Kevin Clarke
www.klassik.com
28 March, 2014
Für alle, die unlängst das ZDF-Magazin aspekte gesehen haben: Es gibt neben der dort zelebrierten Berliner Jazz- und Revueoperette der Roaring Twenties – mit der die Komische Oper derzeit Sensationserfolge feiert – auch eine andere Form der Berliner Operette. Die harmlos-heiteren Possen mit Musik, Schwänke, Volksstücke und Singspiele, die besonders vorm Ersten Weltkrieg in Gartenlokalen und Sommertheatern der Hauptstadt populär waren und in der Provinz nachgespielt wurden.
Ein Meister dieser Frühform der Berliner Operette war Walter Kollo (1878-1940), der bekannt wurde mit Claire-Waldoff-Couplets und dem Schlager “Immer an der Wand lang”. Kurz darauf gelang ihm 1913 der große Wurf mit der Posse mit Musik in vier Bildern Wie einst im Mai, für die Rudolf Bernauer und Rudolph Schanzer den Text schrieben. Die Hits “Es war in Schöneberg (im Monat Mai)” und “Die Männer sind alle Verbrecher” erfreuen sich bis heute Tag einiger Beliebtheit. Die Operette selbst, die die Geschichte zweier Berliner Familien zwischen 1838 bis 1913 erzählt, wird immer wieder neu ausgegraben, aufgehübscht und aufgepeppt. Nostalgie ist halt immer wieder Trumpf.
Die fatalste “Aufhübschung” des Werks nahm Kollos Sohn Willy im Mai 1943 vor, als er den Berlin-Klassiker für die Nazis auf Vordermann brachte und zu einer beliebigen Nummernrevue umfunktionierte, die ganz zum belanglosen, eskapistischen, verharmlosenden Operettenideal jener Jahre passte. Aus einer einstmals klar erzählten Geschichte zwischen der adligen Ottilie von Henkeshoven und dem Mechaniker Fritz Jüterbog, der nach Amerika auswandert, um dort seine Millionen zu verdienen und der dann zurückkehrt, um Ottilie standesgemäß trauen zu können (was misslingt), wird eine beliebige Abfolge von Schlagern und noch mehr Schlagern. Und noch mehr Schlagern. Einige stammen von Walter Kollo selbst, andere hat Willy dazu komponiert. Diese Kraft-durch-Freude-Version der Operette, die im Theater des Volkes uraufgeführt wurde, also dem ehemaligen Großen Schauspielhaus vom exilierten Erik Charell, ist jene, die vom Verlag Bloch Erben derzeit als “Fassung” angeboten wird, während die Ur-Version von 1913 in der Schublade schlummert und nicht rausgerückt wird (weil dafür keine Tantiemen mehr gezahlt werden müssen). Eine Aufführung der Ur-Fassung war letztes Jahr in Rüdersdorf allerdings nicht nur an den Tantiemen gescheitert, sondern daran, dass die Kollo-Erben kein neues schwules Happy End in der Gegenwart erlauben wollten. Obwohl bereits Willy Kollo das letzte Bild aus einem Modesalon 1913 in ein Filmstudio 1943 verlegt hatte, wo sich die Enkelkinder der unglücklich Liebenden Ottilie und Fritz finden und alte gesellschaftliche Standesdünkel endlich über Bord werfen. In Rüdersdorf sollten diese Enkel zwei Männer sein, die sich endlich kriegen. Es sollte nicht sein!
Blasorchesters Cottbus e.V.
Nun hat das Staatstheater Cottbus Wie einst im Mai als Frühlingspremiere auf den Spielplan gesetzt (Foto oben: Marlies Kross/Theaterfotografin). Mehr noch: Das Stück wird nicht im Großen Haus gespielt, sondern in der Theaterscheune Ströbitz. Ein entzückendes kleines, historisches Lokal am Rande der Stadt, das durchaus an die Sommertheater und Gartenbühnen im alten Berlin erinnert, in denen viele solcher Possen ursprünglich gespielt wurden. Man sitzt in Ströbitz an Tischen, umringt von künstlichen grünen Bäumen und schaut auf eine kleine Bühne, auf der ein Miniorchester platziert ist. Im Foyer spielt ein Leierkastenmann, ab und an hört man vorab auch schon Klänge des Blasorchesters Cottbus e.V.
Es hätte im Rahmen dieser sympathischen Räumlichkeit eine intime, schöne, spannende Aufführung des Werks werden können. Auch weil auf dem Besetzungszettel die wunderbare Gesine Forberger steht (die letztes Jahr in Cottbus eine sensationelle Madame Pompadour war), zusammen mit Heiko Walter (auch bei der ‘Pompadour’ dabei als Joseph Calicot) und Buffo Hardy Bachmann.
Dass die Produktion für mich sehr wenig Charme entwickelte, hatte viele Gründe. Der Hauptgrund ist, dass sich Regisseur Matthias Winter in dem kleinen Raum mit seinen beschränkten Mitteln nicht darauf konzentriert, klipp und klar die Familiengeschichte der Henkeshovens/Jüterbogs zu erzählen – wie das übrigens im Fall der Kollo-Operette Drei alte Schachteln mit einer ähnlichen Familienhandlung die Rüdersdorfer 2013 taten –, sondern eine recht beliebig vorbeihuschende Szenenfolge serviert, wo keine der Figuren wirklich gezeichnet scheint und kein Darsteller echten Tiefgang demonstrieren darf. Das liegt natürlich auch daran, dass man in Cottbus die fatale 1943er Fassung spielt, wo Willy bereits all diese ruinösen Elemente eingefügt hat, die nun so negativ aufstoßen. Besonders weil Cottbus in der Theaterscheune die inhaltliche Leere der Zweitfassung nicht als große Revue aufziehen kann, weil’s dafür gar keine Möglichkeiten gibt. Obwohl vom reduzierten Ballett mit Vehemenz getanzt wird (Choreographie: Dirk Neumann).
Derbheit und Herzhaftigkeit
Teils sieht das Ganze, in meinen Augen, wie eine aus der Zeit gefallene Operettenaufführung der frühen 1980er Jahre aus. Diese Art Aufführungen haben natürlich ihre historische Bedeutung und Berechtigung. Nur kombiniert mit der NS-Vergangenheit von Wie einst im Mai und den Nostalgiekostümen von Nicole Lorenz stieß mir die Sache doch unangenehm auf. Unangenehm war leider auch das scheußliche Arrangement für Acht-Mann-Orchester, das irgendwo zwischen Swing und Dixie pendelte, und mit der Geschichte aus dem 19. Jahrhundert so ganz und gar nichts zu tun hatte. Eine einfache Klavierbegleitung hätte da vermutlich mehr Effekt gemacht (musikalische Leitung: Frank Bernard). Außerdem wurden alle Darsteller in diesem winzigen, akustisch vorteilhaften Raum mit Mikroports verstärkt. Dadurch klang Etliches wie schlechter Schlager, statt wie gute Operette. Warum man sich für diese Option entschied, blieb mir unklar.
Das alles fand ich schade, denn die Darsteller waren hervorragend und sympathisch. Sie sangen auch durchweg gut. Aber eine ziemlich einfallslose Regie konnten auch Forberger & Co. nicht zu einem großen Theaterabend ummünzen. Aber: Das Publikum in Ströbitz zeigte sich am Ende absolut begeistert. Alkohol während der Vorstellung hat halt auch seine Vorteile.
Als Experiment, Musiktheater an ungewöhnlichen Orten zu zeigen, ist dieses ‘Wie einst im Mai’ nur für all jene zu empfehlen, die 80er-Jahre-Retro-Operette mit ‘Blauem Bock’-Einschlag mögen. Da verspricht der neue ‘Fidelio’ im Zuchthaus Cottbus aufregender zu werden, genau wie es einst die Charell/Burkhard-Operette ‘Feuerwerk’ in einer Polizeistation war. Ebenso die großartige ‘Madame Pompadour’, die quer durchs Theater gespielt wurde als Karnevalsspektakel. Von solchem Pepp und Anspruch ist dieser Kollo-Abend weit entfernt. Und die Dramaturgin Carola Böhnisch hätte den Regisseur vielleicht darauf hinweisen sollen, dass man nicht die 1943er Fassung mit dem Filmstudio-Schluss spielen kann, aber als Projektion im Hintergrund das Jahr 1913 angibt. Auch wenn’s damals schon Filme gab und Walter Kollo 1912 einen Erfolg mit der Posse Filmzauber einfahren konnte. In diesem ‘Filmzauber’ erklang, nebenbei bemerkt, auch zum ersten Mal der Marsch “Untern Linden”, der jetzt in Wie einst im Mai in Ströbitz im Schlager-Potpourri wiederkehrte, mit voller Blaskapellen-Wucht zum Mitklatschen. Was die Zuschauer auch gern und enthusiastisch taten. Denn, wie schon Bernard Grun in seiner ‘Kulturgeschichte der Operette’ konstatierte; “Was den Kollo-Musiken die immense Zugkraft verlieh, waren ihr Schmiss und Elan, ihre Derbheit und Herzhaftigkeit. Die Melodien halten sich hartnäckig. Was ihren Fortbestand sichert, ist ihre sympathische Anspruchslosigkeit und ihre zündende Eingänglichkeit.”