„Josephine Baker“: Kritische Gedanken zur Ausstellung an der Neuen Nationalgalerie Berlin

Evelin Förster
Operetta Research Center
8. März 2024

In der Neuen Nationalgalerie in Berlin ist derzeit die Ausstellung Josephine Baker. Icon in Motion zu sehen. Sie beschäftigt sich mit dem Leben und der Karriere Bakers, die auf vielen Ebenen eine „Ikone“ war und die auch im Bereich der Operette ihre Spuren hinterlassen hat. Ralph Benatzky schreibt in seinem Tagebuch über sie, in Offenbachs La Créole übernahm Baker die Hauptrolle. Auf die jetzige Berliner Ausstellung – zusammengestellt von der US-Künstlerin Kandis Williams und Klaus Biesenbach – reagierte Evelin Förster (Autorin des Buch Die Frau im Dunkeln und Ko-Kuratorin der Ausstellung zur Revolution in Deutschland 1918/19 mit vielen Verweisen auf Operette und Unterhaltungsmusik) in einem Brief an Biesenbach als Direktor der Neuen Nationalgalerie. Wir veröffentlichen Försters Gedanken hier, weil sie vielleicht zum weiteren Nachdenken und zum Widerspruch/Zuspruch anregen.

Josephine Baker. Icon in Motion

Blick in die Ausstellung “Josephine Baker. Icon in Motion“ (Foto: Neue Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin)

Dies ist eine ganz persönliche Betrachtung der Ausstellung, die ich gleich mit einerv Ergänzung beginnen möchte: die deutsche Bezeichnung „Ikone in Bewegung“ hätte ich hinzugefügt, da es sich um eine in Berlin, in der Neuen Nationalgalerie, gezeigte Ausstellung handelt.

Ja, in Bewegung war Josephine Baker (1906–1975) im wahrsten Sinne des Wortes, was in der Ausstellung auch zu sehen ist: eine bewegte Biographie in bewegenden Bildern, in Tänzen voller neuer rhythmischer Bewegungen, Bewegung zwischen Städten und Kontinenten – ruh- und rastlos. Mit welcher Leichtigkeit sie den Charleston kreierte, das klassische Ballett mochte sie übrigens nicht, und ihn nicht nur nach Berlin brachte, zeigen verschiedene Filmausschnitte. In einem atemberaubenden Tempo gibt sich ihr Körper den Rhythmen hin, schneidet sie Grimassen, verdreht die Augen, dass der Anblick schmerzt, zeigt ihre schneeweißen Zähne unter rotgeschminkten Lippen und alles scheint federleicht zu sein.

Josephine Baker. Icon in Motion

Josephine Baker, Paris 1927 (Foto: James Weldon Johnson Memorial Collection of Negro Arts and Letters, Yale University)

 

Ihre exotische Wirkung ist faszinierend, die unmittelbar mit den afro-amerikanischen Rhythmen eine Symbiose eingeht, wie die Filmausschnitte zeigen. Aber auch die Fotos u.a. von Madame d’Ora (eigentl. Dora Kallmus) zeigen Josephine Baker als eine erotisch-exotische Erscheinung. Madame d’Ora fotografierte Größen aus der Kunst- und Modewelt, aus der Politik und der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts; jeder, der etwas auf sich hielt, musste von ihr fotografiert sein. Und so war es nicht verwunderlich, dass auch Josephine Baker vor die Kamera von d’Ora trat – die Fotos sind heute weltberühmt und wurden in Deutschland u.a. in Das Magazin oder in Die Dame publiziert.

Josephine Baker. Icon in Motion

Josephine Baker fotografiert von George Hoyningen-Huene, 1929 (Foto: George Hoyningen-Huene Estate Archives)

Neben dem bildhaft Sichtbaren gibt es auch sehr viel zu lesen. Und da beginnt das erste Ärgernis. Wohl dem, der die Texte in Englisch lesen kann und auf die deutschen nicht angewiesen ist. Im Deutschen werden die biographischen Skizzen (ihr Leben als Tänzerin, Schauspielerin, Sängerin, Adoptivmutter, Widerstandskämpferin), denn mehr können die Texte nicht sein, in Gendersprache geschrieben. So stolpert man von einem Sternchen zum nächsten und muss die Zerstückelung der deutschen Sprache ertragen, ob man wolle oder nicht.

Josephine Baker. Icon in Motion

Ausstellungsansicht “Josephine Baker. Icon in Motion“. (Foto: Neue Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin)

Dazu kommt, und das ist wahrscheinlich das Neue und Moderne in der deutschen Sprache, dass „Schwarz“ grundsätzlich großgeschrieben wird. Erklären lässt sich diese Schreibweise auf jeden Fall nicht. Oder will man übertrieben voreilig „politisch korrekt“ sein? Wenn ja, dann fehlt auf alle Fälle am Eingang der Ausstellung eine Triggerwarnung, denn die junge, heranwachsende Besucherschar wird mit sehr viel Nacktheit konfrontiert.

Und viele Tänze in Nacktheit – und hier hätten wir eine erste Beziehung zu Berlin – gab es in dieser Stadt bereits, dargestellt durch Olga Desmond, seit 1909. Als Josephine Baker Berlin eroberte, war allerdings Olga Desmond nicht mehr „en vouge“. Nach Ende des Ersten Weltkrieges, also ab 1918, erfreuten sich das Berliner Publikum und die Gäste der Stadt in Kabaretts, Varietés, in Revuetheatern (James Klein war für seine Nackt-Revuen bekannt) sowie an Schönheits-, Nackt- und Schleiertänzen. Anita Berber, Celly de Rheydt oder Erna Offeney sollen als Vertreterin diese Genres genannt sein. Nicht zu vergessen Valeska Gert, die als Grotesk-Tänzerin nicht nur in Berlin, sondern auch in Paris, Erfolge feierte. Valeska Gert führte übrigens in den Jahren 1926/27 einen Negertanz auf, zu dem sie einen schwarzen, den ganzen Körper bedeckenden, enganliegenden Dress trug, dazu schwarze Schuhe mit weißen Galoschen, einen schwarzen Hut mit weißer Borte. Hier wäre ein interessanter Ansatzpunkt, der Bezug zu Berlin nehmen könnte. Denn der Bezug zu Berlin fehlt in dieser Ausstellung völlig. Unverständlich.

Die Ausstellung wurde von der Bundeskunsthalle Bonn (kuratiert von Dr. Mona Horncastle) nach Berlin „geholt“ bzw. von hier übernommen. Und wenn eine Ausstellung übernommen werden soll, oder neu kuratiert wird, braucht es ja einen Grund, einen Anlass. In diesem Falle war es der erste Auftritt von Josephine Baker zum Jahreswechsel 1925/1926, als sie mit ihrer Künstlergruppe mit der „Revue Nègre” im Nelson Theater am Kurfürstendamm Berlin auftrat.

Und nun sucht man vergebens nach Informationen, Werbung oder Kritiken zu diesen Auftritten. Die Texttafeln verraten, dass Josephine Baker sehr erfolgreich gewesen sei und Max Reinhardt sie ans Deutsche Theater verpflichten wollte – das sind dann aber auch schon die einzigen Informationen, die dem Besucher angeboten werden. Leider! (Nebenbei: Fragen Sie mal bei den jungen Besuchern nach, wer Max Reinhardt war?!) Denn wenn es gewollt gewesen wäre, dann hätte dem Publikum ein kleiner Exkurs, wobei die Betonung auf „klein“ liegt, in die Zeit, in der Josephine Baker in Berlin weilte – das war der Jahreswechsel 1925 zu 1926 und noch einmal 1928 – offeriert werden können. Warum ein solcher Exkurs ausbleibt, ein spannendes, temporeiches, urbanes Berlin genau dieser Zeit zu zeigen, natürlich nur in kleinen Bruchstücken, bleibt eine offene Frage.

Josephine Baker. Icon in Motion

Josephine Baker fotografiert von George Hoyningen-Huene, 1929 (Foto: George Hoyningen-Huene Estate Archives)

Was explizit Josephine Baker und ihre Revue betrifft, so findet man in den Tageszeitungen u.a. in der Vossischen Zeitung, dem Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, der Berliner Börsen-Zeitung für die Monate Januar/Februar 1926 Annoncen für die Revue im Nelson-Theater. Weiterhin verschiedentlich kleine Bemerkungen innerhalb von Artikeln über das Kabarett und Revuen in Berlin, so z.B. von Max Hermann-Neiße, Fritz Engel, oder auch eine Rezension in der Berliner Börsen-Zeitung vom 7.1.1926, Teil 2, S. 10. Es ist nicht ausreichend zu schreiben, dass Josephine Baker große Erfolge feierte. Gern würde man Kritiken oder Besprechungen aus den Primärquellen lesen, um so ein Zeitgefühl, auch für die damals aktuelle Umgangssprache zu erlangen. Denn nur aus der heutigen Sicht zu agitieren und damit das einzig Wahre zu erklären, verkürzt und verklärt die Kulturgeschichte.

Hier ist ein Auszug aus o.g. Kritik:

Wer überhaupt etwas für derartige Revuen übrig hat, muß zugeben, daß Caroline Dudleys (Agentin von Josephine Baker, E.F.) Truppe Künstler von hohem Range zu ihren Mitgliedern zählt: Louis Douglas, der Verfasser und Hauptdarsteller, ist ein Könner. Sein Humor ist tragi-grotesk wie der Chaplins. […] Neben ihm die schlanke, schöne Josephine Baker, die mit zerknülltem Schleier eine verlassene Braut tanzt. Sie ist die echteste. In ihr ist das Negertum am reinsten. Sie verzerrt alles – schielend – Bauch und Hüften vorstreckend wie ein Kängeruh. Prächtig, wie Maud de Forest ihre Lieder schreit. Fabelhaft Tommy Woods. Ein Schlangenmensch scheint gegen ihn ungelenkig. Sein rechtes Bein schlenkert nach links, das linke wirbelt nach rechts. […] Dazu entzückende Girls, von denen jede ein Star ist. Und eine hervorragende Kapelle, die den Jazz parodiert. […] sie gibt den Rhythmus, kommt aus dem Blute. Aus dem Urwald. […] Das Höchste in dieser Revue (genial -): die Parodie des unübertrefflichen Douglas auf den sterbenden Schwan der Pawlowna. […] Begeistern wir uns an ihren Rhythmen, an ihren Grotesktänzen […].

Jedes Jahr fand in Berlin am letzten Januarwochenende der Presseball statt. Dieses Mal war es Samstag, der 30. Januar 1926. Durchaus möglich, dass auch Josephine Baker Gast gewesen sein könnte? Darüber gibt es keine Notiz, aber in der Vossischen Zeitung vom 1. Februar 1926 stand folgendes zu lesen:

„Sozialistenball“ Er findet immer gleichzeitig mit dem Presseball statt, hat ebenfalls Tradition und ist immer wieder, genau wie der Presseball, ganz neu. Sein Name führt etwas irre, er müßte eigentlich richtig heißen: Ball für die Freunde und Bekannten der „Sozialistischen Monatshefte“. Das sind immer einige tausend, die kommen: Künstler, junge Leute, beste Berliner Gesellschaft. Alles bunt durcheinander gewürfelt, eine reizvolle Mischung, und da Kostümzwang herrscht, kann man so ausgelassen sein, wie man will. […] In einem Saal spielte eine wundervolle Neger-Jazzband so aufreizend, daß man sich gar nicht trennen konnte. Spät nachts erschien dann noch die schokoladenbraune Josefine Baaker [sic!], das Tanzphänomen, in einem entzückenden Kostüm und tanzte mit jedem, der sie nett aufforderte. Das war ein Andrang. Bekannte Gesichter: Man sah furchtbar viel bekannte Gesichter. So viel, daß es unmöglich ist, sie alle aufzuzählen. Genügt es nicht, wenn man sagt: von Orlik über Otto Flake bis zur Baaker? Und da es wieder einmal so nett war, mußten die Kellner um 6 Uhr morgens die Fenster öffnen, damit die frische Morgenluft die letzten Gäste gewaltsam vertrieb.

Auf einem der in der Ausstellung zu lesenden Texten steht, „Karl Gustav Vollmöller portraitierte sie in einer Fotoserie und Harry Graf Kessler schrieb ein Ballett mit Motiven aus dem Hohelied Salomons in dem Josephine Baker die Hauptrolle spielen sollte.“ Harry Graf Kesser notiert am 13. Februar 1926 in sein Tagebuch (Auszug):

Vollmoeller wollte für die Baker ein Ballett schreiben, das er noch in dieser Nacht fertigzumachen und Reinhardt zu geben vorhatte. Eine Kokottengeschichte. Zwischen Reinhardt, Vollmöller und mir, die darum herum standen, lagen die Baker und die Landshoff wie ein junges, bildschönes Liebespaar umschlungen. Ich sagte: ich würde für sie eine Pantomime nach Motiven des Hohen Liedes Salomonis schreiben, die Baker als Sulamith, die Landshoff als Salomo oder als jungen Liebhaber der Sulamith. Die Baker im Kostüm (oder Nicht-Kostüm) orientalisch antik, Salomo im Smoking, eine ganz willkürliche modern-antike Phantasie nach halb Jazz-, halb orientalischer Musik, vielleicht von Richard Strauss. Reinhardt war von der Idee begeistert, ebenso Vollmoeller […].

In der mir vorliegenden Autobiographie Josephine Baker. Ausgerechnet Bananen (erste Auflage 1976 aus dem Französischen) beschreibt sie ihre Eindrücke vom ersten Berlin-Aufenthalt, wobei für sie die Pension, wo sie mit den Revue-Girls wohnt, wohl einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Es ist ein solides Haus mit hochbürgerlicher Wandtäfelung, wie ich sie noch nie gesehen habe, ich entdecke in Berlin das beste Bier der Welt. Vom Kurfürstendamm aus gesehen, wirkt die Stadt auf mich wie ein funkelndes Kleinod; abends glänzt sie in einer Pracht, wie Paris sie nicht kennt. Ich bin hingerissen: die großen Cafés sind wie Ozeandampfer und die Orchester ihre Maschinen, die alles durchdröhnen und in Bewegung halten. Die Musik ist überall. Unser Erfolg am Thèâtre des Champs-Elysées ist uns vorausgeeilt und sorgt für einen stürmischen Empfang […].“ Sie beschreibt weiter die Begegnung mit Max Reinhardt, der sie ans Deutsche Theater verpflichten möchte. „Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Bleiben Sie in Berlin, am Deutschen Theater. Studieren Sie drei Jahre lang, dann werden Sie eine große Schauspielerin sein …

Dass sie nicht in Berlin blieb, erzählt ihre Biographie.

Josephine Baker. Icon in Motion

Blick in die Ausstellung “Josephine Baker. Icon in Motion“ (Foto: Neue Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin)

In der Ausstellung werden zu den Filmausschnitten zwei längere Filme über das Leben der Baker gezeigt. Einer davon in Englisch mit englischen Untertiteln – warum eigentlich? Der einzige, in deutscher Sprache laufende Film wurde so hervorragend platziert, dass es völlig unmöglich ist, dem gesprochenen Wort zu folgen. Zwischen Museums-Shop, Café und Eingang zur Ausstellung stehen drei größere Sitzgelegenheiten, auf denen max. 6 (schlanke!!!) Personen Platz finden. Die Lautstärke des Films ist auf einem so niedrigen Level eingestellt, dass das Gemurmel, Geschwätzt, Lachen der Besucher und das Zischen der Kaffeemaschine diesen übertönt. Freude kommt nicht auf.

Durch die Ausstellungsräume ziehen sich in Höhe einer Fußbodenleiste, gleich einer Schlangenlinie, Angaben zu Liedern, Filmen oder was auch immer. Wiederum in englischer Sprache und es wird nicht ersichtlich, wohin die Sätze eigentlich gehören … Ach so, die Agentin Caroline Dudleys wollte, als sie das Nelson-Theater am Kurfürstendamm betrat, das Gastspiel sofort absagen, so geschockt war sie von dem kleinen Saal. „Dieses Podium, mein Herr, ist keine Bühne für eine Tänzerin. In dieses kleine Zimmer gehen ja kaum unsere Musiker hinein.“ […] „Ich baue gern um und an und zu und aus“, versprach er. Und zuletzt sagte er: „Aber die Baker tritt auf.“, so in der Berliner Zeitung vom 13./14. Januar 1996.

Josephine Baker. Icon in Motion

Josephine Baker. (Foto: From the Collection: Hughes, Langston, 1902-1967 / Photographs of Prominent African Americans. James Weldon Johnson Collection in the Yale Collection of American Literature, Beinecke Rare Book and Manuscript Library)

Josephine Baker in Berlin – man hätte eine Beziehung zwischen ihr und dieser Stadt anhand von Primärquellen herstellen können, wie die wenigen Beispiele zeigen. In Berlin gibt es interessante Archive, in denen Schätze schlummern, die eigentlich „gehoben“ werden müssten. Unweit der Nationalgalerie befindet sich im Kulturforum die Kunstbibliothek mit ihrem Zeitungs- und Bildarchiv, die Grafische Sammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit einer großen Plakatsammlung, in der Staatsbibliothek ein weiteres Zeitungsarchiv und das Bildarchiv, das Museum für Kommunikation besitzt eine große Postkartensammlung und das Stadtmuseum kann mit einer Fotografischen Sammlung wie einer Kabarettsammlung aufwarten.

Es ist schade, dass zwar Berlin als „Aufhänger“ für die Ausstellung dient, aber dennoch im Dunkeln bleibt.

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