte-Bunert/Staatsoperette Dresden)

Die vom Ministerpräsidenten eingefädelte Intrige, dem Zarewitsch eine als Tscherkessen-Tänzer verkleidete Frau zu amourösen Trainingszwecken unterzujubeln, hat leider einen Haken: was, wenn die Verkleidung fällt und der Mann gar kein Mann, sondern eine Frau ist? Der Zarewitsch, durch die permanenten Übergriffe seiner Umgebung ohnehin wund, reagiert entsprechend heftig auf die größtmögliche Verletzung seiner Privatsphäre.

Die Tänzerin Sonja rettet sich in einen Deal: wir werden zum Schein ein Liebespaar, und du kannst treiben und lassen, was du willst – ich decke Dich!

„Dann habt Ihr vor den Euren Ruh‘, die Meinen schmunzeln auch dazu.“

So richtig spontan kommt dieses Arrangement seitens Sonjas nicht – offensichtlich war ihr selbst nicht ganz wohl als „Spielball“ der Intrige.

Astrid Kessler in "Der Zarewitsch" in Dresden. (Photo: Kai-Uwe Schulte-Bunert/Staatsoperette Dresden)

Astrid Kessler in “Der Zarewitsch” in Dresden. (Photo: Kai-Uwe Schulte-Bunert/Staatsoperette Dresden)

Lehár und seine Librettisten lassen im ersten Akt die beiden großen Sehnsuchts-Nummern – „Einer wird kommen“ und „Es steht ein Soldat am Wolgastrand“ – direkt aufeinander folgen. Sonjas Prinzessinnen-Traum: die Tänzerin und der Zarewitsch. Gefolgt von: Der Zarewitsch und der einsame Soldat. Zwei Träume. Wesens-Ähnlichkeiten und Anknüpfungspunkte zwischen beiden Protagonisten.

Der erste Akt endet musikalisch, wie er begonnen hat, inhaltlich aber mit einem neuen Akzent: das Wolga-Thema, in der Introduktion Ausdruck tiefster Einsamkeit, birgt am Aktende eine Utopie – die Möglichkeit der Liebe für den Zarewitsch. Der Zarewitsch „dreht den Spieß um“ und spielt mit der Hofgesellschaft, die ihrerseits die Maske nicht fallen lässt: die Machtverhältnisse im Spiel des Belauerns und Verheimlichens verschieben sich dennoch. Unter Sonjas Schutz fängt Aljoschas Seele an zu fliegen. Sonja wird die Vertraute.

Der Zarewitsch und der Tänzer: Unausgesprochenes wird ausgesprochen real.

Und Sonja? Spielt weiter ihre Rolle. Gibt vor den Kolleginnen an. Hat die Zuneigung des Zarewitschs. Seine „Liebe“? Aljoscha, der „Traumprinz“? Sonja arrangiert sich, lässt ihre Geschichte vertanzen. Und rettet den Zarewitsch ein weiteres Mal vor der Hofgesellschaft: Der Zarewitsch und die Tänzerin. Ermöglicht die Flucht nach Neapel, in den libertären „Süden“, Sehnsuchtsort und Erfüllung privaten Glücks. „Kosende Wellen“: So einfach könnte alles sein. Ein Nachmittag am Meer. Jeder nach seiner Façon. Leben und leben lassen.

Astrid Kessler aas Sonja and Richard Samek as the Zarewitsch, in the new Dresden production by Robert Lehmeier. (Photo: Kai.Uwe Schulte-Bunert/Staatsoperette)

Astrid Kessler aas Sonja and Richard Samek as the Zarewitsch, in the new Dresden production by Robert Lehmeier. (Photo: Kai.Uwe Schulte-Bunert/Staatsoperette)

Aber das große Russland wirft seine Schatten. Der Zar liegt im Sterben. Was sich ganz und gar „unrussisch“ entwickelt hat, muss heim geholt werden in das große Russland, passend gemacht werden. Kaum auszudenken, der Zar hätte einen schwulen Sohn, der sein Erbe anzutreten hätte. In einem „heiligen Russland“, auf das der Zar sein Volk mit tatkräftiger Hilfe der russisch-orthodoxen Kirche einschwört, die in gleichgeschlechtlichen Verbindungen ein „apokalyptisches Symptom“ sieht. In einem Russland, in dem jegliche öffentliche Bekundung von Homosexualität mit dem scheinheiligen Argument des Schutzes der Jugend kriminalisiert wird.

Operette und Wirklichkeit. Der Zarewitsch – ein Rührstück. Der romantische Konflikt: privates Glück wird der Staatsräson geopfert. Die Ideologie gewinnt. Operette tragisch gewendet. „Warum hat jeder Frühling, ach! Nur einen Mai“.

 

There are 2 comments

  1. geerd heinsen

    wunderfull! so well written. how true: “In einem „heiligen Russland“, auf das der Zar sein Volk mit tatkräftiger Hilfe der russisch-orthodoxen Kirche einschwört, die in gleichgeschlechtlichen Verbindungen ein „apokalyptisches Symptom“ sieht. In einem Russland, in dem jegliche öffentliche Bekundung von Homosexualität mit dem scheinheiligen Argument des Schutzes der Jugend kriminalisiert wird.”One could not say it better!!!

  2. Kurt Gänzl

    Well, I can’t read it all (my German is mediocre), but this is not just a TULIPATAN fun case of reverse sexism. This is the real thing. With a face-saver. Like VIKTOR-VIKTORIA. Komische Oper, if you wish to homosexualise Operette, start with THIS one!

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