“Kätz”-Premiere in der Neuköllner Oper

Boris Kehrmann
Der Tagesspiegel
19 October, 1998

Von den 102 Bühnenwerken, die Jacques Offenbach in seiner dreißigjährigen Komponistenkarriere geschaffen hat, sind einem, wenns hoch kommt, eine Handvoll bekannt. Aber immer, wenn man den abertausend Figuren seiner von Wirtschaftsboom und Börsenkrach durchschütterten Gründerzeitwelt begegnet, wiederholt sich das Wunder der Offenbachschen Melodie, die allen menschlichen und sozialen Problemen nicht die Schärfe, wohl aber die Schwere nimmt. Nur wenige haben wie er eine ganze Gesellschaft in hunderten von Individuen auf die Bühne geworfen, die mit solch unvergleichlichem Charme über die Abgründe des Lebens dahintänzeln.

Aber des Komponisten Leichtigkeit ist der Theaterleute Not. Offenbach-Aufführungen im In- und Ausland leiden meist unter ihrer Schwerfälligkeit. So auch Bernd Mottls Inszenierung des kleinen Vaudevilles “La chatte métamorphosée en Femme” für die Neuköllner Oper. Der Riß, der durch Folker Ansorges Bühnenbild geht, bezeichnet ziemlich genau das Verhältnis der Nerufassung unter dem Titel “Kätz” von Jürgen Maier zu ihrer spritzigen Vorlage. Und auch die Schräglage, in die die modisch-blau gestylte New-Age-Wohnung des Frust-Paars Guido und Marianne geraten ist, könnte als unfreiwilliger Selbstkommentar nicht der Konzeption, wohl aber der zu simpel gestrickten szenischen Umsetzung gelten. Kim Schrader vermag den Katzenwahn des esoterisch angehauchten Möchtegern-Webbers keine Minute lang glaubhaft zu machen, während Carola Reichenbach seine Freundin so teutonisch verbiestert auf gouvernantenhafte Schreckschraube festnagelt, daß man die erotische Sendepause (und Schreibhemmung) in der Beziehungskiste nur allzu gut, das happy-endliche Überspringen des Funkens dagegen gar nicht versteht. In vollem Umfang über die Waffen einer Frau, und träte sie auch im Katzenkostüm an, die Männer auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, verfügt Christiane Mikoleit. Dazu über natürliche Spiellaune, kessen Mutterwitz und einen ansprechenden Soubrettensopran, eine typische Offenbach-Figur – der Glücksfall des Abends. Klaus Brantzen streicht im siebenköpfigen Kaffeehaus-Orchester nicht nur tapfer das Cello, sondern müht sich als Schmalspur-Guru auch redlich, ein wenig Witz aus seinen zeitgeistkritischen Texten zu schlagen. Tröstlicherweise fällt ihm einer der beiden Ohrwürmer des Abends zu. Die musikalische Einrichtung stammt vom Dirigenten Winfried Radeke, der in der elegant-geführten Violine Philippe Perottos und der dezent parodierenden Klarinette Jochen Settilis über zwei exquisit beredte Orchesterfarben verfügt. Weniger pseudorealistische Verkrampfung und ein entschiedeneres Einschwenken auf die Linie jener comichaften Agilität, die die repetitiven Figuren der Ensembleschlüsse so überzeugend in groteske Körpermechanik übersetzt, hätten dagegen der Inszenierung gut getan.

 

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