Marcus Pyka (Franklin College Switzerland)
Operetta Research Center
27 February, 2013
Als sich am Abend des 2. Dezember 1916, mit wenigen Tagen zeitbedingter Verspätung, der Vorhang im eleganten Theater an der Wien hob für die Uraufführung des jüngsten Stücks des aufsteigenden Stars unter Wiens Operettenkomponisten, Leo Fall, erschien die Szene exotisch und doch vertraut: Eine traditionelle Haremsszene wäre es sicherlich der Erwartungshaltung nach, geweckt durch den Titel; doch stattdessen war, was die Zuschauer auf der Bühne des eleganten Theaters an der Wien sahen, “ein kleiner, eleganter Damensalon bei Kemal Pascha. Die Einrichtung sehr luxuriös, wie die Gemächer einer jungen europäischen Dame” – und doch, so führt das Regiebuch des Regisseurs Paul Guttmann aus, war “im ersten Moment ersichtlich […] dass sich dieser Salon im Orient befindet”, und sei es allein durch “das herrliche Panorama von Stambul mit seinen Minaretts und Moscheen in feenhafter Sonnenbeleuchtung”, sichtbar durch ein vergittertes großes Aussichtsfenster im Bühnenhintergrund.[2]
Der Stoff war erprobt-erfolgverheißend: Die schöne Kondja Gül, jene titelgebende “Rose von Stambul”, ist die Tochter eines einflussreichen Mannes im Konstantinopel der Gegenwart und soll den Ministersohn Achmed Bey heiraten, den sie noch nie zuvor gesehen hat. Sie schwärmt jedoch für einen Dichter, André Lery, den sie zwar ebenfalls nie gesehen hat, doch kennt sie ihn aus seinen Schriften. Kondja willigt zwar in die arrangierte Ehe ein, doch verlangt sie, dass Achmed Bey nach der Zeremonie um sie wirbt, bis sie sich freiwillig ihm zuwendet; der willigt ein – da er ihr nicht eingestehen will, dass er in Wirklichkeit jener André Lery ist. Natürlich klärt sich die Maskerade im dritten Akt auf, und es kommt zum Happy End für die Protagonisten, wie auch für das relativ unverbunden dazu handelnde Buffo Paar, bestehend aus Midili, Kondja Güls Freundin und Vertraute, und dem Hamburger Millionärssohn Fridolin Müller, die letztlich auch heiraten mit dem Segen von Müller Senior.
Das Publikum an jenem Dezemberabend erlebte die Uraufführung eines der ganz großen Operettenerfolge des 20. Jahrhunderts.[3] Der Impresario des Theaters an der Wien, Wilhelm Karczag, hatte mit Betty Fischer, Louise Kartousch und Ernst Tautenhayn ein Starensemble aufgeboten, und für den Achmed Bey der Aufführungsserie, Hubert Marischka (Foto unten), sollte dieses Rolle den großen Durchbruch bedeuten.[4] Gastspielreisen ins neutrale Ausland bestätigten den Erfolg dieser Melange von glänzender Besetzung, der erprobten Verwechslungshandlung, und der opulenten Ausstattung mit ihrer “Kombination orientalischer Stimmung und europäischem Schick”. [5] Falls dieser Eindruck noch zu übertreffen war, so nur in Berlin, wo das Stück für die einzigartige Fritzi Massary umgearbeitet wurde, die Kritikerpapst Oscar Bie im Berliner Börsen-Courier jubeln ließ: “Hier ist Höhe des Theaters”.[6]
Die Wiener Operette dieser Periode, ungefähr seit der Sensationsuraufführung von Franz Lehárs Lustigen Witwe 1905, war ein kulturelles und kommerzielles Phänomen von internationalen Dimensionen, mit Auswirkungen auf die Spielpläne nicht nur innerhalb der k.u.k. Monarchie sowie in Berlin, München oder Zürich, sondern auch in anderen europäischen Metropolen, in London, in New York.[7] Erst der Erste Weltkrieg brachte diese geradezu globale Ausstrahlung zu einem Ende: aus politischen Gründen, aber wohl auch durch die erstarkende Konkurrenz von neuen Formen und Medien wie Revue und – mehr und mehr – dem Film, der anfangs durchaus die Reputation eines Theater-Ersatzes hatte.[8]
Nichtsdestoweniger stellt sich die Frage, warum überhaupt das Genre Operette so erfolgreich sein konnte. In der Forschung hat das Thema Operette in jüngerer Zeit breitere Beachtung gefunden, die viele überkommene Vorstellungen tatsächlich zu hinterfragen in der Lage ist. Insgesamt dürfte Marie-Theres Arnbom und Kevin Clarke, den Kuratoren einer hervorragenden Ausstellung jüngst im Österreichischen Theatermuseum Wien recht zu geben sein, wenn sie “von Operetten als ‘offenen Kunstwerken’ sprechen, die ständig ihre Form verändern”, gleichsam als “Projektionsfläche” dienen. [9] Der Kulturhistoriker Moritz Csáky hat hierfür das Postulat der “Rekontextualisierung” der Operette geprägt, also die Verortung von Produkten des Operettentheaters innerhalb ihres zeitgenössischen soziokulturellen Rahmens. Csákys Fokus liegt dabei auf den sozialen Veränderungen in Folge von Industrialisierung, Verstädterung und Modernisierung, sowie auf der “nationalen Frage” des österreich-ungarischen Vielvölkerstaats: Für den Grazer Ordinarius fungierte das Genre Wiener Operette als ein maßgeblicher Träger einer “Gesamtstaatsidee”. [10]
Csákys Interpretation von Operette als Spiegel jener spezifisch mittel- und ostmitteleuropäischen “Multiethnizität und Multikulturalität”, die mit dem Ersten Weltkriegs und der Schaffung einer ganzen Reihe von Nationalstaaten in den Pariser Vorortverträgen “zumindest in ihren politischen Rahmenbedingungen aufgelöst”[11] worden zu sein schien, hat mittlerweile einige Kritiker gefunden.[12] Christian Glanz hat deutlich gemacht, dass insbesondere die mitunter sehr stereotypenlastige Darstellung etwa von Serbien, aber auch von anderen südosteuropäischen Völkern wohl kaum dazu geeignet gewesen ist, kulturelle Heterogenität als Ideal darzustellen.[13] Marion Linhardt wiederum hat in ihren bahnbrechenden Arbeiten zur soziokulturellen Topographie der Wiener Theater vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs der Annahme eines sozial homogenen Operettenpublikums den Boden entzogen.[14] Erst um die Jahrhundertwende vollzog sich eine “Metropolisierung” vor allem der innerstädtischen Teile Wiens, die einherging mit dem Aufkommen einer modernen, gegenwartsbezogenen Form von Operette, die dann tatsächlich rasch zu einem gesamtgesellschaftlichen und massentauglichen Phänomen wurde – und eben weit über die Landesgrenzen hinaus Erfolge feierte.[15]
Die bereits erwähnte Lustige Witwe in ihrer maßgeblichen Prägung durch den Sänger-Schauspieler Louis Treumann wurde Inbegriff dieses neuen Typs einer “modernen Gesellschaftsoperette”, mit ihrer Hinwendung zu einer psychologisierenden Handlung, zu einer neuen, nicht mehr ornamentalen, einlage-artigen Rolle des Tanzes, und einer Handlung in der Gegenwart, vorzugsweise an Orten mit einer symbolischen Aufladung, wie etwa Paris, Monte Carlo, oder gar Amerika.[16] Operetten gerade diesen Typs waren regelrechte Exportschlager und wirkten gleichzeitig auf ihren Ursprungsort zurück – “Wien war […] zur ‘Weltstadt’ der Operette geworden.”[17] Entsprechend dem jeweiligen Aufführungsort, der jeweiligen Aufführungszeit verändert sich jedoch auch der Sinngehalt des Werks, nicht zuletzt, da oftmals populäres Musiktheater privatwirtschaftlich betrieben wurde und entsprechend stark von der Zuschauergunst abhing. All dies gilt auch für den Premierenkontext der Rose von Stambul, diein Karczag’s Theater an der Wien zu Beginn des dritten Winters während des Ersten Weltkriegs zur Uraufführung gelangte – für die Zeitgenossen selbstverständlich, handelte es sich bei diesem glitzernden Werk der leichten Muse durchaus um Kriegstheater.
Die tödlichen Schüsse von Sarajevo am 28. Juni 1914 und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs wenige Wochen später sollten insbesondere die internationale Ausrichtung der Operette, aber auch das Theaterleben als ganzes auf eine schwierige Probe stellen.
Direkt nach der Reihe von Kriegserklärungen im August 1914 blieben die Theater in Wien (wie auch in Berlin) zunächst geschlossen.[18] Nach und nach öffneten sie zwar wieder ihre Pforten, doch erschwerten Einberufungen des männlichen Teils des technischen und künstlerischen Personals den regulären Betrieb,[19] ebenso wie die neu eingeführten Zensurmaßnahmen und finanzielle Restriktionen. Gleichzeitig beteiligten sich in dieser Phase auch die Theater an der Schaffung eines geeinten ‘Volks in Waffen’ und strickten mit einer Vielzahl von “hurrapatriotischen” Stücken am “Mythos vom ‘Augusterlebnis’” mit.[20] Die Unterhaltungstheater in Wien reagierten rasch auf das veränderte Publikumsbedürfnis mit “Zeitbildern für Musik” oder “Gesangspossen” im Stile der populären Vorkriegsrevuen, wie etwa das Apollo-Theater mit dem Kriegsberichterstatter und das Raimundtheater mit Komm, deutscher Bruder – Werken mit offenkundigem Zeitbezug, welche sich insbesondere im Herbst und Winter 1914 einiger Beliebtheit erfreuten.[21] Krieg als solchen hatte es zwar auch schon zuvor auf Operettenbühnen gegeben, allerdings eher folkloristisch[22], als historisch-pittoresken oder gar pikaresken Hintergrund für diverse Liebeshändel, etwa in Johann Strauß´ Zigeunerbaron (1885), oder in Millöckers Bettelstudent (1882); selbst der gegenwartsorientierten Operette diente Krieg eher als Vehikel für exotische Schauplätze.[23]
Sobald die anfängliche Begeisterung und der Optimismus über einen raschen Kriegsverlauf ernüchternderen Einsichten über den Charakter des modernen Kriegs weichen musste, verschwand das Thema von den zeitgenössischen Bühnen:
Kaum eines jener musiktheatralischen Werke mit patriotischem Schwung hatte eine längere Lebensdauer, bereits im Februar 1915 waren nahezu alle Werke dieser Art wieder aus den Programmen verschwunden.
Auch wurden weiterhin Werke von Komponisten der ‘anderen’ Seite, wie etwa Bizet’s Carmen, Rossinis Wilhelm Tell(!), oder auch Offenbach’s Pariser Leben und gar die Großherzogin von Gerolstein gespielt; lediglich die Werke zeitgenössischer Komponisten waren ausgenommen, nicht zuletzt aus Tantiemegründen. Die Spielpläne der Musiktheater unterschieden sich kaum mehr von der Vorkriegszeit.[24] Sogar ein eher kriegskritisches Stück wie Oskar Straus’ Shaw-Vertonung Der Tapfere Soldat gehörte dazu.[25] Kriegspropaganda fand scheinbar weitestgehend in anderen Medien statt.[26]
Insofern erstaunt es kaum, dass in der Rückschau die Produktionen der scheinbar zeitkonjunkturresistenten Genres des Musiktheaters der Weltkriegsjahre nur selten hinsichtlich des zeitgenössischen Kontexts angeschaut werden. Abgesehen von den wenigen eindeutig propagandistischen Werken[27] zählen sie entweder zum hochkulturellen Höhenkamm, der doch noch immer gern im historischen Vakuum gesehen wird, wie etwa Richard Strauss’ Ariadne auf Naxos[28], oder aber als Unterhaltungsopiat des Volkes, das sich auf das vermeintlich biedermeierliche kleine Glück von Heinrich Bertés Franz-Schubert-Erfolgsstück Dreimäderlhaus (Foto links) zurückzuziehen suchte.[29] Entsprechend folgte auch die historische Forschung oftmals Karl Kraus’ Kritik an der zeitgenössischen Wiener Operette und ihrem vermeintlichen Eskapismus – hatte es nicht schon in Johann Strauss’ Fledermaus geheißen: “Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist”?[30] Sang nicht auch in dem größten Operettenbühnenerfolg der Weltkriegszeit, Emmerich Kálmáns Csárdásfürstin, der Lebemann Graf Boni Káncsiánu mit dem Herrenchor: “pfeif ich auf die Weltmisere / mach zum Tag die Nacht”[31]. Und auch andere Formen von populärer Unterhaltung schien letztlich ‘auf die Weltmisere zu pfeifen’ und ihr Heil in der Vergangenheit zu suchen:
“[U]rban entertainments staged and displayed the status quo ante bellum, but accommodated the war in this status. Again and again, film, music, and theatre offered an idealized pre-war version of private and civilian life that was able to embed the war in traditional vocabulary and imagery that was not corrupted or swept away by modern forces. In this sense the past was the future, a nostalgic, idealized, and illusionary past that was able to accommodate needs in a way which the present all too evidently failed to do.”[32]
Wie erwähnt, scheint die im Wiener und Berliner Kontext besonders wichtige Operette der Weltkriegszeit besonders deutlich diesen Bedürfnissen sowohl einer existentiell bedrohten Mitteklasse wie auch der Kriegszensur nach konservativer, moralisch unbedenklicher und letztlich harmlos-seichter Unterhaltung zwecks Einlullung entgegengekommen zu sein. Gegenüber einer solch negativ konnotierten Interpretation wunderte sich Steven Beller: “what was wrong with operetta being frivolous”?
Ungeachtet zahlreicher Werke von heute vielleicht weniger interessanter Massenware fand er in seinem klugen, aber leider nur kursorischen Überblick zur österreichischen Kultur der Kriegsjahre eine bemerkenswerte Anzahl von Werken mit geradezu “subversiven” Qualitäten – gerade im Kontext des Schlüsseljahres 1916. Auch die Rose von Stambul findet kurze Erwärnung, zu Recht. [33] Denn nach all dem gesagten erscheint nun wohl Brammers, Grünwalds und Falls “frivoles Märchen”[34], das an jenem 2. Dezember 1916 das Licht der Operettenwelt erblickte,in einem etwas anderen Licht.
Bereits in der Csárdasfürstin lässt das Textbuch kaum einen Moment ungenutzt um deutlich zu machen, dass Eskapismus hier ein sehr bewusster, geradezu ostentativer Akt ist – entsprechend haben in jüngerer Zeit Operettenregisseure den Krieg als zeithistorischen Kontext in ihren Inszenierungen des Werkes sichtbar gemacht.[35] Demonstratives Nicht-Erwähnen mag uns Späteren wie Eskapismus erscheinen, doch musste waren derlei Auslassungen für die Zeitgenossen sehr wohl lesbar, auch ohne explizite Hinweise. Dass in der Rose von Stambul Achmed Bey’s nom de plume André Lery klar auf die Kultur eines Kriegsgegners im Jahr 1916 verwies, auch wenn der Text stets nur von einem “europäischen” Dichter spricht[36], bedarf auch heute noch keiner Erklärung. Entsprechend auch die Abwesenheit jedes anderen expliziten Hinweises auf Paris, jenes glitzernden, begehrenswert-idealen Operettenschauplatzes, der die “Gesellschaftsoperetten” der Vorkriegszeit, etwa die Lustige Witwe oder den Grafen von Luxemburg,prägte.[37] In der Rose von Stambul wurde diese Rolle aufgeteilt, musste aufgeteilt werden: zum einen wurde die österreichische Hauptstadt nun zum Inbegriff des modernen Gesellschaftsumgang á la mode stilisiert, was vielleicht patriotischen Gefühlen entsprach, wenngleich weniger den Alltagsrealitäten der meisten Zuschauer[38]; zum anderen fand sich der finale Akt, der die beiden ungleichen Liebespaare zusammenführt, in die neutrale Schweiz versetzt. Da sich die Librettisten zudem weniger für ein mondänes Grand Hotel in der lateinischen Schweiz, etwa in Montreux oder Lugano, entschieden, sondern die Handlung vielmehr in das eher betuliche, vermutlich doch auch Kriegszeits-taugliche “Hotel zu den drei Flitterwochen” in einem anonymen deutschschweizerischen Badeort verlegten, verlor der ohnehin sehr schwankartige dritte Akt stark an Glamour – und damit auch an jener utopischen, gesellschaftliche Grenzen sprengende Überzeugungskraft, die die Dramaturgie der Vorkriegswerke auszeichnete. Diese Schwäche des letzten Aktes war eklatant, ungeachtet der hier besonders erfolgreichen Musik des Buffo-Paares. Und es erscheint folgerichtig, dass Richard Schultz, der Direktor des Berliner Metropol-Theaters und nebst dem Wiener Karczag wohl einflussreichste Theaterimpresario dieser Zeit, dem Akt wenigstens etwas mehr urbanes Flair zu geben suchte, indem er die beiden türkischen Paare (unter Ignorierung der militärischen Realitäten) nach Kairo fliehen ließ.[39]
Die Aufführungsserie im Metropol ab September 1917 wurde legendär nicht zuletzt durch den herausragenden Star des Berliner Musiktheaters, Fritzi Massary, für die die ursprünglich nahezu solo-lose Rolle der Kondja Gül mehrere Erweiterungen erhielt. Die Zeitungen der deutschen Hauptstadt überschlugen sich mit Beifall.[1] Auch die opulente Ausstattung mit allem ‘orientalischen’ Luxus wurde gelobt – insbesondere angesichts der vollends auf Bezugsscheine umgestellten Kriegswirtschaft.[2]
Doch auch schon im vorgehenden Winter, zur Zeit der Uraufführung der Rose, waren Ressourcen und hier vor allem: Nahrung knapp. Seit April 1916 waren in Österreich Brot und Mehl rationiert, im Mai war es zu ersten Hungerkrawallen in Wien gekommen, mit Rumänien war einer der wichtigsten Getreidelieferanten der Habsburgermonarchie im August 1916 auf der Seite der Gegner in den Krieg eingetreten, und die Getreideernte, die in der österreichischen Reichshälfte im Herbst desselben Jahres gerade noch auf die Hälfte des letzten Friedensjahres kam, ließ nichts Gutes hoffen.[3] Überdies weigerte sich die ungarische Reichshälfte, die Agrarüberschüsse produzierte, mehr und mehr, die sinkende Produktion in Cisleithanien auszugleichen, ja die Lieferungen brachen regelrecht ein[4] – mit verheerenden Konsequenzen.
Bis zum Jahresende 1916 sollten allein in Wien 134.000 Menschen Kriegsküchen aufsuchen müssen, die ihrerseits nur mehr mittags helfen konnten – für die Ausgabe von Abendmahlzeiten fehlte schlichtweg das Geld angesichts dieses Ansturms.[5]
Angesichts eines offenkundig drohenden Hungerwinters stand ein Genre wie die Gesellschaftsoperette vor einem existentiellen Dilemma: Einerseits huldigte sie ja durchaus der Opulenz als Lebensprinzip[6]; andererseits waren die Theater von der Publikumsgunst abhängig und mussten Sorge tragen, das Publikum nicht vor den Kopf zu stoßen. Die Ermordung des unpopulären, geradezu diktatorisch herrschenden österreichischen Ministerpräsidenten Graf Stürgkh als Inbegriff der austeren Kriegswirtschaft im Oktober 1916 konnte als blutiges Fanal für entsprechende Taktlosigkeit gelesen werden, stürzte sich doch die Presse nicht nur auf den prominenten Attentäter, Sohn eines führenden Mitgliedes der Sozialdemokratie, sondern selbst die viel zitierte offiziöse Nachrichtenagentur “Korrespondenz Wilhelm” berichtete ausführlich auch vom opulent erscheinenden Mittagessen im Hotelrestaurant Meissel und Schadn, in dessen Verlauf das Attentat erfolgt war.[7]
Leo Falls neue Operette, die keine zwei Monate später uraufgeführt wurde, hatte ursprünglich “Tausend und ein Souper” heißen sollen, doch dürften angesichts dieser Zeitumstände solch ein Titel gar zu frivol erschienen sein.[8]
Stattdessen erwies sich die Handlungsidee von Julius Brammer und Alfred Grünwald als bestens geeignet, mit der Situation umzugehen: Gewiss, die Szenerie war äußerst großzügig ausgestattet, deutlich in der besten Gesellschaft Istanbuls situiert, und auf dem Höhepunkt des II. Akts treffen Achmed Bey und die ihm gerade frisch angetraute Kondja zum Souper (mit Sektkübel und Sekt!) zusammen. Allein, es handelt sich lediglich um ein sehr intimes kaltes Souper.[9] Auch die Ensemble-Szene zu Beginn der Hochzeitszeremonie behauptete zwar, am Ende guter Bewirtung zu stehen, zeigte dies aber nicht.[10] Mehr noch, es ist später dem Buffo-Tenor vorbehalten, die heimlichen Wünsche wohl so mancher Zuschauerin anzusprechen, wenn er seiner Midili in dem besonders populären Schnucki-Duett des 3. Aktes verspricht:
“Zwanzig Hüte kauf ich Dir
Schmuck, Brillanten und Saphir
Villa, Auto, meiner Seel’,
Außerdem zwei Kilo Mehl.”[11]
Offenkundig ließ das Libretto hier den Millionärssohn Fridolin Müller zeitbedingt aus der Rolle fallen (etwas, das die Operette als Genre lange vor Brecht ermöglichte, ja in kleinen Dosen geradezu erforderte). Im Kontext der Rose von Stambul stellt sich überdies die Frage, inwieweit es Zufall ist, dass die Mehl versprechende Buffo-Rolle der einzige Nicht-Türkische Protagonist ist, und die Szene überdies nicht mehr in Konstantinopel spielt, sondern bereits in Mitteleuropa. Möglicherweise nutzten hier die Librettisten bewusst nicht nur die Rollendramaturgie des Buffos gleichsam als Narren, sondern nutzten das traditionelle Orientbild als Ort des Luxus’ und der Opulenz zumindest andeutungsweise auch als Kontrastfolie für die eher triste Kriegswirklichkeit inmitten eines sich totalisierenden Krieges. Dass die ‘reale’ Türkei zeitgleich durchaus auch unter Nahrungsmitteleinschränkungen zu leiden hatte (wie auch die reale Schweiz der Zeit), spielte hier im Wiener theatralen Uraufführungskontext weniger eine Rolle als die im Operettenkosmos der Vorkriegsperiode noch absurde Idee, “zwei Kilo Mehl” unter die Luxusgütern zu zählen, mit denen mann eine Frau verführt. Das Operetten-Idealbild des opulenten Reichtums hatte offenkundig erste Risse bekommen – wenn auch mit buffoneskem Augenzwinkern.
Doch nicht nur die Champagnerseligkeit, auch das Sujet selbst musste den Zeitläufen angepasst werden. Die Handlung erscheint auf den ersten Blick wie eine klassische Entführung-aus-dem-Serail-Geschichte im besten orientalistischen Stil – schöne Frau (Kondja Gül) wird gegen ihren Willen zwangsverheiratet (mit Achmed Bey), kann aber durch den westlich gebildet-aufgeklärten Helden (André Lery) gerettet werden, den sie natürlich liebt und mit dem sie am Ende glücklich vereint wird. Doch wenngleich Brammer und Grünwald sicherlich mit entsprechenden Anspielungen und Versatzstücken nicht sparen, wäre eine solche Geschichte im Jahre 1916 kaum mehr als Novität vermittelbar gewesen.[12] Das Osmanische Reich war schon längst nicht mehr der Gegner in mehreren Jahrhunderten von Kriegen und “Türkengefahr”, und mittlerweile auch nicht mehr der “kranke Mann am Bosporus” und Ort exotischer Ferne; vielmehr befand sich das Reich des Sultans seit der Reformära des 19. Jahrhunderts und spätestens mit der jungtürkischen Revolution 1908 in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess, und hatte sich überdies 1915 im existenzbedrohenden Konflikt des Weltkriegs sogar auf die Seite der Mittelmächte und damit Österreich-Ungarns geschlagen – die Türken waren zu “Waffenbrüdern” geworden.[13] Und während sich die Nachrichten in den Zeitungen”vom türkischen Kriegsschauplatz” zumindest für den Augenblick eher positiv lasen und von der Pressezensur dieser Eindruck noch verstärkt wurde – der blutige Rückschlag der Entente-Mächte auf der Gallipoli-Halbinsel 1915/1916 sowie die Einnahme der anglo-indischen Stellung bei Kut al-Amara vier Monate später –, steckte die Habsburgermonarchie zur Zeit der Uraufführung in einer tiefen militärischen Krise: Die Doppelmonarchie hatte keine sehr glorreiche Kriegführung gesehen und war gerade im Verlauf des Uraufführungsjahres mehrfach schwer geprüft worden, sei es durch die immensen Verluste in Galizien infolge der russischen Brussilov-Offensive im Sommer, sei es durch mehrere vielwöchige Schlachten am Isonzo gegen Italien; auch der Kriegseintritt Rumäniens hatte die Lage weiter bedrückt.
Angesichts der k.u.k. Ineffizienz in diesem Dreifrontenkrieg hatte man österreichischerseits im September in ein Gemeinsames Oberkommando mit der deutschen Heeresleitung einwilligen müssen, was einer direkten Degradierung zum Juniorpartner gleichkam.[14] Zugleich waren seit Ende August 1916 türkische Truppen in auf dem rumänischen Kriegsschauplatz eingesetzt – sowie zwei Divisionen gar zur Wiedereroberung der galizischen Hauptstadt Lemberg von den Russen.[15] Entsprechend wagte die Österreichische Volks-Zeitung in ihrer Besprechung der Uraufführung der Rose von Stambul zu fragen: “Sind die tapferen, ritterlichen Türken uns nicht zu nahe gekommen, als daß wir ihr Milieu nur zu falschen, erotischen Operetteneffekten herbeiziehen sollten?”[16]
Wie erschien nun dieses “Milieu” dem zeitgenössischen Wiener Theaterbesucher des Jahres 1916? War es wirklich noch so fremd und exotisch? Istanbul selbst war es sicherlich nicht mehr, zumindest nicht exotischer als andere wichtige Hauptstädte des Mittelmeerraumes, wie etwa Madrid oder Athen im Zeitalter des aufkommenden Massentourismus.[17] Auch wenn sich vorläufig keine Besucherzahlen eruieren lassen, zeigte die Publikation von einschlägigen Reiseführern wie etwa des Baedeker, Meyer’s Reisebuch (1. Auflage 1882), oder des Reisehandbuchs des Österreichischen Lloyd (1902), dass sich nicht nur ein generelles Besuchsinteresse sondern auch vor Ort eine touristische Infrastruktur entwickelt hatte; die Reiseführer tendierten sogar zu einem ausgemachten Turkozentrismus, mit Konstantinopel als dem Dreh- und Angelpunkt der vorgeschlagenen Reiserouten.[18] Der mehr oder minder anhaltende Kriegszustand in Südosteuropa seit 1908 unterbrach diese Kontakte nicht, veränderte allerdings die Vorzeichen. Kultur war mehr denn je zum Politikum geworden, und es kann nicht wundernehmen, dass auch in diesem Zusammenhang Operetten eine Rolle spielten: Wie auch in Zürich wurden in Konstantinopel Operettengastspiele organisiert; einziger Unterschied war, dass beim “Waffenbruder” Türkei der Propagandaaspekt nicht verborgen werden musste, selbst wenn ein so renommierter Komponist wie Franz Lehár selbst seine Werke dirigieren kam.[19]
Auch ohne Krieg erschienen die Protagonisten der Rose von Stambul durchaus glaubwürdig. Gerade die Figur Achmed Beys mit seinem Doppelleben als Mitglied der besten Kreise des Sultansreiches und als europäischer Dichter schien sehr gut geeignet zu sein, jene neue türkische Elite auf einer der führenden Bühnen Wiens zu symbolisieren, die seit der “jungtürkischen Revolution” 1908 die Geschicke des Osmanischen Reiches lenkten. Zwar wähnte ein Rezensent nicht zu unrecht, dass dieses Doppelleben Achmed Bey/André Lery`s “bestimmt aus höherwertiger Literatur hergeholt” sei,[20] doch gab es daneben wohl weitere, realere, eher zeitgenössische Inspirationsquellen. Während der ‘europäische Dichter’ André Lery recht früh als Objekt von Kondja’s Schwärmerei eingeführt, aber – wohl charakteristischerweise – kaum weiter charakterisiert wird[21], war der erste Auftritt Achmed Bey’s bereits in der Ausstattung des Oberspielleiters Paul Guttmann auf Wiedererkennung ausgelegt:
“Achmed ist ein vollendeter Kavalier in Auftreten und Exterieur, er trägt moderne türkische Uniform mit Persianerkragen, Monocle. Sein Gesicht ist interessant, rassig, dunkler Teint. Er spricht leicht mit bezwingender Liebenswürdigkeit mit dunklem, warmem Timbre in der Stimme und einem leichten Dialektanklang.”[22]
Hubert Marischka, der Achmed der Uraufführung, erinnerte sich später, er habe dieses Erscheinungsbild gewünscht, wie man sie “von Bildern des türkischen Generals Kemal Pascha kannte”, welcher 1915 eine führende Rolle auf Gallipoli bei der Verteidigung der Dardanellen gespielt hatte und später als erster Präsident der türkischen Republik mit dem Beinamen Atatürk bekannt wurde.[23] Doch auch wenn jener Mustafa Kemal einige dichterische Ambitionen hatte und wohl auch einigermaßen fließend im Französischen war, so dürfte das kaum für genügend Reputation gesorgt haben, um ihn außerhalb militärischer Kreise bekannt werden zu lassen[24]; es ist wahrscheinlich, dass Marischka (oder seine, die Erinnerungen niederschreibende vierte Ehefrau) sich in seinen Memoiren schlichtweg irrte. Allerdings ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Mime seine Inspiration aus der Tagespresse der Kriegsjahre bezogen hatte – nur dass das wahrscheinliche Vorbild in späteren Jahren weniger gern erinnert wurde als der spätere Republikgründer Atatürk. Der in Mitteleuropa wohl prominenteste türkische Politiker und Militär der Weltkriegsjahre war nämlich Enver Pascha, der ehemalige Militärattaché in Berlin und dann Kriegsminister, der nach dem türkischen Kriegseintritt im November 1914 rasch zur Lichtfigur in der Österreichischen Presse aufstieg, wobei auch die Ehe des damals Zweiunddreißigjährigen mit einer Nichte des Sultans herausgestellt und er somit in der Wiener öffentlichen Meinung zum Bindeglied zwischen dem alten Osmanischen Reich und der “neuen” Türkei wurde.[25] Gleichwohl war Enver sicherlich nicht mehr als eine Inspiration, sorgte für einen Wiedererkennungseffekt – wie auch die weiteren Reminiszenzen der Namen.[26]
Leo Fall’s Ahmed Pascha, sei es als Bühnenversion Envers oder nicht, war in musikalischer Hinsicht sicherlich kaum mehr ein Orientale. Zwar führte er sich durchaus mit ‘orientalischem’ Kolorit ein im 6/8-Moderato des Aufgesangs seines Auftrittslieds, doch bereits nach siebzehn Takten geht dieser in den überaus schwelgerischen, titelgebenden langsamen (Huldigungs-)Walzer “O Rose von Stambul” (Nr. 5) über.[27] Schon sein sehnsüchtig-forderndes Lied im II. Akt wirkt “eher spanisch als türkisch”[28], dem auch der Torero-eske Gestus des Textes zu entsprechen scheint, der somit allenfalls durch die Theatralik seiner Maskulinität so etwas wie mediterranen Exotismus ausstrahlt.[29] Hierin passt denn auch jene stürmische Behauptung Achmed Beys auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Kondja am Ende des II. Akts, als sich seine frisch Angetraute gegen seine Werbeversuche nochmals Zeit ausbedingt – “lachend, entschlossen” wischt er, zu den drängenden Orchesterklängen eines wirbelnden Walzers im Melodram, ihre Bedenken mit starker Hand beiseite: “Ich bin ein moderner Türke, ich eile meiner Zeit voraus.”[30]
Diese (eher äußerliche) Verbindung von Tradition und Moderne fand auf der Operettenbühne ihren Spiegel in Achmed’s weiblichem Gegenpart, der Titelheldin, Kondja Gül. In ihrem Falle jedoch ist diese Verbindung weniger erreicht als vielmehr erhofft, erstrebt, ersehnt – ausgedrückt insbesondere in dem ihr zugeordneten, schicksalhaft wirkenden Motiv aus der Ganztonskala, das bereits zu Beginn der Introduktion (Takte 3-5) eingeführt wird. “Diese besonders von Debussy kultivierte harmonische Neuheit” erzeugte in seinen “orientalischen” Intervallen einen Eindruck von Wucht, von Schicksal. Dies zeigt sich insbesondere in Kondjas quasi-biographische Einführung in der Ensemble-Szene Nr. 2. In der Analyse Stefan Freys: “In dieser Nummer erweist sich einmal mehr Falls Meisterschaft der Übergänge, wenn er zum Beispiel von Kondjas chromatisch aufgeladenem Sprechgesang: ‘ich mußte lernen und lernte das Müssen’ – in einen Walzer übergeht. Angekündigt von einem flüchtigen Flötenlauf, dem gedrängten Einwurf der Hörner und von den hohen Streichern nur angedeutet, klingt er wie das Zitat eines Walzers, dessen Echo in Richard Strauss’schen Hornrufen widerhallt. Nach einer kurzen Steigerung fällt er in dieselbe chromatische Bedrängnis zurück, aus der er vergebens erblühte: ‘Nun heißt es den Schleier, den Tscharchas nehmen’ – von Kondjas Leitmotiv ‘fff’ bekräftigt.”[31]
Der Schleier spielt hier sowohl musikalisch als auch textlich eine zentrale Rolle. Denn das gesellschaftlich-religiös bedingte Kleidungsstück transformierte sich zum bedrückenden Symbol für verwehrte Freiheit, wenn am Ende ihrer Auftrittsszene Kondja erst “kaum hörbar” und dann im pianissimo, nur noch von Harfe und Streichern begleitet eher seufzt den singt: “Ein Schleier liegt vor meinen Augen, ein Schleier liegt vor meinem Blick, verhüllt mein Herz und meine Seele, ein Schleier liegt vor meinem Glück.” Am Ende scheint das junge Mädchen musikalisch gar gänzlich hinter diesem schier eisernen Schleier zu verschwinden, im pianissimo piano und schließlich “ganz verklingend”.[32]
Tatsächlich schien Kondja als “Rose von Stambul” weniger im türkischen Kolorit als eher in okzidentalischer Atmosphäre zu blühen, die ihren Höhepunkt zweifellos im großen Walzerduett des II. Aktes “Ein Walzer muß es sein” (Nr. 14) fand.
Dies gilt umso mehr für die Soubrettenrolle der Midili, die in ihrem Auftrittslied durch einen feschen A-Dur Twostep über “Die Mädchen aus dem Abendland” charaktierisiert wird (Nr. 3). In dieser stark choreographierten Ensemblenummer preist sie okzidentale Lebensart im modisch-amerikanischen Tanzrhythmus mit der direkten Antwort auf Kondja’s vorhergegangenen Leidensseufzer: “Vom Schleier keine Spur, das nennen wir Kultur!”[33] Und mehr noch, zu dieser unverschleierten Errungenschaft des Westens gesellen sich in der zweiten Strophe dann auch “jede Freiheit dort, das Flirten und der Wintersport”. Dieser flammende Protest gegen die Sitten des Harems gipfelt schließlich in dem zackigen Marsch: “Von Reformen, ganz enormen, träumen wir am Bosporus!”, unisono gesungen oder eher skandiert vom vereinigten Chor der Haremsdamen.[34]
Doch, alas! – auch Midili’s Aufbegehren wird in Frustration erstickt: “Auf den Retter, Donnerwetter, warten wir schon manches Jahr, doch er kommt nicht, nein, er kommt nicht, und’s bleibt alles, alles, alles wie es war!” Die Partitur betont diese wachsende Frustration nicht nur durch die dreimalige Wiederholung des “alles”, sondern auch durch ein gleichzeitiges Crescendo vom pianissimo zum fortissimo.[35]
Das Streben der jungen Damen nach Modernität wiederum wird mehr noch als durch die Musik durch der Text akzentuiert mit dem wiederholten Betonen des “Flirtens” als Ideal (wie bereits Kondja dies in ihrem Auftrittslied getan hatte).[36] Weitere Verdeutlichungen der modernen Erziehung von Midili und Kondja bleiben auf der Ebene des ironischen name dropping: Kondja hatte Shakespeare und Goethe gelesen, sogar Baudelaire (aber auch Hafis), und musizierte, vorzugsweise “ein wenig Wagner, recht viel Lehar, Strauß”, Midili hielt es hingegen mehr mit Maupassant, Casanova und Boccaccio – “mit einem Wort alle Klassiker”.[37] Mit leisem Spott lud die gewitzte Midili ihren neugewonnenen Verehrer Fridolin zur Besichtigung ein in ihren “modernen Harem […] – in Hamburg gibt’s nämlich noch keine.”[38]
Doch kein Thema wurde so durchgehend angesprochen wie das des Schleiers: Von dem anfänglichen Aufbegehren Kondja’s und Midili’s, über Achmed’s erotisierten Lobpreis des Verhüllungszaubers und Fridolin’s Überlistung, um Midili’s Gesicht zu sehen[39], bis hin zu Kondja’s letztem Auftritt: unverschleiert, “ganz allein und ganz frei”.[40] Der Schleier fungierte natürlich als besonders theatertaugliches Symbol für Ungleichheit und mangelnde Emanzipation, aber eben auch für mangelnde Wahlmöglichkeit der Lebensgestaltung, etwa bei der Partnerwahl, wie es ja insbesondere das Schicksal Kondjas zumindest in den ersten beiden Akten zu sein scheint.
Das Libretto betonte dies noch einmal mehr in der krassen Umkehrung in Fridolin’s Auftritt in Frauenkleidern, der durch diese Maskerade im Marsch-Cancan in den ihm sonst unzugänglichen Harem und damit zu Midili zu gelangen trachtet.
Wenngleich ein Rezensent an dieser Stelle “leise peinliche Assoziationen” hatte (vermutlich mit der Eulenburg-Affäre im Deutschen Reich?), so feierten die meisten Besprechungen den Tenor Ernst Tautenhayn für diese Nummer.[41] Doch wenngleich Verwirrspiel mit Geschlechteridentitäten im Unterhaltungstheater keine schockierende Neuerung darstellte, nicht einmal in der heute, seit dem Dritten Reich eher ungewöhnlichen Form eines als Frau verkleideten Mannes[42], so dürfte für diese Szene Fridolin’s als vermeintliche “Lilly vom Ballett” ganz und gar nicht auf Verwirrung angelegt gewesen sein, sondern vielmehr auf eine Umkehrung des Schleier-Drags: denn Midili erkennt ihn sofort und beschwert sich lachend: “Fridolin! Ach wie dein Schnurbart sticht”![43]
Achmed Bey hingegen scheint sich in seiner persona als türkischer Mann dem Reiz der verschleierten “stillen, süßen Frau’n” nicht ganz entziehen: “Der Schleier, der voll Neid euch Holde uns verlbirgt, berückend auf uns wirkt. Ein Zauber ist’s, der euch umhüllt,” singt er in seiner A-Dur Serenade im Zweiten Akt”. Doch während die Musik “mit Schwung belebt” vorzutragen ist und in Komposition und Instrumentation, wie erwähnt,Torero-eske Maskulinität auszustrahlen scheint (nicht zuletzt durch den forte zu singenden Anfang der beiden Strophen), so ist der Text des Librettos hier ambivalenter, und lässt den Sänger der Serenade eher als Troubadour erscheinen: “Seh’ ich verschleiert euch, den Gang beschwingt so leicht, so wird mein Auge feucht” – und um diesen traurigen Eindruck zu unterstreichen schreibt der Klavierauszug für diesen Teil auch piano vor. Noch deutlicher wird die zweite Strophe, in der jener “Zauber” deutlich negativ qualifiziert wird: “Ein Zauber ist’s, der euch umhüllt, ein Sehnen heiß und ungestillt, und eure Blicke klagen oft stumm und fragen, wann kommt der Tag, der uns entzaubert und befreit.” Ungeachtet des abschließenden hohen A’s mit der Orchesterbegleitung im fff wäre also nichts falscher, als hier eine tenorale Triumphgeste an der Bühnenrampe zu zelebrieren, wie denn auch der zugehörige Librettotext jene Frauen beschwört: “bleibt nicht kalt, wenn einst der Sieger vor euch kniet!”[44] Vielmehr imaginiert sich Achmed Bey hier in seinem eher demütigen Text mit der gleichzeitig geradezu auftrumpfenden Musik als nichts weniger als jener Retter und Befreier, den Midili und ihre Begleiterinnen im Ensemble Nr. 3 (in derselben Tonart!) noch vergebens herbeigesehnt haben – und es wird spätestens hier klar, dass es nicht nur das Pseudonym André Lery ist, der “in Wort und Schrift kämpft für die Freiheit der türkischen Frau”[45], sondern durchaus auch der Ministersohn höchstselbst (und damit eben jenen Emanzipationswünschen aus dem Harem nur entspricht).
Auch in der Habsburgermonarchie war derlei männlicher Feminismus sicherlich keine Selbstverständlichkeit. Zwar ging es im Wiener Kontext wohl nicht um Gesichtsschleier, doch war auch in Mitteleuropa die Rolle der Frau alles andere als eine gleichberechtigte. Und selbst wenn im Jahr 1916 wohl nur eine winzige Minderheit die baldige Einführung des Frauenwahlrechtswohl[46] als Möglichkeit erhofft haben dürfte, so deutete ja die Operette selbst an, wo auch im Abendland die Wahlfreiheit im familiären Bereich mehr als nur eingeschränkt war, etwa bei den Bedingungen für Fridolin’s Brautwahl, die von den väterlichen Firmeninteressen vorgegeben waren.[47] In dieser Hinsicht waren die Ideen, die in jenem imaginärem Stambul diskutiert wurden, nicht nur reformerisch, sondern nachgerade revolutionär und konnten durchaus auch für Wien vorbildhaften Charakter haben.
Umso weniger erstaunt, dass die Rose Aufsehen erweckte, zumal ja scheinbar auf den Propheten selbst zurückgehende Traditionen damit infrage gestellt wurden, wie Achmed Bey in jener Serenade selbst sang. Tatsächlich berichtet die einzige, leider essayistisch-undokumentierte Biographie des Librettisten Alfred Grünwald, dass “die mit der Monarchie verbündete Türkei eine scharfe Protestnote an Österreich-Ungarn richtete, da die Handlung angeblich den islamischen Glauben lächerlich machte. Grund für die diplomatischen Verwicklungen war die Tatsache, dass Achmed Bey, die männliche Hauptfigur der zum Teil im Haremsmilieu spielenden Rose von Stambul, als großer Reformer der rückschrittlichen Frauengesetzgebung des Orients auftrat.”[48] Und ein halbes Jahr später berichtete die Presse, dass die türkische Zensur das Werk – möglicherweise für eine der erwähnten Propagandaaufführungen – für Konstantinopel verboten habe.[49]
In der zur Verfügung stehenden Zeit war es leider nicht möglich, diese Vorgänge im Archiv zu untersuchen. Doch rief die bereits erwähnte Berliner Erstaufführung am 29. September 1917 am Metropoltheater einen möglicherweise vergleichbaren Vorgang hervor, der sich allerdings in einer zentralen Hinsicht von der zitierten Grünwald-Biographie unterscheidet – aber (ungeachtet seiner Unvollständigkeit) nichtsdestoweniger ein bemerkenswertes Licht auf die Beziehungen der beiden Mittelmächte zum türkischen Verbündeten wirft. Die Direktion des Metropoltheaters hatte Ende August 1917 entsprechend den Zensurvorschriften die Pflichtexemplare zur Genehmigung der Aufführung eingereicht. In einem internen Gutachten Anfang des Monats hatte ein Sachbearbeiter des Berliner Polizeipräsidiums keine grundsätzlichen Bedenken geäußert, sondern das türkische Verbot allein unter lokalen Umständen in Konstantinopel gesehen.[50] Aus nicht mehr rekonstruierbaren Gründen sah sich zehn Tage später jedoch das Polizeipräsidium veranlasst, die türkische Botschaft um eine Stellungnahme zu ersuchen; diese bedankte sich höflich und überließ die Entscheidung den “taktvollen Anschauungen” des entsprechenden Abteilung des Polizeipräsidiums.[51] Das aber beruhigte die Berliner Stellen offenkundig nicht. Nach weiteren acht Tagen teilte das Polizeipräsidium dem Metropoltheater mit, dass mit “Rücksicht auf das in Konstantinopel erfolgte Verbot” und angesichts “der besonderen Empfindlichkeit unserer türkischen Bundesgenossen grosse Vorsicht in einer in der deutschen Reichshauptstadt stattfindenden Aufführung des Stückes” eine Genehmigung erst nach umfangreichen Textbearbeitungen erfolgen könne;[52] allerdings bot die Behörde als Alternative an, dass den “sich aus der Rücksicht auf die Türkei ergebenden Bedenken […] auch dadurch Rechnung getragen werden [könnte], dass der Schauplatz der Operette durch entsprechende Änderung des Inhalts und des Titels nach einem anderen orientalischen Reich verlegt wird.”[53] Angesichts der für eine Woche später geplanten Premiere war auch dies zweifellos immer noch eine schwerwiegende Forderung.
Offenkundig kam es zu einem Protest, denn weitere sechs Tage später, zwei Tage vor der Premiere, erinnerte ein weiterer Vermerk, dass der türkische Botschafter keine Einwände gegen eine Aufführung in der Wiener Fassung habe,[54] und in der Tat fand am 29. September 1917 die umjubelte Premiere mit Fritzi Massary in der Titelrolle statt – anscheinend ohne türkische Proteste.
Auch wenn sich wohl die genauen Umstände dieses Bewilligungsvorganges nicht mehr rekonstruieren lassen, so legen die erhaltenen Aktenstücke nahe, dass für Aufführungen im Ausland die jungtürkische Regierung keine Probleme mit der Rose von Stambul sah. Möglicherweise waren vielmehr die verhandelten Themen auch für einen mitteleuropäischen Kontext brisant – das Türkische gleichsam “als Schattenseite des eigenen Fortschritts, als verdrängte gesellschaftliche Tradition, […]: Das Fremde als Spiegel.”[55]
Das ist umso bemerkenswerter, wenn man sich nochmals die Zeitumstände in Erinnerung ruft. 1916, das Entstehungsjahr der Rose von Stambul, war in vielerlei Hinsicht ein Schlüsseljahr für den Ersten Weltkrieg, für Österreich-Ungarn vielleicht sogar das entscheidende.
In der Rückschau scheinen die Kriegsjahre auch kulturell im Sinne eines geistigen Burgfriedens von Innovationen oder gar Kritik weitgehend abzusehen.
Jan Rüger etwa kann für Berlin, Paris, und London durchaus überzeugend argumentieren, dass
“the combination of censorship, middle-class morality, and self-acclaimed patriotism forced a range of challenging and experimental forms of entertainment to abandon the public stage. Outside the grotesque stereotyping designed to reaffirm the conservative values of the ‘nation in arms’ public representations of ‘otherness’, be they in relation to sexuality, gender, or race, were near impossible.“[56]
Allerdings weckt die weitgehende Absenz von unterhaltendem Musiktheater in Rügers Untersuchung gewisse Zweifel, wie weit diese Feststellung gültig ist, zumindest in Bezug auf Berlin. Für Wien jedoch scheint gerade die oft ignorierte Operette der Weltkriegszeit manches Mal Möglichkeiten zur subversiven Repräsentierung von ‘otherness’ geboten zu haben, wie schon Steven Beller festgestellt hat.[57] Möglicherweise waren es gerade die scheinbar harmlose Tradition von Exotik und Witz auf der Bühne, die dieses Potential gerade in den Kriegsjahren aktivierbar werden ließen. Die erzwungenen “Egalisierungstendenzen” der mitteleuropäischen Gesellschaften der Kriegsjahre[58] wurden hier auf traditionelle Außenseiter übertragen – wie etwa den vor 1914 so unebenbürtigen Bundesgenossen Osmanisches Reich; und ließen so aus Freundpropaganda nolens volens ein Vorbild werden, dass durchaus die eigenen festen gesellschaftlichen Normen zu hinterfragen in der Lage war.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Dieser Aufsatz erschien zuerst in Yavuz Köse (ed.): Şehrâyin. Die Welt der Osmanen, die Osmanen in der Welt. Wahrnehmungen, Begegnungen und Abgrenzungen. Festschrift Hans Georg Majer, Wiesbaden: Harrassowitz 2012, S. 441-461.
[1] Ich danke Ivo Bertschy und Sebastian Panwitz sehr herzlich für ihre Hilfe bei der Besorgung von Quellenmaterial für diesen Aufsatz.
[2] So die Szenenbeschreibung zu Beginn des I. Aktes im Regiebuch Die Rose von Stambul. Operette in 3 Akten von Julius Brammer und Alfred Grünwald, Musik von Leo Fall. In Szene gesetzt von Oberregisseur Paul Guttmann. Wien, Theater an der Wien, 1916, S. 6.
[3] Allein im Theater an der Wien wurde das Werk mit 480 Aufführungen kaum weniger gespielt als die erfolgreichste Operette des 20. Jahrhunderts überhaupt, Franz Lehár’s Lustige Witwe; vgl. Bernhard Grun, Kulturgeschichte der Operette. Berlin 1967, S. 411f. und 429; Richard Traubner, Operetta. A Theatrical History. London 1984, S. 292f.; Volker Klotz, Operette. Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst. 2. Aufl. München 1997, S. 309-313; Stefan Frey (mit Christine Stemprok und Wolfgang Dosch), Leo Fall. Spöttischer Rebell der Operette. Wien 2010, S. 149-162, jeweils mit Hinweisen zur Rezeption auch am Broadway und auf der Leinwand.
[4] Paul Frank, “Zum ersten Mal: Die Rose von Stambul”, in: Fremden-Blatt Nr. 335, vom 3. Dezember 1916, S. 12; Karl Schreiber, “Als Operettenneuheit”, in: Deutsches Volksblatt Nr. 10.031, vom 3. Dezember 1916, S. 9. – Selbst der relative Verriss im Neuen 8-Uh-Blatt betonte, dass es die vorzügliche Besetzung war, die den Abend trotz allem gelungen werden ließ; Nr. 671 vom 4. Dezember 1916, S. 3.
[5] Anonymus, “Stadttheater: Zweites Gesamtgastspiel des Theaters an der Wien: ‘Die Rose von Stambul’”, in Neue Zürcher Zeitung, Nr. 1251 vom 8. Juli 1917, S. 1. – Siehe auch den Bericht über die Schweizer Erstaufführung im Zürcher Korso-Theater durch Max Steiner-Kaisers “Wiener Operetten-Ensemble”; Neue Zürcher Zeitung vom 3. Juni 1917.
[6] Oscar Bie, “Die Rose von Stambul. Metropoltheater”, in: Berliner Börsen-Courier vom 30. September 1917, zitiert nach Frey, Fall, S. 161.
[7] Dies gilt nicht zuletzt für die Lustige Witwe selbst, die innerhalb von nur vier Jahren, bis Ende 1909 über “18 000 Aufführungen in 422 deutschen [d.h. deutschsprachigen], 135 englischen und 154 amerikanischen Städten” erlebte, wie die Berliner Post im Mai 1910 berichtete. Zitiert nach Stefan Frey, “‘O, ihr verfluchten Millionen!’ Kult und Kommerz der Wiener Operette”, in: Marie-Theres Arnbom/Kevin Clarke/Thomas Trabitsch (Hrsg.), Welt der Operette. Glamour, Stars und Showbusiness, Wien 2011, S. 103-114, hier S. 105.
[8] Peter Stauber, zitiert nach Steven Beller, “The Tragic Carnival: Austrian Culture in the First World War”, in: Aviel Roshwald/Richard Stites (Hrsg.): European Culture in the Great War. The Arts, Entertainment, and Propaganda, 1914-1918, Cambridge u.a. 1999, S. 127-161 und 378-385, Zitat S. 138. – Siehe auch Marion Linhardt, “Eine kleine Operettentopographie, oder: Auf welchen Wegen die Operette gegen mancherlei Widerstände die Stadt Wien eroberte”, in: Marie-Theres Arnbom/Kevin Clarke/Thomas Trabitsch (Hrsg.), Welt der Operette. Glamour, Stars und Showbusiness, Wien 2011, S. 43-53, hier S. 53.
[9] Marie-Theres Arnbom und Kevin Clarke, “Vorwort: Parallelwelten der Operette”, in: Marie-Theres Arnbom/Kevin Clarke/Thomas Trabitsch (Hrsg.), Welt der Operette. Glamour, Stars und Showbusiness, Wien 2011, S. 12-15, hier S. 13.
[10] Vgl. Moritz Csáky, Ideologie der Operette und Wiener Moderne. Ein kulturhistorischer Essay, 2., überarbeitete Auflage, Wien, Köln, Weimar 1998.
[11] Beide Zitate Csáky, Ideologie, 289.
[12] Vgl. den Überblick bei Marion Linhardt, Residenzstadt und Metropole. Zu einer kulturellen Topographie des Wiener Unterhaltungstheaters (1858-1918), Tübingen 2006, S. 9f. mit Fußnoten 17 und 18.
[13] Christian Glanz, “Popularmusik. Ein Brennspiegel für Identität und Gemeinschaft”, in: Österreichische Musik-Zeitschrift 51 (1996), S. 718-727, hier S. 720f., und Ders., “Aspekte des Exotischen in der Wiener Operette am Beispiel der Darstellung Südeuropas” in Musicologica Austriaca 9 (1989), S. 75-89. –Nicht zugänglich war mir leider Christian Glanz, Das Bild Südosteuropas in der Wiener Operette. Diss. Masch., Graz 1988.
[14] “Die Bedeutung der Operette in Wien des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts erschließt sich daher nur, wenn sie als komplexes Rezeptionsphänomen aufgefaßt wird. Um das Stadtzentrum Wiens […] gruppierten sich die 34 Vorstädte […]. Innerhalb dieser ‘Teilstädte’ […] existierten relativ genau abgegrenzte soziale Milieus. […] Die Wiener Operette zerfällt also gewissermaßen in eine Josefsstädter und eine Leopoldstädter Operette, in eine Prater-Operette, eine Alsergrund- und eine Mariahilfer-Operette, die Alsergrund-Operette wiederum in eine Volksopern- und eine Orpheums-Operette, die Operette des Theaters an der Wien in eine Marie-Geisinger- und eine Alexander-Girardi-Operette, die Prater-Operette in eine Spektakel-Freilicht-Operette (“Venedig in Wien”) und eine überdachte Kleinbürger-Operette (Fürst-Theater). Linhardt, Residenzstadt, S. 6 und 8f.
[15] Vgl. ebd., passim.
[16] Vgl. ebd., S. 209-239. – Linhardt diskutiert gegen über dieser “metropolitanen” Form der Gesellschafts- oder Tanzoperette auch eine sich neu aufblühende Richtung, die sie “Operette der Residenzstadt” nennt, welche lokalen Bezug sucht, den allerdings idyllisiert und insbesondere die Rolle von Musik als Essenz Wienerischer Lebensart betont. Ebd., S. 239-285.
[17] ebd., S. 26.
[18] Vgl. ebd., S. 128; hierzu und zum folgenden (vor allem mit Schwerpunkt auf das Deutsche Reich) vgl. Martin Baumeister, Kriegstheater. Großstadt, Front und Massenkultur, 1914-1918. (=Schriften der Bibliothekt für Zeitgeschichte. N.F., Bd. 18). Essen 2005, S. 23-34, sowie den konzisen Überblick bei Oliver Hebestreit, “Musiktheater”, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Hrsg. von Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz, in Verbindung mit Markus Pohlmann. 2., durchges. Aufl. Paderborn u.a. 2009, S. 995-995, ebenso wie die ausführlichere Fassung von dems., “Die deutsche bürgerliche Musikkultur im Deutschen Reich während des Ersten Weltkriegs”, in: Hannemarie Firme/Ramona Hocker (Hrsg.)., Von Schlachtenhymnen und Protestsongs. Zur Kulturgeschichte des Verhältnisses von Musik und Krieg, Bielefeld 2006, S. 113-137.
[19] Das Theater an der Wien etwa hatte in der Saison 1916/17 zwei männliche Sänger, vier männliche Choristen sowie sechs Orchestermusiker weniger als in der Vorkriegssaison 1912/13, und auch das technische Personal musste empfindlich reduziert werden; ein Teil dieser Stellen zumindest konnte dann mit Frauen besetzt werden, unter anderem der ersten Orchestermusikerin des Hauses, der Harfenistin Helene Parger. Vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 24 (1913), S. 678f., und 28 (1917), S. 594f.
[20] Baumeister, Musiktheater, S. 292; Beller, “Tragic Carnival”, S. 136f.
[21] Der Kriegsberichterstatter. Bunte Bilder vom Tage von Rudolf Oesterreicher und Wilhelm Sterk mit Musikeinlagen von Edmund Eysler, Bruno Granichstaedten, Oskar Nedbal, Charles Weinberger und Carl Michael Ziehrer; Komm’ deutscher Bruder! Volksstück von August Niedhart und Karl Linda mit Musikeinlagen von Edmund Eysler und Franz Lehár; vgl. Beller, “Tragic Carnival”, S. 156ff.; Linhardt, Residenzstadt, S. 5, Anm. 8.
[22] Baumeister schlägt hierfür in Anlehnung an Jakob Vogel sehr passend den Begriff der “Militärfolklore” vor, ohne diesen Gedanken jedoch weiter auszuführen. Musiktheater, S. 59f., Anm. 129.
[23] Etwa in Rudolf Raimanns heute völlig vergessener Wiener Operette Port Arthur (1904), das “Bilder vom östasiatischen Kriegsschauplatz brachte”. Linhardt, Residenzstadt, S. 14.
[24] Vgl. Hebestreit, “Musiktheater”, S. 997; Beller, “Tragic Carnival”, S. 136f. und S. 380, Anm. 39. – Ausnahmen hiervon stellten in Berlin lediglich die Gesangsposse Kam’rad Männe sowie die Kriegsrevue Extrablätter mit mehr als 200 Aufführungen von Oktober 1914 bis zum Frühjahr des Folgejahres dar; sie wurden nur noch überflügelt von dem “vaterländischen Volksstück” Immer feste druff!, einer Mischform aus Posse, Revue und Operette nach einem Text von Herman Haller und Willi Wolff und Musik von Walter Kollo, die am 1. Oktober 1914 im Berliner Theater am Nollendorfplatz uraufgeführt wurde und bis kurz vor Kriegsende mehr als 800 Aufführungen erlebte; vgl. Baumeister, Kriegstheater, S. 129-140.
[25] Das Stück mit einem Textbuch von Rudolf Bernauer und Leopold Jacobson, das auf George Bernard Shaws Komödie Arms and the Man von 1894 beruht, wurde 1908 im Theater an der Wien uraufgeführt. Wenngleich es sicherlich auch geeignet war, anti-serbische Ressentiments zu bedienen, insbesondere in der ungarischen Reichshälfte, so galt dies freilich auch für das mit den Mittelmächten verbündete Bulgarien. In jedem Fall ist der anti-militärische Impetus des Stücks kaum zu ignorieren, was es umso bemerkenswerter macht, dass es etwa noch im Dezember 1916 sehr erfolgreich in der Budapester Volksoper lief; vgl. die Meldung im Pester Lloyd, Morgenblatt, vom 3. Dezember 1916, Nr. 336, S. 16.
[26] Vgl. etwa Baumeister, Kriegstheater, passim, über Sarasanis Zirkuspantomimen, die Rolle von Schallplatten und Bildpostkarten, sowie des Sprechtheaters an der Front. Für Österreich, insbesondere für die zentral gelenkte Kriegspropaganda, vgl. die zweibändige Ausstellungsdokumentation Musen an die Front! Schriftsteller und Künstler im Dienst der k.u.k. Kriegspropaganda 1914-1918. Hrsg. vom Adalbert Stifter Verein München. München 2003; sowie in vergleichender Perspektive Mark Cornwall, The Undermining of Austria-Hungary. The Battle for Hearts and Minds. Houndmills, London 2000.
[27] Neben den bereits erwähnten Zeitstücken zählt hierzu auch Emmerich Kálmáns Gold gab ich für Eisen, eine Umarbeitung seines Volksstücks Der gute Kamerad (1911) vom Herbst 1914,das am Theater an der Wien uraufgeführt wurde; symptomatisch ist Volker Klotz’ Verdikt hier, der es in seinem Standardwerk bündig als “weltkriegerische Schmachtoperette” abtut; Operette. Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst. München, Zürich 1997, S. 393. – Dass dies aber zu kurz greift, zumindest die außerordentliche zeitgenössische Rezeption auch in den USA und selbst im feindlichen Großbritannien, belegt Frey, Kálmán, S. 102-108.
[28] Zweitfassung als Oper in einem Aufzuge nebest einem Vorspiel, Libretto von Hugo von Hofmannsthal. Hofoper Wien 1916. – Immer noch anregend sind in diesem Kontext die Thesen Modris Eksteins’ zum Verhältnis des Ersten Weltkriegs zu den verschiedenen Ausformungen künstlerischer (und politischer) Moderne: Rites of Spring. The Great War and the Birth of the Modern Age, Boston 1989.
[29] Das Dreimäderlhaus. Singspiel von Alfred Maria Willner und Heinz Reichert. Musik von Heinrich Berté nach Franz Schubert. Raimundtheater Wien, 15. Januar 1916. – Hierzu vgl. die differenzierte Diskussion bei Baumeister, Kriegstheater, S. 140-145.
[30] Zu diesem Zitat und seinen kulturellen Kontext in der Habsburgermonarchie vgl. Csáky, Ideologie, 48-61, besonders S. 48ff.
[31] Die Csárdásfürstin. Operette in 3 Akten von Emmerich Kálmán, Text von Leo Stein und Béla Jenbach. Uraufführung Johann-Strauß-Theater Wien 1915. – Neben dem erwähnten Marsch-Ensemble “Alle sind wir Sünder” (Nr. 2) siehe etwa auch das Walzer-Duett “Heller Jubel…Weißt du es noch?” (Nr. 9) und das Walzerquartett “Liebchen, mich reizt es” (Nr. 10) mit dem Refrain “Hurra, hurra, man lebt ja nur ein Mal, und ein Mal ist kein Mal”; zum Kontext des Werks vgl. Stefan Frey, “Unter Tränen lachen“. Emmerich Kálmán. Eine Operettenbiografie. Berlin 2003, S. 102-119.
[32] Jan Rüger, “Entertainments”, in: Jay Winter und Jean-Louis Robert (Hrsg.): Capital Cities at war. Paris, London, Berlin 1914-1919. Bd. 2: A Cultural History, Cambridge u.a. 2007, S. 105-140, hierS. 138. – Nach Maureen Healy “wartime entertainment narrowed and eventually dried up when sacrifice was no longer a choice, but a fact of life.” Sie beschränkt allerdings ihre Analyse von Kriegsunterhaltung auf den zeitgenössischen Film und die Wiener Kriegsausstellung und erwähnt Wiener Musiktheater so gut wie nicht. Healy, “Exhibiting a War in Progress. Entertainment and Propaganda in Vienna, 1914-1918″, in Austrian History Yearbook 31 (2000), S. 57-85, Zitat S. 72; ebenso in dies., Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I (=Studies in the Social and Cultural History of Warfare). Cambridge u.a. 2004, S. 87-121.
[33] Beller, “Tragic Carnival” S. 154-161, die Rose auf S. 158.
[34] Frey, Kálmán, S. 101.
[35] So etwa Franz Winter im Dezember 1998 am Gärtnerplatztheater in München und im Jahr darauf wesentlich radikaler Peter Konwitschny an der Semperoper in Dresden. Besonders zu letzterer umstrittener Inszenierung die Betrachtungen von Frank Kämpfer: “Inszenierung mit Nachspiel. Konwitschny’s Csárdásfürstin”, in: Oper&Tanz 1 (2000/2001), www.operundtanz.de/archiv/2000/01/bericht-dresden.shtml (7. Juni 2012).
[36] In diesen Kontext gehört es wohl auch, dass sowohl Kondja Gül als auch Midili jeweils eine Gesellschafterin haben, die beide recht einfach für ihre Liebeshändel übertölpeln; und beide Damen werden durch ihren Namen (Désiré und Miß Cooks) auf die Seite der Entente gestellt.
[37] Zu dieser “metropolitanen” Dramaturgie der Begierde in einer gutbürgerlich-städtischen Gesellschaft vgl. die klugen Beobachtungen von Linhardt, Residenz, S. 209-238.
[38] “Erst senden Sie täglich mir Blumen, wie einer Dame – zum Beispiel aus – Wien. […] Das ist das Glück nach der Mode, das führen wir Beide hier ein.” Rose von Stambul (Klavierauszug), Duett Kondja – Achmed, Nr. 11; Regiebuch, S. 53f. – Vor dem Krieg war solche Libertinage in das idealisierte Paris verlegt worden, vgl. etwa in Lehár’s Lustiger Witwe das Finale zum II. Akt mit Hanna Glawari’s Vision einer “Ehe ganz nach Pariser Art” (Nr. 12).
[39] Vgl. [Gustav] A[dolf] Göttmann’s Rezension “Metropol-Theater: ‘Die Rose von Stambul’”, in: Tägliche Rundschau vom 30. September 1917; die Rezension in der Deutschen Warte Nr. 272 vom 2. Oktober 1917. – Otto Schneidereit erklärt dies mit einer besonders ausgeprägt anti-britischen und anti-imperialistischen Lesart des Stücks, doch erscheint das unwahrscheinlich. Vgl. Fritzi Massary. Versuch eines Porträts. (Ost-)Berlin 1970, S. 56.
[1] Frey trifft es wahrlich genau, wenn er schreibt: Massary’s “Anbeter lagen ihr bedingungslos zu Füßen” und der renommierte Musikschriftsteller und Kritiker “Oscar Bie vollzog im Berliner Börsen-Courier einmal mehr das kritische Hochamt”; Frey, Leo Fall, S. 161. – Zum Kontext vgl. Schneidereit, Massary, S. 53-58; Frey, Leo Fall, S. 160ff.
[2] Vgl. etwa Bie im Berliner Börsen-Courier Nr. 459 vom 30. September 1917; Max Schievelkamp in den Berliner Neuesten Nachrichten Nr. 497 vom 1. Oktober 1917; Deutsche Tageszeitung Nr. 499, vom 30. September 1917; H. Schumann im Deutschen Kurier vom 1. Oktober 1917; Neue Preußische Zeitung Nr. 499 vom 1. Oktober 1917 – Bezeichnenderweise hatten im Vorjahr nach der Wiener Uraufführung entsprechende Hinweise noch gefehlt. Nun aber, 1917, berichtete die Berliner Volkszeitung gar, dass “zum ersten Male” bei einer solchen Premiere im Metropol gesehen wurde, wie “Brotschnitte verzehrt werden, die aus der eigenen Küche stammten. Ja gewiß, auch an den Metropoltheater-Premieren ist der Krieg nicht spurlos vorüber gegangen.” Nr. 499 vom 30. September 1917. Die Besprechungen aus der Berliner Presse finden sich im Landesarchiv Berlin A Pr.Br. Rep. 030-05 Nr. 716, Bl. 24-28.
[3] Vgl. Healy, Vienna and the Fall of the Habsburg Empire, S. 40 und 43f. – Auch das Osmanische Reich war von massivem Schrumpfen der Agrarerträge betroffen, woran auch die Einrichtung einer Ernährungskommission unter Vorsitz Talaat Pashas im Juli 1916 nichts änderte; vgl. Şevket Pamuk, “The Ottoman Economy in World War I”, in: Stephen Broadberry/Mark Henderson (Hrsg.), The Economics of World War I, Cambridge u.a. 2005,S. 112-136, hier S. 119-126.
[4] Die Habsburger Monarchie koordinierte die Ernährungs- und Agrarpolitik nur mangelhaft; dies erlaubte auch zu Kriegszeiten höhere Getreidepreise in der ungarischen Reichshälfte. Folgerichtig entwickelte sich der Handel: Vor Kriegsausbruch hatte Ungarn mehr als 2 Mio Tonnen Weizen geliefert; 1916 betrug dieses Kontingent gerade noch bei 100.000 t; vgl. Gustavo Corni, “Ernährung” in Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Hrsg. von Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz, in Verbindung mit Markus Pohlmann. 2., durchges. Aufl. Paderborn u.a. 2004, S. 461-464, hier S. 462. – Vgl. auch Healy, Vienna, S. 47-53.
[5] Vgl. Rauchensteiner, “Österreich-Ungarn”, S. 77.
[6] Adorno hat dies die “Logik des Warenhauses” genannt; vgl. Frey, “Kult und Kommerz”, v.a. 113; vgl. auch Beller, “Tragic Carnival”, S. 156.
[7] Abgedruckt etwa in der Arbeiter-Zeitung Nr. 293 vom 22. Oktober 1916, S. 1, aber auch ungekürzt in der Neuen Freie Presse Nr. 18740 vom 22. Oktober 1916, S. 2
[8] Noch im Mai 1916 war 1001 Souper (so benannt nach dem Schluß der Auftrittsarie des Tenors) der alleinige Arbeitstitel gewesen; doch schon Ende September benutzten die Beteiligten auch den letztendlichen Titel Rose von Stambul gleichrangig daneben; vgl. Frey, Leo Fall, S. 149 und 152 (der jedoch die Titeländerung nicht weiter kommentiert).
[9] Rose von Stambul, Regiebuch, S. 59. – Gertrud Marischka berichtete später in den Erinnerungen ihres Mannes, dass es um dieses allabendliche Souper eine Auseinandersetzung mit Karczag gegeben habe, der als “äußerst sparsam” verschrien war, so dass sich letztlich Hubert Marischka und seine Partnerin Betty Fischer “Abend für Abend aus eigener Tasche vom Hotel Sacher ein kleines Menü kommen lassen, um dem Kampf mit dem Pappdeckel zu entgehen.” Angesichts der Allabendlichkeit dieser Szene erscheinen jedoch mit Stephan Frey leichte Zweifel an der ansonsten hübschen Anekdote angebracht. Vgl. Frey, Leo Fall, 160. Hier scheint eher das Leben die Operette zu imitieren…
[10] Achmed: “Ich habe Sie europäisch bewirtet – jetzt muß ich Sie leider türkisch hinauswerfen!” Rose von Stambul, Regiebuch, S. 43.
[11] Rose von Stambul, Einlageduett Midili-Fridolin, Klavierauszug Nr. 17, sowie Regiebuch, S. 80 (Hervorhebung von mir). – Vgl. auch ebd., S. 57.
[12] Die satirische “Illustrierte Wochenschrift” Die Bombe schrieb: “Unsre Verbindung mit der Türkei, so segensvoll für alle Beteiligten, hat als Nebenprodukt eine Operette von Leo Fall gezeitigt. Die Handlung zu erzählen, ist bei einer modernen Operette überflüssig. Es gibt bekanntlich immer zwei Liebespaare, die im zweiten Finale rettungslos auseinandergehen, um im dritten Akt sich wieder zu versöhnen.” Die Bombe vom 10. 12. 1916, S. 3.
[13] Zum Wandel des Türkenbildes in der Habsburgermonarchie seit dem Ende einer unmittelbaren “Türkengefahr” vgl. Paula Sutter Fichtner, Terror and Toleration. The Habsburg Empire Confronts Islam, 1526-1850, London 2008; Maureen Healy (Oregon State University) arbeitet zur Zeit an einem entsprechenden Projekt zum späten 19. und 20. Jahrhundert; erste Ergebnisse, die jedoch für das vorliegende Thema weniger relevant sind, hat sie in einem Forum “The Ottoman Menace” im Austrian History Year Book 40 (April 2009), S. 101-153 herausgegeben.
[14] Vgl. Manfred Rauchensteiner, “Österreich-Ungarn”, in: Gerhard Hirschfeld u.a. (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. 2., durchges. Aufl. Paderborn u.a. 2009, S. 64-86, hier S. 76.
[15] Vgl. Ulrich Trumpener, “The Turkish War, 1914-1918″, in: John Horne (Hrsg.): A Companion to World War I (=Blackwell Companions to World History). Malden,MA 2012, S. 97-111, hier S. 107.
[16] Adg. “Theater an der Wien. Erstaufführung der Operette ‘Die Rose von Stambul’”, in: Österreichische Volks-Zeitung vom 3. Dezember 1916, Nr. 335, S. 8.
[17] Vgl. Orvar Löfgren, On Holiday. A History of Vacationing. Berkeley u.a. 1999, S. 155-209. – Im vergleich musste etwa Cetinje ungleich weniger bekannt gewesen sein; die damalige Hauptstadt des benachbarten Montenegro hatte in der Lustigen Witwe nicht einmal in pontevedrinischer Verballhornung als Schauplatz getaugt. Zur touristischen Infrastruktur vgl. Karl Baedeker, Österreich-Ungarn, nebst Cetinje, Belgrad, Bukarest. Handbuch für Reisende, 29. Aufl., Leipzig 1913, S. 401-404.
[18] Karl Baedeker, Konstantinopel, Balkanstaaten, Kleinasien, Archipel, Cypern. Handbuch für Reisende. 2. Aufl. Leipzig 1914; Meyers Reisebücher. Balkanstaaten und Konstantinopel (Anatolische und Bagdadbahn). 8. Aufl. Leipzig, Wien 1914. – Vgl. auch Djordje S. Kostić, “Baedeker und Meyer. Ein Bild der Balkanhalbinsel für Reisende”, in Balkanica 34 (2003), S. 221-235; Elmar Samsinger, “Vor allem bewundern wir an dem Türken die Menschenwürde.” Aus einem Reisehandbuch des Österreichischen Lloyd – Orientreisen um 1900″, in: Rudolf Agstner und Elmar Samsinger (Hrsg.), Österreich in Istanbul: K.(u.)K. Präsenz im Osmanischen Reich, Wien, Berlin 2010, S. 299-331.
[19] Lehár dirigierte zum Beispiel im April 1917 eine Wohltätigkeitsaufführung seiner Eva oder das Fabriksmädel (Libretto von Alfred Maria Willner, Robert Bodanzky und Eugen Spero, 1911)im Théâtre d’Hiver des Petits-Champs in Pera zugunsten des Roten Halbmonds; Vgl. Deutsches Bühnenjahrbuch 1918, S. 123. – Nach Wolfdieter Bihl gastierte zwischen 1916 und 1918 “in der osmanischen Hauptstadt eine Wiener Operettengesellschaft, welche wöchentlich drei Vorstellungen gab und mit jeder Aufführung ausverkaufte Häuser erzielte; da die muslimischen Frauen die Abendvorstellungen nicht besuchen durften, wurden spezielle Nachmittagsvorstellungen veranstaltet, zu denen nur Damen und Kinder Zutritt hatten. In den Operettenvorstellungen, in öffentlichen Gartenanlagen und bei sonstigen Anlässen konzertierte die Kapelle des k.u.k. Infanterieregiments Hoch- und Deutschmeister Nr. 4, die sich beim Publikum größter Beliebtheit erfreute. […] Alle dieses Unternehmungen standen unter der Leitung des Chefs der Propagandaabteilung Pomiankowskis, Oberleutnant Schreckers, der Transport, Unterbringung, Verpflegung des Personals sowie den wichtigen Verkehr mit den osmanischen Behörden regelte.” Wolfdieter Bihl, “Die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg”, in: Österreichische Osthefte 24 (1982), S. 33-52.
[20] P[aul] F[rank]: “Zum ersten Male: Die Rose von Stambul”, in: Fremden-Blatt vom 3. Dezember 1916, Nr. 335, S. 12. – Der Topos vom Helden als Nebenbuhler seiner selbst geht zumindest zurück auf Richard Sheridan’s Erstlingswerk The Rivals von 1775.
[21] Kondja schreibt in ihr Tagebuch, laut lesend, dass sie einen Liebesbrief geschrieben hat an ihn, “mein angebeteter André Lery, der Dichter, der so gut in unseren Seelen zu lesen weiß”. Kurze Zeit später erhält sie ihrerseits einen Liebesbrief von Lery als Antwort mit der Ankündigung, dass er in Stambul eingetroffen sei; allerdings wird die Lektüre unterbrochen von Midili mit einer Ankündigung eines Rendez-vous’ mit ‘ihrem’ Europäer, Fridolin Müller, und Lery’s Brief wird nicht weiter erwähnt. Rose von Stambul (Regiebuch) I 5, S. 13 und 16ff..
[22] Rose von Stambul I 8, Regiebuch, S. 29.
[23] “Eine Biographie Hubert Marischkas nach eigenen Berichten, aufgezeichnet von Gertrud Marischka”; zitiert nach Frey, Fall, S. 157. – Eine ähnliche Vermutung hat auch Otto Schneidereit aufgestellt in Fritzi Massary, S. 54f.
[24] Mustafa Kemal wurde nicht einmal zu den offiziellen Siegesfeiern in Konstantinopel eingeladen. Vgl. Klaus Kreiser, Atatürk. Eine Biographie. 2. Aufl. München 2011, S. 95. – Zu seinen dichterischen Ambitionen vgl. ebd., S. 35, zu seinen Französischkenntnissen ebd., S. 103 und 112. – Zwar hatte bereits Anfang 1916 der österreichische Kriegsmaler Wilhelm Viktor Krausz Anfang 1916 für ein Album ein Ölbild Mustafa Kemal’s angefertigt, doch zeigt dies den Sieger von Anafartalar in Felduniform mit dem Tuchhelm der Enveriye und nicht mit dem charakteristischen Fellkragen (vgl. Kreiser, Atatürk, S. 94); das “Monocle” war ohnehin eher ein Versatzstück, dass auf deutsche Offiziere hinwies, jedenfalls finden sich keine Darstellungen von Mustafa Kemal oder von Enver Pascha mit einer Sehhilfe irgendwelcher Art.
[25] Vgl. etwa das euphorische Portrait in der Neuen Freien Presse vom 3. November 1914, Nr. 18030, S. 1. – Es sei allerdings bemerkt, dass – ganz im Unterschied zum Ministersohn Achmed Bey – sowohl Mustafa Kemal als auch Enver aus eher einfachen Verhältnissen stammten und ihre Karriere als Folge der ‘jungtürkischen Revolution’ machen konnten. Darauf ist wohl auch der etwas halbseidene Eindruck zurückzuführen, den Enver auf Johannes Lepsius machte – und den Franz Werfel in seinem Roman zum Genozid an den Armeniern durch eine Assoziation mit dem bekannten Auftrittslied des Sandor Barinkay aus Johann Strauß’ Zigeunerbaron illustriert. Vgl. Die vierzig Tage des Musa Dagh [1933]. (=Franz Werfel. Gesammelte Werke in Einzelbänden). Frankfurt am Main 1990, S. 155.
[26] Insbesondere der Name des weiblichen Buffo-Parts, Midili Hanum, war dem zeitunglesenden Publikum in Wien durch den, nach dem Hauptort der seit 1913 griechischen Insel Lesbos (Mytilene, türkisch: Midilli) benannten türkischen Kreuzer (vormals: SMS Breslau) bekannt; vgl. Frey, Fall, S. 157.
[27] Bemerkenswert ist hier auch der Text: “Man sagt uns nach, dass wir in punkto Damen einem Prinzip nur treu – der Lieb’ engros, dass immer neun bis zehn auf einen kamen, heut aber ist das längst schon nicht mehr so!“ Rose von Stambul (Klavierauszug). Leipzig, Wien, New York 1916, Nr. 5, S. 20, und Rose von Stambul (Regiebuch), S. 30. – Vgl. Volker Klotz, Operette, S. 311f.
[28] Klotz, Operette, S. 312.
[29] Vor allem im Refrain: “Euch ihr Frauen / gilt meine Serenade / Denn nur euch allein / tönt meines Lebens Lied / Uns’re Herzen / empfehl ich eurer Gnade / bleibt nicht kalt, wenn einst / ein Bettler vor euch kniet”. Rose von Stambul (Klavierauszug), Nr. 8 (“Ihr stillen, süßen Frau’n”), S. 34ff. – Das Regiebuch kennt hier die Variante in der Reprise: “[…] bleibt nicht kalt, wenn einst / der Sieger vor euch kniet.” Rose von Stambul, Regiebuch, S. 45.
[30] Rose von Stambul (Regiebuch), S. 67. – Der Klavierauszug gibt für diese Stelle die Anweisung: “mit größter Kraft” Rose von Stambul (Klavierauszug), Nr. 14 (Duett Kondja-Achmed), hier S. 62.
[31] Beide Zitate Frey, Leo Fall, S. 155f.
[32] Rose von Stambul (Klavierauszug), Auftritt Nr. 2, S. 10. – Vergleiche hierzu auch Kondjas Ausbruch gegenüber ihrer Gesellschafterin in I 7: Desiré: “Ist es denn gar so schrecklich zu heiraten?” Kondja: “Sie sind Europäerin, was wissen sie davon! Da sehen Sie die vergitterten Fenster – das ist unser Los! Wochen-, monate-, jahrelang das ewige Einerlei. Einmal möchte man was erleben – etwas, das leuchtet, vibriert – das Lärm macht – es kommt niemals. – Keine Luft – kein Raum – es ist zum ersticken!” Rose von Stambul (Regiebuch), S. 28.
[33] Rose von Stambul (Klavierauszug), S. 13, und (Regiebuch), S. 15.
[34] Ebd.
[35] Ebd. – Es entbehrt nicht der Ironie, dass zur Zeit der Komposition dies auch als Hinweis auf die schier endlose Regierungszeit Kaiser Franz Josef’s hätte verstanden werden können; doch unmittelbar vor der Uraufführung verstarb der alte Kaiser nach 68jähriger Regentschaft, und die Theater schlossen für mehr als eine Woche ihre Pforten. Vgl. “Theater- und Kunstnachrichten”, in: Neue Freie Presse, Nr. 18773 vom 24. November 1916, S. 15. Franz Josef’s Nachfolger, der neue Kaiser Karl I., schien zwar durchaus Veränderungen durchzusetzen, doch zu zögerlich, und so blieb “alles, alles, alles, wie es war” – bis zum bitteren Ende der Habsburgermonarchie.
[36] Das Wort “Flirt” lässt sich erst seit 1890 in der deutschen Sprache nachweisen; damit war es zwar keine völlige Novität mehr, aber doch noch immer neuartig genug, um einen ‘modernen’ (im Sinne von neuartigen) Akzent zu setzen. Vgl. Wolfgang Viereck, [Das Deutsche im Sprachenkontakt.] Britisches Englisch und Amerikanisches Englisch/Deutsch, in: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2., völlig neu bearb. und erw. Aufl. Hrsg. Von Werner Besch, Oskar Reichmann und Stefan Sonderegger, Berlin 2004, S. 3317-3330, hier S. 3319.
[37] Rose von Stambul (Regiebuch), S. 16, sowie S. 33, 45 und 47.
[38] Rose von Stambul (Regiebuch), S. 19. – Auch Kondja ironisiert traditionelle Vorstellungen und Phantasien über den Harem, etwa das Winken mit dem Taschentuch, in II 6; Regiebuch, S. 53. Für eine kritische Evaluierung des Harems als Symbol für “orientalischen Despotismus”, siehe Christine Isom-Verhaaren, “Royal French Women in the Ottoman Sultans’ Harem: The Political Uses of Fabricated Accounts from the Sixteenth to the Twenty-First Century”, in: Journal of World History 17.2 (Juni 2006), S. 159-196, hier besonders S. 178-184.
[1][39] In I 6, mit Duett Nr. 4: “Als fromme Tochter des Propheten” – Die Szene schließt mit der Reprise des Refrains, der hier nun angesichts von Midili’s Entschleierung eine ganz andere Bedeutung bekommen hat: “‘s ist alles im Leben Bestimmung […] D’rum halt ich fein still, wie es Mohamed will, und wart’ was mein Fatum mir bringt.” Rose von Stambul (Regiebuch), S. 23-26.
[40] Rose von Stambul (Regiebuch), S. 85.
[41] Zitat P[aul] F[rank], “Zum ersten Mal: Die Rose von Stambul”; vgl. auch Schreiber, “Als Operettenneuheit” (beide wie in Anm. 4).