Kevin Clarke
Operetta Research Center
10 March, 2014
Jetzt mal im Ernst: Kurt Weill ein Operettenkomponist? Das ist zugegebenermaßen nicht das erste, was einem zu “Kurt” einfällt, oder? Obwohl Karl Westermeyer in seinem Buch “Die Operette im Wandel des Zeitgeistes” bereits 1930 die ‘Dreigroschenoper’ (1928) als “unwiderstehlichen” Erneuerungsversuch des Genres Operette bezeichnet hat und ihr eine “Regeneration des Stils” vorhersagte.
Eine Regeneration, die allerdings am Widerstand des “vorwiegend aus der älteren Generation sich noch zusammensetzenden Operettenpublikums” scheitern könnte, wie Westermeyer fürchtete. (Er sollte so recht haben.) Weill schrieb später zwei explizit als “Operetten” gekennzeichnete Werke, den ‘Kuhhandel’ 1935 in Paris, dann den ‘Firebrand of Florence’ 1945 in seiner neuen amerikanischen Heimat. Diese US-Operette, entstanden in Zusammenabreit mit Librettist Ira Gershwin, ist ein Stück über den Renaissance-Künstler Benvenuto Cellini und dessen Amouren in Florenz. Weswegen das Stück in den Voraufführungen auch noch als “Much Ado About Love” angekündigt worden war. Die Broadwayproduktion unter dem ‘Firebrand’-Titel floppte dann aber im Frühling 1945 und wurde nach nur 43 Aufführungen abgesetzt. Kein Cast Album wurde aufgenommen, das Werk vergessen. Bis im Januar 2000 in der Londoner Barbican Hall ein Live-Mitschnitt der europäischen Erstaufführung entstand, der in der Kurt-Weill-Serie des Labels Capriccio erschien. Diese Konzertfassung bot einige prominente Namen: den sexy Bariton Rodney Gilfry als Frauenheld Cellini, Felicity Palmer als lüsterne Herzogin von Florenz sowie Sir Andrew Davis am Pult des BBC Symphony Orchestras.
13 Jahre später wagte sich die Staatsoperette Dresden an das Werk und bot in ihrem Schuhkarton-Theater im Vorort Leuben die erste szenische Aufführung des Werkes seit 1945. Eine “höchst lobenswerte Pioniertat”, wie Joachim Lucchesi im Programmheft schreibt, mit “Fernwirkung”. Diese Fernwirkung war nun zum Abschluss des 22. Kurt-Weill-Fests in Dessau als Finale aufs Programm gesetzt. Ein Fest, das 16.100 Besucher aus aller Welt angelockt hatte, zu insgesamt 50 Vorstellungen in 17 Tagen.
Aufbruch & Medien
Was der ‘Firebrand of Florence’ genau mit dem Festival-Motto “Aufbruch: Weill & die Medien” zu tun hat, war mir nicht ganz klar. Ist aber auch egal, weil es natürlich so oder so spannend ist, ein seltenes Werk wie diese Broadway-Operette live auf der Bühne zu erleben. Noch dazu auf der großen Bühne des Anhaltischen Theaters mit seiner fabelhaften Akustik. Wegen dieser Akustik hatte ich auch darauf verzichtet, die Produktion im Oktober 2013 in Leuben zu sehen, sondern wartete lieber aufs Weill-Fest. Ich muss allerdings gestehen, dass mich die diversen Zeitungskritiken zur Premiere in Dresden nicht darauf vorbereitet hatten, was ich an diesem Sonntagabend in Dessau zu sehen und zu hören bekam. Ich habe selten ein Theater derart geschockt verlassen. Und mich schockt so schnell nichts mehr, dachte ich.
Fangen wir mit dem Positiven an: Die geniale Orchestrierung Weills, dieser typische Broadway-Tonfall seiner Begleitung, klang im Großen Haus des Anhaltischen Theaters – trotz aller Wackler und Pannen im Spiel des Orchesters der Staatsoperette Dresden unter Leitung von Andreas Schüller – überwältigend. Mehr noch, dieser Orchesterklang stellt das, was man auf der Doppel-CD aus London hört, als Erlebnis weit in den Schatten. Da funkelte in jeder Sekunde der Genius Weills, da glitzerten die Streicher, die Blechbläser und der atemberaubende Holzbläsersatz. Man spürt, wie sehr Weill den typischen Broadway Sound der Ära aufgesogen und zu etwas Eigenem, Unnachahmlichen neu zusammengesetzt hat, das nach wie vor Weltklasse ausstrahlt. Selbst, wenn in dem Stück keine Einzelsongs vorkommen, die Weltruhm erlangt haben. Gleichwohl das witzige “Sing Me Not a Ballad” (für Lotte Lenya als Herzogin komponiert) und “A Rhyme for Angela” des Herzogs Hitparaden-Potenzial haben.
Die teils grotesk überspitzte Geschichte um Cellini und die extrem gezeichneten Charaktertypen in dieser Komödie würden heute vielfältige Ansätze bieten, um einen spannenden oder zumindest interessanten Theaterabend zu gestalten: altes Ehepaar in der Beziehungskrise (Herzog/Herzogin), liebeshungrige Frau auf der Suche nach Erfüllung (Herzogin), seniler alter Mann, der sich statt Staatsgeschäften lieber der kurzweiligen Ablenkung mit Aktmodellen widmet (Herzog), ein aufschneiderischer Held, der sich zwischen Häuslichkeit und Langeweile oder seiner Kunst entscheiden muss (Cellini), Intriganten, die nach der Macht streben (Ottaviano di Medici), Exekutionen und politische Willkür an allen Ecken und Enden. Und am Ende siegen Liebe und (!) Kunst (“Life, Love and Laughter”).
Viel Lärm um Liebe
Was wurde aus all dem in der szenischen Umsetzung von Regisseur Holger Hauer und dem Ensemble der Staatsoperette Dresden in der neuen deutschen Fassung ‘Viel Lärm um Liebe’? Sagen wir’s mal so: Ich habe seit langer Zeit keine so hässlichen Kostüme und Bühnenbilder gesehen, wie die von Christoph Weyers. Sie erinnerten mich teils an 1980er-Jahre-Kindertheater der schlimmsten Sorte: Frauen in blauen Perücken, Soldaten in schlecht sitzenden schwarzen Fetisch-Anzügen aus Plastikpolster, ein Ballett der grün bemalten Körperanzüge, aufblasbare rote Strandsessel als Mobiliar eines Hohen Gerichts usw. usf. Ich weiß nicht, ob das “vorwiegend aus der älteren Generation sich noch zusammensetzenden Operettenpublikum” in Leuben so etwas goutiert, aber bei einem internationalen und jungen Musikfestival wie Dessau ist das schlichtweg indiskutabel.
Nun muss ich gestehen, dass ich die optischen Abschleulichkeiten hätte übersehen können, wenn die Besetzung mit Spielfreude und Charakterzeichnung einen spannenden Theaterabend abgeliefert hätte. Leider war jede – und ich meine wirklich jede! – Rolle in dieser Produktion stimmlich und vom Typ her falsch besetzt. Es wäre unfair hier alle Namen aufzuzählen, da die Sänger teils durchaus gut waren und nichts dafür können, dass man sie zu dieser Produktion verdonnert hat. Sie mussten Operettenpersonal der schlimmsten und abgestandensten Sorte spielen, die ein Werk vergewaltigen, das eben nicht (!) eine verstaubte, belanglose, langweilige Klischee-Operette dieser Sorte sein will . Und im Orchestergraben auch nicht so klang!
Vermutlich ist dies die Ästhetik, die Staatsoperetten-Intendant Wolfgang Schaller allen Stücken an seinem Haus verordnet und gegen die selbst gute Regisseure nicht ankommen, selbst wenn sie das wollen. Mag sein, dass Herr Schaller damit seine Abonnenten in der Provinz glücklich macht. Dass aber die künstlerischen Verantwortlichen in Dessau einen solchen Schrott zum Weill-Fest einladen und dies einem von weither angereisten Publikum als Finale des Festivals anbieten, ist bedauerlich. Denn es entwertet ein ansonsten erfolgreiches Kurt-Weill-Fest 2014.
Twitter-Symphonie
Zur Erinnerung: Diesmal waren Dirigent Antony Hermus und seine Anhaltische Philharmonie “Artist in Residence”. Sie sorgten mit ihren fulminanten Konzerten für große Aufmerksamkeit, besonders mit der inzwischen schon berüchtigten “Twitter-Symphonie”. Hermus war bei der Abschlusspressekonferenz sichtlich bewegt und zu Tränen gerührt, dass er in dieser fürs Anhaltische Theater und Orchester extrem schwierigen Phase derart positives Feedback von allen Seiten für die Leistung seines Ensembles bekam.
Nächstes Jahr geht’s beim Kurt-Weill-Fest ums Thema “Vom Lied zum Song”, wobei auch der 1794 in Dessau geborene Dichter Johann Ludwig Müller berücksichtigt werden soll, Autor von “Die schöne Müllerin” und “Die Winterreise”. Man wird also klassisches Liedgut in Kombination mit Weills berühmten und weniger berühmten Songs hören können. Eine aufregende Begegnung, keine Frage. Hoffentlich wieder mit Antony Hermus und seiner Anhaltischen Philharmonie.