Kevin Clarke
Frankfurter Zeitschrift für Musikwissenschaft (FZMw)
10 September, 2009
Korngold und die Operette – das ist ein faszinierendes Thema, weil es den Komponisten im Spannungsfeld von ideologischen Widersprüchen der 1920er Jahren zeigt, anhand derer sich viel von dem beleuchten lässt, was ohnehin spannend ist an der Beschäftigung mit Operette in der Zeit des Interbellum. Die Meinungen zu Korngolds Leistung auf dem Gebiet der Operette gehen dabei weit auseinander. Während die einen Korngold (damals) zum Retter der ‚klassischen Operette’ (v)erklärten, galt er anderen als (typisch ‚jüdischer’) Schmarotzer und Profiteuer. Beides sind Urteile, die bis in die Gegenwart wiederholt werden, meist in völlig anderem Kontext. Um sie zu begreifen, muss man wissen, welche Ansprüche und Erwartungen an die Kunstform sich dahinter verbergen. Und warum Korngold derart zwischen die Fronten geraten konnte. Und immer noch kommt.
Als Kompass für die Beschäftigung mit Korngolds Operettenschaffen soll hier das Werkverzeichnis aus Kurt Gänzls Encyclopedia of the Musical Theatre dienen, dem Standardwerk zum Thema. Dort findet sich folgende Liste: „Eine Nacht in Venedig 1923 (Theater an der Wien); Cagliostro in Wien 1927 (Wiener Bürgertheater); Rosen aus Florida 1929 (Theater an der Wien); Die Fledermaus 1929 (Deutsches Theater, Berlin); Eine Nacht in Venedig 1929 (Hofoper, Wien); Walzer aus Wien 1930 (Wiener Stadttheater) „arranged with Julius Bittner“; Die schöne Helena 1931 (Theater am Kurfürstendamm); Das Lied der Liebe 1931 (Metropoltheater); Die geschiedene Frau (= Abenteuer im Schlafcoupé) 1933 (Theater am Nollendorfplatz); Die stumme Serenade 1954 (Städtische Bühnen, Dortmund).“[1]
Da zu den Werken jede zusammenhängende Darstellung fehlt und überhaupt das Operettenschaffen Korngolds von der Forschung bislang ignoriert wurde (trotz des anhaltenden internationalen Erfolgs einzelner Titel), sei hier der Versuch unternommen, erstmals eine generelle Präsentation von Korngolds Operettenoeuvre zu bieten.
Dabei stehen folgende Fragen im Vordergrund: Was bedeutet „Operette“ als Bezeichnung für eine spezielle Spielart des Musiktheaters, und wie passen Korngolds Operettenarbeiten in dieses Konzept? Wie wurden Korngolds Operettenbearbeitungen von der zeitgenössischen Kritik beurteilt, und welche Maßstäbe wurden damals angelegt, die möglicherweise anders sind als unsre heutigen? Welchen Stellenwert haben Korngolds Operettenbearbeitungen aus gegenwärtiger Sicht?
„Der Jazzmusik wird heimgegeigt“
Operette ist heutzutage eine ‚tote’ Kunstform, d.h. sie wird von zeitgenössischen Komponisten kaum mehr benutzt. Somit stellen die zwischen zirka 1850 und 1950 entstandenen Stücke des Genres einen abgeschlossenen Werkkanon dar, dem man sich als einem zeitgeschichtlichem Phänomen der Vergangenheit nähert. Das ist ein fundamentaler Unterschied zur Situation, in der sich Korngold in den 1920er Jahren der Operette zuwandte. Die Operette erlebte damals als lebendige Theaterform eine Phase der Blüte und kreativen Weiterentwicklung, die sie für innovative Köpfe (u.a. Arnold Schönberg) interessant machte.[2] Operette war damals außerdem Teil einer internationalen Unterhaltungsindustrie, die ohne staatliche Subventionen auskam und an Privattheatern von speziellen Operettendarstellern dargeboten wurde, also selten von Opernsängern an Opernhäusern. Eine Situation, vergleichbar mit dem, was wir heute vom Broadway oder dem Londoner West End als kommerzielles Musicaltheater kennen. An einer solchen kommerziell-internationalen Operettensituation änderte sich in Deutschland erst 1933 etwas, 1938 auch in Österreich, als Privattheater verschwanden und der Staat die Spielpläne durch Subventionsverteilung diktierte.[3] Damit verschwand weitgehend auch das, was ich die „authentische Operette“ nennen möchte.
Die authentische Operette nach Art von Stammvater Offenbach war immer schon ein ins Groteske verzerrter, unterhaltender Kommentar auf die unmittelbare Gegenwart, angereichert mit freizügigster Erotik, wie man sie in der Oper niemals erleben konnte[4], und ausmusiziert mit den neuesten Modetänzen.
Was bei Offenbach der skandalöse Can Can war, war kurz darauf in Wien der rauschhafte Walzer. Nach 1918 – also zur Zeit von Korngolds Operettentätigkeit – war es amerikanische Tanzmusik bzw. „Jazz“. Als vollkommerzielles Massenentertainment dicht am Puls der Zeit, tänzelte die Operette mit Anbruch der Zwanziger Jahre im synkopierten 4/4-Takt. Kálmán machte mit der Bajadere und dem Schlager „Fräulein, bitte woll’n Sie Shimmy tanzen“ 1921 den Anfang. Bald folgten u.a. Eduard Künneke, Ralph Benatzky, Oscar Straus, Bruno Granichstaedten, Mischa Spoliansky, Kurt Weill[5] und als Höhepunkt: Paul Ábrahám, dessen Blume von Hawaii (1931) das erfolgreichste Bühnenwerk der Weimarer Republik war.[6]
Fast alle Operettenkomponisten orientierten sich in jenen Jahren am Broadway. Von wo die US-Operetten von Sigmund Romberg (Student Prince), Rudolf Friml (Rose-Marie) und Vincent Youmans (No, No Nannette)[7] nach Deutschland und Österreich importiert wurden und als Vorbilder dienten. Aus dieser transatlantischen Synthese ergab sich eine radikale Erneuerung der Kunstform, die aus dem kakanischen Dunstkreis in die eklektischen Twenties hinüberglitt, wie man sie aus den Bildern von Dix und Grosz kennt oder den Romanen von Isherwood, Döblin oder Klaus Mann. Was bei Isherwood Sally Bowles und der Kit Kat Club sind, das war im echten Berlin u.a. die Haller-Revue, wo Lea Seidl als „Marie von der Haller-Revue“ das optische Vorbild für Liza Minelli in der Verfilmung von Cabaret abgab.[8]
Direktor Hermann Haller brachte 1930 auch eine verjazzte Csárdásfürstin heraus, nachdem Erik Charell am Großen Schauspielhaus zuvor den Mikado, Wie einst im Mai und die Lustige Witwe verjazzt produziert hatte. Über den Mikado schrieb die BZ am Mittag, stellvertretend für die vielen anderen, nach gleichem Muster adaptierten Stücke:
„[Es ist] ein Mikado à la mode, à l’americain, à la Charell. Aus dem Orchester steigt eine Musik auf, die Sullivan in Jazz-Seligkeit fortreißt. [...] Befruchtet von der glühenden Phantasie Ernst Sterns wird der Übergang gefunden zu den Erscheinungen des Jahres 1927. Regie-Fülle, Bändigung und neue Gesichtswinkel – das ist Eric Charell im Mikado geglückt. Ich bekenne, das man die alte Operette nur so spielen darf, daß man ihre Seele nimmt und sie in einen neuen, springlebendigen Körper setzt. Nur keine falsche Scham! Auch Operettendichter sind sterblich, und sie doppelt und dreifach.“[9]
Damals entwickelte sich das Genre als avantgardistische, anti-realistische Kitschkunst avant la lettre in Richtung Revueoperette, Tonfilmoperette, Kabarettoperette und dem, was in den USA kurz darauf als Mischung all dessen das Musical werden sollte. Die Grenzen waren fließend, in beide Richtungen. Denn die besten deutschsprachigen Werkeliefen ebenso erfolgreich in New York und dem Rest der Welt, als begehrter Exportartikel.
Die transatlantische Spielart war konservativen Operettenliebhabern ein Dorn im Auge, sahen sie doch diese Entwicklung des Genres als Ausverkauf tradierter Werte. Unter der Überschrift „Vienna Is Alarmed By Inroads of Jazz“ berichtete die New York Times im Zusammenhang mit Kálmáns Charleston-Operette Die Herzogin von Chicago 1928: „All musical-minded Viennese [...] have been busy for more than a week asking each other the questions: ‘What will the future bring in the operetta? Will American jazz conquer us and force into oblivion our standard of operetta forms for decades past, or will some way be found by us to humanize jazz or at least harmonize it with our litter of musical traditions?’“[10]
In dieses Spannungsfeld von Tradition und Moderne geriet auch Korngold, als er sich 1923 der Operette zuwandte und sich bewusst gegen die transatlantischen Ideale stellte, indem er Bearbeitungen von Johann Strauß-Operetten herausbrachte. Die Neue Freie Presse schrieb zu Korngolds Operetten-Erstling Eine Nacht in Venedig: „Es war höchste Zeit, daß man sich auch in der Operette auf sein besseres Ich besann. Längst war uns klar, daß der Tag wieder kommen müsse, da man [...] auf die leichte, geschmackvolle Heiterkeit früherer, besserer Zeiten zurückgreifen werde, für die uns Johann Strauß ein zwingendes Symbol geworden ist. Wir meinen eine geistige Heiterkeit, die durch die Dekadenz, die beispiellose Geschmacksverwirrung und Verwilderung der letzten Jahre immer mehr verschüttet wurde. Natürlich kann eine Erscheinung wie Johann Strauß niemals ganz aus dem wienerischen Bewußtsein verdrängt werden. Aber immerhin gab es Zeitabschnitte, in denen Strauß wenigstens in seinen schmächtigeren Kundgebungen, durch die sich patzig gebärdende ‚Moderne’ beiseite geschoben wurde. Mit gelegentlichen Aufführungen der ‚Fledermaus’ und des ‚Zigeunerbaron’ ist da nichts getan. Die richtige Wiederkunft Straußens müßte alle seine lebensfähigen Bühnenwerke umfassen. Das kann die tiefere Bedeutung dieser [...] beifallsumrauschten ‚Nacht in Venedig’-Aufführung werden, daß sie die Morgenröte einer Johann Strauß-Renaissance ankündigt. Nicht hoch genug kann die geschmackläuternde und beispielgebende Wirkung einer Kunst, deren Humor ein wahrhaft echter ist [...]. Johann Strauß ist in Wahrheit das Wesen, an dem die Welt des Wienertums genesen könnte.“[11]
Die Wiener sollten also durch die Rückbesinnung auf Strauß in Zeiten der (politischen und künstlerischen) Orientierungslosigkeit wieder zu sich selbst finden. Reitler meint mit Blick auf die an den USA orientierte Kultur der Nachkriegszeit:
„[U]m wie vieles überzeugender tritt das wurzelechte im besten Sinne nationale Element Straußens in Erscheinung, wenn die Strauß Operette dem krankhaften Internationalismus gegenübergestellt wird, der die überdies durch einen hysterischen Hang zu einer verlogenen Sentimentalität beschwerte Gattung seit Jahr und Tag beherrscht.“[12]
Das sind Töne, die man wenig abgeändert nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verstärkt hörte, wenn etwa auf dem Titelblatt des Simplicissimus vom 1. April 1933 ironisch überspitzt zu lesen (und zu sehen) war: „Der Jazzmusik wird heimgegeigt. Der Walzer erwacht – Die Neger entfliehen.“
Kommerz außer Konkurrenz
Als Korngold ans Theater an der Wien kam, war das Traditionshaus in einer Phase des Umbruchs: Direktor Karczag lag im Sterben, sein Schwiegersohn Hubert Marischka sollte die Führung übernehmen. Nach dem Tod Karczags im Herbst 1923 machte sich Marischka daran, das Theater und den daran angeschlossenen Verlag zu einer ersten Adresse für Jazz-Operetten zu machen, als deren Hauptexponent neben Kálmán vor allem Bruno Granichstaedten gelten kann. Bevor Marischka mit der Gräfin Mariza 1924 die sensationell erfolgreiche Serie von modernen Operetten seines Hauses und Verlags begann, kam 1923 eine Wiederausgrabung von Johann Strauß heraus, die Teil einer ganzen Reihe von bewusst ‚altmodischen’ Werken war, mit denen Marischka auch ein Jazz ablehnendes Publikum zufrieden stellen wollte. D.h. der Marischka-Spielplan bewegte sich zweigleisig: die modernen Operetten waren vor allem fürs Auslandsgeschäft gedacht, die Wien-Titel fürs lokale Publikum.
Bearbeitungen älterer Operetten waren in den 1920er Jahren in Mode. Charells Jazz-Adaptionen von Klassikern wurden erwähnt, ebenso Hallers Csárdásfürstin. Auch in Wien kamen nach 1918 vielfach alte Werke musikalisch aufgefrischt heraus, wobei die Wiener Bearbeiter weit weniger radikal vorgingen, als ihre Berliner Kollegen, da sie ihre Klassiker mit größerer Ehrfurcht behandelten. Korngold selbst schilderte 1933 rückblickend, wie es zu seiner Nacht in Venedig kam:
„Eigentlich bin ich ein Feind aller Bearbeitungen [...]. Ich kann ja als selbstschaffender Künstler gar keinen anderen Standpunkt einnehmen, habe ich doch auch, als meine ‚Tote Stadt’ mit der Jeritza [...] in Amerika zur Aufführung gelangte, gegen alle Striche und Verstümmelungsversuche auf das schärfste protestiert; allerdings hat es nichts genützt… Es ist nun freilich ein Unterschied, ob man daran denkt, [...] ein [...] anerkanntes, unantastbares Werk der Opernliteratur zu bearbeiten, oder ob es sich darum handelt, Operetten, die ja doch mehr oder weniger für den Tag geschrieben waren, [...] zu modernisieren und dem heutigen Publikumsgeschmack näherzubringen. Aber eines ist sicherlich allen Werken gemeinsam: der Wille ihres Schöpfers, ihnen diese und keine andere Gestalt zu geben. [...] Als ich 1923 als Dirigent der [...] ‚Nacht in Venedig’ ans Theater a.d. Wien verpflichtet worden war, hatte ich nur ein Ziel vor Augen: die Operette so gut als möglich, im Geist ihres Schöpfers und mit zeitgemäßer Wirkung aufzuführen. Nur in dieser Absicht begann ich an der Instrumentation zu feilen, den Klang pikanter zu gestalten, habe ich schwache Musikstücke entfernt und durch stärkere Strauß-Musik ersetzt, habe ich aus einer kleinen Tenorpartie eine richtige Richard Tauber-Partie geschaffen, Einfluß auf Buch und Szene genommen – und bei der Première war plötzlich eine regelrechte Neufassung da, die seither über hundert Bühnen gegangen ist, in die Opernhäuser von Berlin, Wien, Frankfurt, Monte Carlo und Köln einzog und den Auftakt zu einer förmlichen Johann Strauß-Renaissance gebildet hat.“[13]
In der Tat war die Neufassung der Nacht in Venedig erfolgreich und wurde vielfach nachgespielt.
Interessanterweise nicht an den bedeutenden Operettenbühnen der Welt, sondern von Opernhäusern. Damit entzog sich Korngold der direkten Konkurrenz zu seinen Operettenkollegen und erreichte ganz andere Aufführungszahlen, er wandte sich auch an ein anderes Publikum und an andere Interpreten.
Die Aufführung des Theaters an der Wien wurde von Marischka opulent ausgestattet und erstklassig besetzt. Marischkas Trumpf war, dass er neben sich selbst und seiner Partnerin Betty Fischer Richard Tauber als Gast aufbot, der nach 1926 als Lehár-Sänger zum vermutlich berühmtesten Operettentenor aller Zeiten avancieren sollte. Für Tauber schuf Korngold ein neues Auftrittslied („Sei mir gegrüßt, du holdes Venezia“). Auch das erste „Tauberlied“ findet sich in der Nacht in Venedig: „Treu sein, das liegt mir nicht“ war eine weitere Korngold-Ergänzung, auf die kaum ein Tenor später verzichten wollte. Weswegen gerade diese beiden Lieder fast immer in Aufführungen der Operette auftauchen, zum Ärger der Strauß-Gesellschaft, die sich bemüht, die Originalfassung gegen Korngolds Bearbeitung durchzusetzen.
Dass keine der beiden Originalversionen der Nacht in Venedig sich bis heute etablieren konnte, liegt einerseits daran, dass die Leihgebühren für die Korngold-Fassung günstiger sind und Theater, die besonders bei Operettenproduktionen sparen bis zur Unanständigkeit, aus Kostengründen lieber auf Korngold zurückgreifen, obwohl für dessen Bearbeitung Tantiemen anfallen. Zum anderen ist die für Opernsänger konzipierte Nacht in Venedig Korngolds für den modernen Operettenbetrieb-im-Opernhaus besser geeignet als die von Strauß für andere Sänger- und Theatertypen gedachte Berliner Urfassung, ebenso die für Wien überarbeitete Zweitfassung.
Schon bei seinem ersten Operettenausflug zeigte sich etwas, das später Standard werden sollte: Korngold leitete seine Bearbeitung selbst und erwies sich als faszinierender Operetteninterpret. In der Neuen Freien Presse war zu lesen:
„Korngolds sprühende Musikalität hat die wunderbare Gabe, alles, was sie berührt, in Flammen zu setzen. Und er müßte nicht erst von frühester Kindheit an in der Liebe zu Strauß erzogen sein, um nicht mit einem Blick alles Essentielle der ‚Nacht in Venedig’-Partitur zu erfassen. Ihre opernhaften Keime zu lustspielmäßiger Entfaltung zu bringen, ihre operettenhaften Grundelemente, von aller faden und gedankenlosen Schablone gereinigt, in den Glanz einer feinziselierten melodischen Linienführung, einer bald zart, bald energisch akzentuierten Rhythmik emporzuheben, war sein erstes Bestreben.“[14]
Fazit: „[E]s ist wie eine Verheißung, daß die jüngste Strauß-Renaissance von einem wahrhaftigen Musiker ihre Impulse empfängt. Dadurch ist ihr jener geschäftsmäßige Zug genommen, der nicht nur dem heutigen Operettenbetrieb, sondern auch früheren Regenerationsbestrebungen einen etwas schalen Beigeschmack gab.“[15]
Diese Beurteilung ist natürlich lächerlich, denn selbstverständlich war die von Korngold mit initiierte Strauß-Renaissance alles anderes als „nicht geschäftsmäßig“: Korngold selbst profitierte von seinen beachtlichen Tantiemenanteilen, die Witwe Adele Strauß davon, dass diese neue Fassung das gerade ablaufende Copyright an der Operette erneuerte und der Verlag erwirtschaftete mit dem Verleih des Notenmaterials ebenfalls Gewinn, und tut dies bis heute. Dass der Rezensent der Neuen Freien Presse den Eindruck erweckt, als wäre diese Art der Operettenpflege nicht kommerziell und damit künstlerisch hochwertiger, ist erstaunlich. Genauso erstaunlich ist es, dass über die Kommerzialität von zeitgenössischer Oper (z.B. von Richard Strauss) kaum je gesprochen wird, diese aber der Operette der 1920er Jahre immer wieder vorgeworfen wird.
Original vs. Bearbeitung
Nach einer Pause von vier Jahren kehrte Korngold 1927 zur Operette und zu seinem Idol Strauß zurück. Hatte er mit der Nacht in Venedig ein vergessenes Meisterwerk ins Repertoire zurückgeholt, wiederholte er am Wiener Bürgertheater diesen Versuch mit einem anderen vergessenen Titel: Cagliostro in Wien. Der Erfolg dieser Produktion war nicht so durchschlagend wie bei der Nacht in Venedig, die dramaturgisch und musikalisch bereits im Original das stärkere Werk war. Die Reichspost notierte: „Es wäre schade gewesen, wenn diese Operette des Walzerkönigs dauernd der Vergessenheit anheim gefallen wäre, denn jetzt, da die Musik unter Erich W. Korngolds genialer Bearbeitung und Neuinstrumentierung eine wahre Flut entzückender Melodien über die Hörer verstreut, fühlt man erst, welche musikalische Schönheit solange ungenützt blieb. Das schlechte Textbuch trug am meisten die Schuld daran, daß der ‚Cagliostro’ vom Spielplane der Wiener Bühnen verschwunden war. Dr. Ludwig Herzer machte den Versuch, durch eine gründliche Umarbeitung den Text genießbarer zu machen. Ganz gelungen ist ihm dieses Bestreben allerdings nicht [...]. Ueberragendes hat dafür Korngold geleistet. Aus seiner Straußbegeisterung heraus reinigte er diese köstlichen musikalischen Kleinode von Staub und Schlacken, ergänzte dort, wo in der alten Fassung die Musik zu kurz gekommen war, durch Uebernahme anderer Straußscher Melodien und vor allem nahm er eine Neuinstrumentierung vor, in der die Schönheit der Musik ganz zur Geltung kommt. Dazu brillierte Korngold als Dirigent.“[16]
Ein Grund, warum Cagliostro nicht den Venedig-Erfolg wiederholen konnte und es nur auf 17 Aufführungen brachte, mag die Besetzung gewesen sein.
Für die Neuproduktion wurde nicht das Duo Fischer/Marischka aufgeboten, auch ein Tauber stand nicht zu Verfügung. Sondern: „Die Titelrolle sprach Herr Feldhammer, nicht immer imstande, die Dämonie Cagliostros zur Wirkung zu bringen, aber mit Erfolg bemüht, einen leichten Lustspielton in die Operette einzuführen.“[17] Das sind nicht die besten Voraussetzungen, um einem schwachen Werk wieder auf die Beine zu helfen. Man könnte meinen, Marischka hätte der Produktion keine besondere Bedeutung beigemessen, sonst hätte er sie besser besetzt und vermutlich auch am Theater an der Wien gespielt. So verschwand Cagliostro abermals in den Archiven und erlebte erst unter den Nationalsozialisten ein neuerliches Revival.
Deutlicher als bei der Nacht in Venedig wird von der Presse im Zusammenhang mit Cagliostro gefragt, ob eine Bearbeitung wirklich nötig war oder ob man nicht besser dem Original eine zweite Chance hätte geben sollen. Die Frage nach dem Wert von Bearbeitung vs. Original wird die gesamte weitere Operettengeschichte und auch Korngolds weitere Operettenkarriere begleiten; es ist eine Frage, die in den folgenden Jahrzehnten unterschiedlich beantwortet werden sollte, denn bei Operetten gab es niemals eine Tradition der Aufführung von „Ur-Texten“, die vielfach gar nicht vorhanden sind. „Operettentexte sind […] als Manuskripte zu beurteilen“, meint Martin Lichtfuss in seiner Studie zum Operettenlibretto, „nicht als künstlerische Endprodukte“. Sie bilden „eine Arbeitsgrundlage und werden […] in der Theaterpraxis immer wieder aufs neue modifiziert“.[18] Das gilt bis in die Gegenwart. Eine kritische Ausgabe einer Operette (außer der Johann-Strauß-Gesamtausgabe) existiert nur im Fall der Lustigen Witwe und kam 2005 heraus. Es ist verblüffend, dass bislang kein Musikwissenschaftler auf die Idee kam, sich mit einer kritischen Operettenausgabe zu profilieren, wo das Auffinden von Material teils abenteuerlicher ist als bei manch verschollener Barockoper.
Was Korngold in den 1920er Jahren im Zusammenhang mit Strauß tat, entsprach also gängiger Aufführungspraxis; der Unterschied zu den vielen anderen Bearbeitern bestand darin, dass Korngold als Komponist selbst prominent war.
Man kann seine Bearbeitungen darum vergleichen mit Felix Mendelssohns Bach-, Richard Wagners Gluck-, Richard Straussens Mozart- und Benjamin Brittens Purcell-Bearbeitungen. Sie stellen zum einen Meilensteine der Rezeptionsgeschichte des jeweiligen Werks bzw. Komponisten dar. Zum anderen wird diesen Bearbeitungen durch die Prominenz des Bearbeiters ein musikgeschichtlich höherer Stellenwert gebilligt. (Ob zurecht, sei dahingestellt.)
Versuch einer Jazz-Operette
Korngolds nächste Operettenbearbeitung weicht vom bisherigen Schema ab, da es sich nicht um Retuschen an einem bereits existierenden Original handelt, sondern um die Rekonstruktion eines unvollendeten Werks von Leo Fall, der 1925 gestorben war und drei nicht komplettierte Operetten zurück gelassen hatte: Jugend im Mai, Rosen aus Florida und Liebst du mich? Da Fall einer der erfolgreichsten Operettenkomponisten der frühen 1920er Jahre war, waren seine nicht fertiggestellten Operetten Kapitalanlagen, die ungenutzt liegen zu lassen, Irrsinn gewesen wäre. Also kamen die Erben Falls (vor allem seine Witwe Bertha) zusammen mit dessen Verlag auf die Idee, mit den unvollendeten Stücken etwas zu unternehmen. Rolf Marben berichtet: „1926 kam man mit einem Wust von losen Partiturblättern der ‚Rosen aus Florida’ zu Korngold. Jedem andern war die Entzifferung von Schrift und Zusammenhang unmöglich. Korngold fand durch einen Zufall schon nach wenigen Stunden den Schlüssel zur Partitur. ‚Beim Anfang muß man Glück haben, akkurat wie beim Rösselsprung.’ Nach zwei Tagen standen dann die meisten Nummern in der Instrumentation fix und fertig. Es ging ans Bearbeiten der Finale, an den musikalischen Ausbau, ans Komponieren. Mit seinem Freunde Marischka, dem Direktor des Theaters an der Wien, setzte er sich hin und knobelte szenisch-musikalische Einfälle aus.“[19]
Obwohl der Vertrag mit den Erben Falls aus dem Jahr 1926 stammt, kamen die Rosen aus Florida erst 1929 zur Uraufführung, am Theater an der Wien in der Regie Marischkas, mit diesem selbst in der Hauptrolle sowie mit der populären Rita Georg und Stummfilmstar Ossy Oswalda. Das waren, für damalige Verhältnisse, ideale Voraussetzungen für den Erfolg einer kommerziellen, zeitgenössischen Operette.
Die BZ am Mittag urteilte über die Uraufführung: „Etwa anderthalb Jahre vor seinem Tode brachten Leo Fall die Herren Willner und Reichert den Text mit der großen Massaryrolle der Irina Naryschkin, jener russischen, fürstlichen Emigrantin, die in Amerika landet und einen Unterschlupf im Bankhause Armstrong sucht. Damals sind noch so viele russische Blaublütler vor der Revolution ausgerissen, damit sich in Amerika ihr Operettenschicksal erfülle. Fall reizte der Vorwurf, aber er hatte erst einige Nummern skizziert und eine Menge loser Themen in sein Notenbuch eingetragen, als ihm der Tod die Notenfeder entwand. Marischka veranstaltete erst jetzt, gehemmt durch langjährige Kálmán-Verträge, die verspätete Gedenkfeier für seinen Intimus und Schrittmacher Fall, dessen Welterfolge zuerst vom ‚Theater an der Wien’ die internationale Rundreise antraten. Erich Wolfgang Korngold wurde zum künstlerischen Nachlaßkurator bestellt. Der hat nun mit der feinsten Einfühlung für Falls musikalische Persönlichkeit das Skizzenmaterial zu einer hochwertigen Partitur ausgebaut und pietätvoll nur echte Fall-Musik für seine Restaurationsarbeit berücksichtigt. Aber gerade diese feinsinnige Erneuerung, die uns mit achtzehn neuen Fall-Nummern und zwei großen, in der musikalischen Architektur bewunderungswürdigen Finali beschenkte, bedeutet eine sehr glückliche Bereicherung unserer Operettenliteratur. Korngolds Setzkunst und Musikalität haben uns diese noble, zierliche Lustspielmusik, die am meisten der graziösen und vornehmen Komposition der ‚Spanischen Nachtigall’ verwandt ist, in einer eleganten, blendenden Faktur geboten. Durch aparte, orchestrale Färbung und unaufdringliche Verwendung des Saxophons erhält die Partitur auch einen ganz modernen Anstrich.“[20]
Rosen aus Florida waren ein momentaner Erfolg in Wien, wurden auch in der Provinz vielfach nachgespielt, konnten sich aber weder dauerhaft im Repertoire halten noch international auf den großen Bühnen durchsetzen.
Dafür war das transatlantische Thema inzwischen zu vertraut und interessierte besonders im anglo-amerikanischen Raum niemanden. Der Broadwayproduzent Lee Shubert erklärte 1930: „Wir haben in Amerika große Erfolge mit Operetten aus Europa gehabt [...]. Komisch finde ich es, daß in den europäischen Operetten stets so viele Amerikaner und Amerikanerinnen vorkommen. Das wirkt natürlich bei uns ein bißchen lächerlich. Denn die Leute, die diese Dollarmilliardäre und Dollarfürsten beschreiben, haben sie natürlich nie gekannt. Es gibt ein Klischee des Amerikaners in den Wiener und deutschen Operetten, das man unserem Publikum drüben nicht zumuten kann. Die Librettisten sollten lieber ihre Figuren aus Gegenden beziehen, die auch die Amerikaner nicht kennen. Aber gerade Amerikaner zu Hauptakteuren der Operette zu machen, ist für den amerikanischen Export verfehlt. Das Wienerische Milieu, die gewissen Schlagworte, die man über Wien weiß, der Prater und der Heurige, findet bei uns noch immer Erfolg.“[21] Entsprechend schlug auf dem anglo-amerikanischen Markt ausgerechnet die Rössl-Revue von 1930 ein wie eine Bombe: mit Girls im Dirndl und knackigen Jungs in Lederhosen, Berggipfeln und Jodlerinnen und einer Jazzband auf der Bühne, für die jazzigen Tanzevolutionen. So verabschiedete sich Korngold nach einem einmaligen Versuch von der modernen Operette und kehrte zum vertrauten „Wiener Milieu“ und zu Strauß zurück.
Zusammenarbeit mit Max Reinhardt
Interessanterweise ist Korngolds nächste Strauß-Bearbeitung die eines Stücks, das sicher nicht wiederentdeckt werden musste und von dessen Original auch (damals) niemand fand, dass es unpassend sei für den modernen Geschmack. Trotzdem war Korngolds folgender Operettenausflug Die Fledermaus und sollte zu einer seiner weltweit erfolgreichsten Arbeiten werden, die auch biografisch entscheidend für ihn war, da sie ihn erstmals zusammenbrachte mit Max Reinhardt. Luzi Korngold berichtet, dass Reinhardt Offenbachs La Vie Parisienne inszenieren wollte und bei Korngold anfragen ließ, ob er die musikalische Leitung/Bearbeitung übernehmen wolle. Korngold ablehnte ab, mit dem Hinweis, er halte das Stück „ für ein schwaches Werk“. Woraufhin man sich auf die Fledermaus als Alternative einigte. „Er könne“, erklärte Korngold, „wenn ihm für Rosalinde, Adele und Alfred drei erstklassige Sänger zur Verfügung stünden, die übrigen Rollen der Operette für die Schauspieler des Deutschen Theaters arrangieren“.[22]
Es ist bezeichnend für Korngolds Operettenverständnis, dass er ein Meisterwerk wie Offenbachs Pariser Leben für ein „schwaches Stück“ hielt.
Fühlte er sich Adele Strauß gegenüber so verbunden, dass er die Gelegenheit einer Reinhardt-Inszenierung nutzen wollte, um Strauß statt Offenbach zu spielen und damit eine Neufassung zu schaffen, die die 1929 fast abgelaufene Schutzfrist der Fledermaus erneuert hätte?
Für die Fledermaus hatte Reinhardt nicht nur Korngold engagiert, sondern auch Carl Rössler und Marcellus Schiffer mit der Auffrischung des Textes betraut. Eine wesentliche Änderung war, den androgynen Prinzen Orlowsky von einer typischen Cross-Dressing-Rolle der Wiener Operette in einen Tenorpart zu verwandeln, vermutlich weil Korngold damit dem Genre mehr Glaubwürdigkeit geben wollte. Nachwirkungen dieser Geschlechtsumwandlung finden sich bis in die Gegenwart und auf vielen Aufnahmen der Operette, obwohl sie nicht die Korngold-Fassung spielen. Man kann es nachträglich fast fatal nennen, dass Korngold den Orlowsky maskulinisierte und damit einen Realismus-Anspruch in die Operettenaufführungspraxis brachte, der dort fehl am Platz ist. Offensichtlich konnte Korngold mit den typischen Verfremdungseffekten, der Groteske und der Frivolität der authentischen Operette nichts anfangen, womit sich möglicherweise auch seine Abneigung gegen ein so durch und durch grotesk-frivoles Werk wie Pariser Leben erklären ließe.
Die Presse reagierte auf diese Fledermaus positiv, was besonders der Inszenierungskunst Reinhardts geschuldet war. In der Neuen Freien Presse konnte man lesen: „Wer bisher geglaubt hat, die ‚Fledermaus’ sei wienerisch genug, kann sich im Deutschen Theater davon überzeugen, daß sie noch wienerischer werden konnte. [...] Nachdem die Ouverture verklungen ist, teilt sich der Vorhang und man sieht einen Wiener Garten, etwa einen Heurigengarten. [...] Im Orchester ertönen leise die ‚G’schichten aus dem Wiener Wald’. Nach diesen Klängen tanzend tritt ein verspäteter Gast im Walzertakt seinen Heimweg an. Dann erscheint Alfred, der fabelhafte Tenor, und bringt hier, sichtbar im Garten, Rosalinde das Ständchen, das er sonst hinter den Kulissen singt. Der Schauplatz ändert sich in Eisensteins Wohnzimmer. Noch dauert der Walzer im Orchester fort, das gesamte Dienstpersonal des Hauses ist versammelt, kann dem Walzer nicht widerstehen, tanzt über die Bühne, und selbst der Briefträger [...] walzt mit der Köchin. Nach diesem Vorspiel beginnt die Handlung [...]. Eisenstein ist jetzt der echte, nicht zu bändigende ‚Drahrer’. Auch Dr. Falke hat ein eigenes Gesicht bekommen. Der zweite Akt beginnt wieder mit einem Vorspiel. Vor dem Hause des Prinzen Orlofsky treffen die Gäste ein und geben ihre Garderobe ab. Dazu wird wieder allerlei Johann Straußsches gespielt. Prinz Orlofsky kommt, um seine Gäste zu begrüßen. Aus dem russischen Prinzen ist ein österreichischer geworden, aus der Soubretten-Rolle eine solche für einen Schauspieler. Der Prinz trägt die frühere österreichische Generalsuniform und ist irgendwie ‚hintenherum’ mit dem Kaiserhause verwandt. [...] Nach dem Vorspiel sieht man das Innere des prinzlichen Palais. Das Orchester intoniert ‚Wein, Weib und Gesang’ und nun schwingt durch den Saal ein Walzer, erst hingebungsvoll und innig, dann immer rascher, immer stürmischer, immer hinreißender. Das Publikum raste vor Begeisterung.“[23]
Doch nicht von allen Seiten kam Beifall.
„Was war das einst, vor dreißig Jahren, für ein Jubel, als die ‚Fledermaus’ unter Richard Strauß ins Königliche Opernhaus einzog und wahrhaft gesungen wurde“, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. „Jetzt jubelt man ebenso, da sie den entgegengesetzten Weg geht.“[24]
Der Rezensent fährt fort: „Trotzdem kommt die Musik ohne allen Glanz heraus. Man erinnert sich nicht, die Ouvertüre je so matt gehört zu haben, wie unter Erich Wolfgang Korngold, der sich als gebürtiger Wiener bereit findet, die Extratouren auf dem Flügel zu begleiten.“[25]
Diese begleitenden Extratouren wurden fortan zu einem Markenzeichen: Korngold saß in allen weiteren von ihm geleiteten Operettenaufführungen selbst am Klavier und bestimmte von dort den Puls der Aufführung. Da er sich dabei als besonders guter Pianist und Dirigent von Walzeroperetten erwies, nahm man seine Bearbeitungen der jeweiligen Stücke in Kauf.
Die Fledermaus wurde ein künstlerischer und finanzieller Erfolg, „Reinhardts ‚Fledermaus’-Aufführungen haben in diesem schlechtesten aller Theater-Sommer tagtäglich etwa 6-7000 Mark gebracht“, schrieb das Hamburger Fremdenblatt.[26] Anders als seinerzeit die Nacht in Venedig wurde das Stück nicht von Opernhäusern nachgespielt, sondern vor allem von Privattheatern im In- und Ausland. Die wichtigste dieser Folge-Inszenierungen fand am Broadway unter dem Titel A Wonderful Night statt, allerdings ohne dass dabei die Namen Reinhardts oder Korngolds genannt wurden. Was zu erheblichen Rechtsstreiterein führte. Die Zeitschrift Variety meinte damals zu der illegalen Fledermaus-Kopie: „Wonder of this enterprise is why anybody should go back so far as 60 years to resurrect a remarkably dull musical comedy book, just to hang a charming Strauss score on. This version is astonishingly tiresome. If a score could retrieve a sad book, this jaunty Strauss music would do it, but it’s questionable. Production is elaborate – strikingly elaborate – but by no means beautiful or fascinating.“[27]Offensichtlich wurde in den USA anders über Strauß als Klassiker des Unterhaltungstheaters gedacht als in Österreich oder Deutschland.
Geburt der Tonfilmoperette
Während des Aufenthalts in der deutschen Hauptstadt kam Korngold in Kontakt mit Vertretern der lokalen Filmszene. Es begannen Verhandlungen, um im gerade aufkommenden Genre des Tonfilms aus der Fledermaus eine Tonfilmoperette zu machen. Diese Idee wurde wieder fallen gelassen, da damals rund um die Fledermaus Rechtsstreitigkeiten mit den französischen Urhebern des Stücks liefen und ein Ufa-Film der Fledermaus natürlich international herausgebracht werden musste, um die Produktionskosten wieder einzuspielen. Alternativ dachte man daran, Korngold mit dem Kongress tanzt zu beauftragen. Auch aus diesem Projekt wurde nichts, wie aus einer Postkarte von Ufa-Produzent Erich Pommer an Korngold von 1930 deutlich wird.
Da heißt es: „Sehr geehrter Herr Professor, wie Ihnen wahrscheinlich Herr Dr. Hans Müller mitgeteilt hatte, werden voraussichtlich beide Filme, über die wir bei Ihrem Berliner Besuch gesprochen haben, nicht gedreht werden. Bei der ‚Fledermaus’ ist die Rechtslage hinsichtlich der Autorenrechte nach wie vor eine so komplizierte, dass ich bis jetzt beim besten Willen keinen gangbaren Weg sehe, sich an die Vertonfilmung dieses Stoffes heranwagen zu können. Es ist auch kaum anzunehmen, dass eine Klärung der Sachlage so schnell herbeigeführt werden kann, um die Produktion des Films in diesem Jahre noch zu ermöglichen. Auch der zweite Stoff ‚Der Kongress tanzt’ wird voraussichtlich nicht gemacht werden können. Die Herstellung dieses Sujets müsste in ganz grossem Rahmen erfolgen. Bei den momentan noch immer herrschenden Patentschwierigkeiten ist das Absatzgebiet unserer Filme ein sehr beschränktes und so wäre es ein grosses Risiko, einen so teuren Film zu produzieren, der in Europa amortisiert werden müsste. Wenn wir also leider in diesem Jahre kaum zu einer Zusammenarbeit kommen dürften, so hoffe ich doch, dass uns die Zukunft hierzu recht bald Gelegenheit geben wird.“[28]
Der Kongress wurde später von Erik Charell inszeniert, der sich den jungen Schlagerkomponist der Ufa, Werner Richard Heymann, holte.
Der konnte das, was Korngold sein ganzes Leben nicht glückte und was er auch in seinen Operettenbearbeitungen nicht schaffte: eingängige eigene Lieder komponieren. Heymann schüttelte diese aus dem Ärmel und landete mit „Das gibt’s nur einmal“ und „Das muss ein Stück vom Himmel sein“ gleich zwei Welthits in einem Film.
Venezia Revisited
Direkt vom Fledermaus-Engagement kehrte Korngold nach Wien zurück und widmete sich dort einer neuerlichen Bearbeitung der Nacht in Venedig, die an der Wiener Staatsoper gezeigt werden sollte. Mit einer Besetzung, die zwar nicht Tauber aufbieten konnte, aber Namen brachte, die das Unterfangen zum Ereignis machten: „Marie Jeritza, Adele Kern, Lillie Claus, Hubert Marischka a.G., Josef Kalenberg, Alfred Jerger und Koloman Pataky“, listete das Wiener Journal auf und fuhr fort: „Jeritza wird die Hauptrolle dreimal singen. In den späteren Aufführungen tritt Vera Schwarz auf.“[29] Mit Hubert Marischka betrat erstmals ein Operettenstar der Zeit, der kein Opernsänger war, die Bühne der Wiener Staatsoper. „Er spricht seine Texte deutlich aus, sorgt für Laune und Temperament und fürchtet sich nicht, die Heiligkeit des Hauses dann und wann, durch einen derben Witz zu unterbrechen. Den anderen haftet noch ein wenig Würde an.“[30] Und: „Er überraschte mit kräftig ins Haus geschmetterten Tönen, zog virtuos alle Register seiner liebenswürdigen Persönlichkeit und hat vor den meisten Opernsängern die sorgfältige Wortbehandlung und, ein vorbildlicher Tänzer, die Sicherheit in der Bewegung voraus.“[31]
Die Staatsoper öffnete mit der Nacht in Venedig dem dritten Strauß-Werk ihre Pforten. Die Zeitschrift Adaxl bemerkte pointiert: „Wenn man früher in irgendeinem Operettentheater ‚Eine Nacht in Venedig’ aufführte, gipfelte die Weisheit der Kritiker gewöhnlich in dem Ausspruche: ‚Das Werk ist eigentlich eine komische Oper.’ Seit es bekannt wurde, daß sich die Direktion der Wiener Staatsoper für dieses Werk interessiert, nennt man es beharrlich eine Operette. Entweder verstand man damals nichts von der Operette, oder man versteht heute nichts davon, oder man versteht überhaupt nichts, denn heute, da ein genialer Regisseur das urblöde Textbuch dieses Werkes durch Ausstattungsglanz und Szeneriewunder belebte, nennt man es gar eine Johann Strauß-Revue.“[32]
Die Neue Freie Presse meinte: „Muß die Frage der Opernfähigkeit eines Johann Straußschen Werkes überhaupt noch aufgeworfen werden? Der Musik nach ist jedes dieser Werke dem Besten der heiteren Opernliteratur ebenbürtig.“[33]
Die Premiere geriet zum Triumph. Josef Reitler bemerkte: „Der Beifall [...] nahm auch bei offener Szene nach den schlagkräftigsten Nummern solche Dimensionen an, daß viele dieser Nummern zwei-, drei- und viermal wiederholt werden mußten. Es war ein Abend der Sensationen [...].“[34] Kritik erregten nur einige für Wiener Verhältnisse allzu radikale Passagen: „Als gleich am Anfang ein entzückender Straußwalzer sozusagen ‚modern rhythmisiert’ ertönte, malte sich Entsetzen auf den Gesichtern der Straußmusikkenner, und diese einzige, allerdings unerhörte Geschmacklosigkeit muß unbedingt verschwinden – aber was sonst Neues geschaffen wurde, war wunderbar, war genial.“[35]
Diese modern rhythmisierten Teile der Partitur fanden keinen Eingang ins Material, das bis heute vom Weinberger Verlag als Korngold-Fassung vertrieben wird, es hat sich für eine moderne Aufführung bislang auch niemand die Mühe gemacht, diese Wiener Fassung von 1929 als faszinierenden Meilenstein in der Rezeptionsgeschichte dieser Operette zu rekonstruieren.
Autobiografisches Vater/Sohn-Duell
Auf der Erfolgswelle weiterreitend, machte sich Korngold 1930 daran, die nächste Strauß-Operette herauszubringen. Er wählte diesmal jedoch einen neuen Weg; statt einer Beabreitung oder Rekonstruktion schuf er eine gänzlich neue Operette über den Konflikt zwischen Johann Strauß Vater und Sohn, unter Verwendung von deren jeweiliger Musik. Damit setzte Korngold die Tradition der wohl erfolgreichsten musikbiografischen Operette fort: die des Dreimäderlhauses, in der unter Verwendung von Schuberts Musik die unglückliche Liebesgeschichte des Komponisten zu den Tschöll Töchtern erzählt wird. Die Musik arrangierte Heinrich Berté, das Textbuch stammte von Alfred Maria Willner und Heinz Reichert (die auch bei den Rosen aus Florida Korngolds Partner waren).
Dass das Dreimäderlhaus Vorbild war, wird daran deutlich, dass Marischka die Librettisten Willner und Reichert auch für den Walzer aus Wien verpflichtete. Wie beim Dreimäderlhaus wurde ein nostalgisches Wien auf die Bühne gezaubert. Diese Realitätsflucht ins Wien-der-Vergangenheit war damals auch im Kino populär. Korngolds Librettisten zeigen im Walzer aus Wien ganz wie im Film (z.B. Walzertraum) die Donaumetropole als Märchenwelt. Darin wird die Geschichte vom Streit zwischen Strauß Vater und Sohn erzählt. Sie erinnert als Generationenkonflikt und als Konflikt zwischen alter und neuer Musik an Kálmáns Zigeunerprimas (1912), wo sie dramatisch effektvoller auskomponiert ist. Man kann den Vater-Sohn-Konflikt natürlich im Fall Korngolds auch autobiografisch lesen: als Konflikt zwischen dem übermächtigen Vater (Julius) und dem verliebten, aufstrebenden Sohn (Erich Wolfgang), der sich emanzipieren will, was am Ende in der Operette mit einer Aufführung des Donauwalzers triumphal gelingt, mit dem Strauß Jr. sich endgültig gegen Strauß Sen. durchsetzt. Eine solche biografische Interpretation von Walzer aus Wien findet sich jedoch in keiner einzigen Uraufführungskritik und auch nicht in der Korngoldliteratur.
Durch die zeitliche Nähe und Ähnlichkeit der Machart bietet Walzer aus Wien interessante Vergleiche zu der ebenfalls mit Strauß Melodien neu geschaffenen Casanova von Benatzky/Charell, 1928 am Großen Schauspielhaus herausgekommen.
Wo Korngold mehr oder weniger einen ‚klassischen’ Strauß-Klang anstrebte und die Musik nicht auffallend modernisierte, machte Benatzky aus Straußen etwas radikal Neues, eine wirkliche 1920er Jahre Revueoperette mit allen klanglichen Raffinessen. Außerdem garantierte Charell, dass Casanova eine durch und durch mit Erotik aufgeladene und damit im besten Sinn des Wortes authentische Operette wurde (inklusive einer zu wildgewordenen Xylophon-Klängen aufmarschierenden Keuschheitskommission), neben der Walzer aus Wien von einer schier unerträglichen Harmlosigkeit ist. (Sogar das Dreimäderlhaus bietet im Vergleich mehr Erotik.)
Trotz der Keuschheit und Klischeehaftigkeit (oder gerade deswegen) entpuppte sich Walzer aus Wien in London und New York als Hit und entwickelte unter dem Titel The Great Waltz ein Eigenleben, das zu einer Vielzahl von Neubearbeitungen führte, die mit dem Korngold-Original teils wenig bis gar nichts zu tun haben.
Bei der Wiener Premiere stand der Name Korngolds übrigens nicht als Bearbeiter auf dem Programmzettel, stattdessen las man dort, das Stück sei eine Arbeit von Julius Bittner, die Musik von Korngold „für die Karczag-Bühnen eingerichtet“. Diese etwas seltsam anmutende Formulierung hatte vertragliche Gründe, denn Korngold hatte sich gegenüber dem Schott Verlag verpflichtet, Straußens Spitzentuch der Königin zu adaptieren. Da diese Arbeit noch nicht fertig war, konnte er nicht offiziell (noch dazu bei einem anderen Verlag) mit dem Walzer aus Wien herauskommen. Darum wurde Bittner vorgeschoben und auch an den Tantiemen beteiligt. Dennoch wussten Insider schon damals, dass die eigentliche Arbeit von Korngold geleistet worden war.
Singspiel als Ideal
Bevor es zum Spitzentuch kam, bearbeitete Korngold abermals für Reinhardt eine Operette, diesmal doch noch ein Werk von Offenbach: Die schöne Helena. Wie schon bei der Fledermaus lies Reinhardt das Libretto auffrischen, in diesem Fall von Egon Friedell und Hans Saßmann. Und wie schon bei der Fledermaus löste Reinhardt das Stück revuehaft in Einzelbilder auf, statt der klassischen 3-Akt-Struktur. Auf eine Vermännlichung der Hosenrolle des Orest verzichtete der Regisseur und bot die attraktive Friedl Schuster im knappen Griechenkostüm. Die Titelrolle übernahm Jarmila Novotna, Hans Moser spielte den Menelaus. Auch sonst war die Besetzung außergewöhnlich prominent und gut. Dass der Helena dennoch nicht der Erfolg der Fledermaus vergönnt war, hatte mit den Räumlichkeiten des anderen Theaters zu tun – und vielleicht auch damit, dass Korngold keinen rechten Zugang zu Offenbachs Musiksprache fand, die eine andere (grotesk überzeichnete) Spielart von Operette darstellt, als Strauß, zumindest wie Korngold diesen interpretierte. Versüßlicht man Offenbach in Richtung Wienerwalzer-Operette, wie Korngold das in Berlin tat, nimmt man ihm viel von seiner elementaren Wirkung.
Korngold, der diese Helena unter dem Titel „Helen!“ im Januar 1932 in London bei Aufführungen im Adelphi Theater dirigierte (mit Evelyn Laye die Titelrolle und einem englischen Text von A.P. Herbert) sollte sich erst im amerikanischen Exil abermals mit Offenbach auseinander setzen, abermals mit der Helena.
Reinhardt seinerseits holte dich für seine nächste Offenbach-Inszenierung 1931 den Dirigenten Leo Blech, um am Großen Schauspielhaus Hoffmanns Erzählungen musikalisch bearbeitet herauszubringen. In der Folge der damaligen Offenbach-Renaissance brachte Reinhardt 1932 am Großen Schauspielhaus nochmals seine Helena-Inszenierung, deren Aufführungsserie teils von Korngold dirigiert wurde, wobei Max Hansen den Menelaus spielte. Da Hansen ein ausgewiesener Benatzky-Interpret war, komponierte dieser für Hansen neue Couplets, die in die Korngold-Fassung der Helena eingefügt wurden. Christiane Niklew, die in der AdK den Benatzky-Nachlass betreut, sagt: „Wir wissen nur aus den Tagebüchern, dass RB für Reinhardt die Lieder geschrieben hat, aber nicht, ob sie auch Verwendung gefunden haben. Und Titel sind leider auch nicht überliefert.“[36]
Nach dem Offenbach-Ausflug und der anonymen Walzer aus Wien-Arbeit stellte Korngold Ende 1931 für den Schott Verlag doch noch die Neufassung vom Spitzentuch der Königin fertig, von der bereits 1925 gesprochen worden war und die nun als Weihnachtspremiere in Berlin herauskommen sollte – mit Richard Tauber in der Hauptrolle. Tauber war zu dem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seines Ruhm angelangt. In jenen Jahren – u.a. durch Tauber ausgelöst – war das Engagement von Opernstars für Operettenproduktionen in Mode: Adele Kern sang Kálmáns Veilchen vom Montmartre, Vera Schwarz mit Tauber Land des Lächelns, und Gitta Alpár triumphierte 1931 als Dubarry, einer Theo Mackeben-Bearbeitung der alten Millöcker Operette.
Mit dem zu Das Lied der Liebe umgetauften Spitzentuch wandte sich Korngold abermals dem Thema „Alt Wien“ zu, von dem er nicht loszukommen schien. Er und sein Librettist Ludwig Herzer benutzten wiedereinmal „das Kolorit eine[s] glücklicheren Oesterreich vor dem Kriege“ und zeigten ein „wenn auch nicht überlustiges, so doch behagliches Wiener Leben“.[37] Diese nostalgische Behaglichkeit der Operette, die heutzutage das Image der Gattung bestimmt und die von den Nationalsozialisten nach 1933 zum Standard erhoben wurde, hat im Grunde Korngold mit seinen Wien-Operetten vorbereitet. Seine Werke führten, genauso wie Lehárs opernhafte Spätwerke, weg von der authentischen Operette, hin zu einer witzlosen und rückwärtsgewandten Spielart der Gattung, die letztendlich ihr Untergang werden sollte. Während 1931 in Berlin Presse und Publikum zumindest noch wussten, dass diese Form von Operette keine echte Operette ist und das Stück entsprechend beurteilten, hat die Nachwelt die Kenntnis dessen, was authentische Operette ist, weitgehend verloren und sieht gerade Stücke wie Lied der Liebe als typische Beispiele fürs Genre, derweil sie das nicht sind.
Die BZ am Mittag meinte: „Tauber in der Uniform eines österreichischen Rittmeisters, spricht und singt österreichisch, hingegeben an den Gesang, und die entströmte Melodie begleitet er noch einen Augenblick, mit zärtlicher Hand die Kontur der Kantilene nachziehend, den Schnörkel nachfühlend, Dirigent seiner selbst. Er hat ein musikalisch reizvolles Duett mit Anny Ahlers, die wieder viel Scharm und Talent entwickelt, einen kleinen Flirt in einer anmutigen Entstiefelungsszene. Gegen 9 Uhr fällt der erste Kuß, es folgt ein Duett aus Sehnsucht nach dem Süden, worin der schwärmerisch-romantische Ductus des musizierenden Korngold hervortritt; um 10 Uhr das Liebeslied ‚Du bist mein Traum’, Taubers Solo, fünfmal vom Publikum verlangt, in Variationen der Phrasierung vorgetragen, stürmisch gefeiert. Nicht mehr als ein Vorwand für die Entfaltung seiner Gesangskunst ist die Operette. Zwar ist das Libretto des Dr. Ludwig Herzer ein sauberer Versuch, und es fehlen nicht dramatische Verknotungen[,] auch nicht das alte tragische Missverständnis; dennoch bleibt die Geschichte das, was man in Wien fad, in Berlin langweilig zu nennen geneigt ist. Der dritte Akt wird lediglich vom Bühnenbild ausgefüllt [...]. Und wenn sich jemand die Zigarette mit einem Scheck anzündet, so macht das heute keinen Eindruck mehr. [...] No, und die Sandrock als Fürstin Pauline Metternich, die hat mit ihren Aphorismen zur Lebensweisheit einen Sondererfolg. Foxtrott wird nicht getanzt; vielleicht weil zur Zeit der Fürstin Pauline, wie sie selbst einmal behauptete, dieser Tanz nur unter der Bettdecke möglich war. Allerdings wäre damals auch ein solches Donau-Ballett, wie das gestrige, nur zwischen vier Wänden möglich gewesen. Die Bühne hat drei.“[38]
Der Schlager „Du bist mein Traum“ war eine Neuschöpfung von Korngold.
Er hat aber nie die Durchschlagkraft und Prägnanz von Korngolds früherem Tauberlied aus der Nacht in Venedig erreicht, von Lehárs Tauberliedern ganz zu schweigen. Es fehlen zum einen die erotischen Untertöne, die Taubers Gesang erst zum Ereignis machen. Zum anderen ist die Melodie einfach unspektakulär. Oder, wie es Bie ausdrückt: Die Lieder zeigen keinen „Geist und Witz. Es ist oft schrecklich pathetisch“.[39] Zusammenfassend meint er: „[M]an nimmt [...] hier bloß die alte Musik und erfindet sich dazu eine höchst konventionelle und typische Geschichte.“[40] Das war für einen echten Operettenerfolg (in Berlin) zu wenig, woran auch Korngolds routiniertes Dirigat nichts ändern konnte.
Dass es auch anders geht, belegt die erwähnte Dubarry von Millöcker/Mackeben, wo die Neubearbeitung trotz der opernhaften Titelrolle die Operette nicht verrät, sondern ein erfolgloses altes Werk wirklich modern aufpoliert neu zur Diskussion stellt. Der Tag schreibt mit vergleichendem Blick: „[A]uf interessante Johann-Strauß-Ausgrabungen ließ sich Korngold kaum ein, kein Zweifel, daß Mackeben das bei seiner Millöckerschen ‚Dubarry’ sorgfältiger und auch neckischer handhabte.“[41] Das Wort „neckisch“ deutet es an: Korngolds Operettenbearbeitungen insgesamt verleugnen die erotisch-frivole Ebene der authentischen Operette und verwandeln sie zu einer Art leicht verdaulichem Singspiel. Mit vergleichendem Blick auf die Oper hatte Korngold 1929 erklärt: „Die Operett’ soll nöt nach der größeren Schwester schiel’n, nöt nach der sentimentalen, nöt nach der lyrischen und schon gor nöt nach der tragischen! Sie soll bei der Spieloper bleib’n, ihrer Mama!“[42]
Diese verniedlichende Definition des Genres als verkapptes „Singspiel“ ist Lichtjahre entfernt von dem, was damals anderswo an Operetten zu sehen war, besonders die wirbelwindartigen Stück von Paul Ábrahám.
Sie übertrafen Korngolds Operettenbemühungen in der Publikumsresonanz um ein vielfaches und stellen, vorm endgültigen Niedergang des Genres in Deutschland nach 1933, das Ideal da, dem Korngold nicht folgen wollte – oder nicht folgend konnte, weil ihm diese Art des Musizierens fern war.
Abschied aus Europa
Gerade weil Korngold sich mit der frivolen Eben der authentischen Operette schwer tat, verwundert es, dass seine letzte in Europa geschaffene Operettenbearbeitung ausgerechnet die eines Werks ist, in dem es von Anfang bis Ende um Sex geht: Leo Falls Ehebruchs-Komödie Die geschiedene Frau. Dabei handelt es sich um eine nachgerade klassische Operette in der unmittelbaren Witwe-Nachfolge, die vor der Jazz-Zeitenwende in der Operettengeschichte entstand und deren Musik somit aus Sicht der 1930er Jahre vollkommen veraltet erscheinen musste. Es war darum naheliegend, dass Victor Léon, der Textdichter, die Idee begrüßte, seinen Klassiker zu bearbeiten und dem neuen Zeitgeschmack anzupassen.
Im Grunde wäre Charell der ideale Mann für eine Neugestaltung der Geschiedenen Frau gewesen, doch hatte er sich nach dem Rössl-Triumph 1930 vom Großen Schauspielhaus verabschiedet, war zum Film gegangen und 1932 nach Los Angeles gezogen.
Der andere ideale Neugestalter für die Geschiedene Frau, Hermann Haller, war Konkurs gegangen und stand nicht zur Verfügung. Also wandte man sich an Korngold und das Theater am Nollendorf Platz, um dort seine revuehaft aufgelöste Fassung der Geschiedenen Frau zu präsentieren.
Für die von Korngold neu geschaffenen Couplet-Einlagen für die Rolle der Gonda van der Loo (ursprünglich eine Frauenrechtlerin und „Verfechterin der freien Liebe“, hier nun, weit weniger originell: ein Filmstar) engagierte man den jungen Texter Max Kolpe und die Soubrette Lucie Mannheim, die die Nummern als perfekte Massary-Kopie darbot, was eindrucksvoll auf den erhaltenen Tondokumenten zu hören ist. Ihr zur Seite stellte man als seriösen Gegenpart die Opernsängerin Maria Rajdl, die zeigte, dass Opernsänger nur begrenzt geeignet sind, um im Operettenfach zu brillieren. Edwin Neruda bemerkte: „Frau Rajdl sang ihren Part, den sie höchst dezent darstellt, mit der Noblesse der Solistin, die aus edleren Kunstregionen stammt. Der füllige Herr von Oppenheim tenorisiert seine Rolle recht sympathisch; er gefiel auch mit einer Solonummern, ist aber für das Genre denn doch viel zu schwer: er opert…“[43]
Korngold erzählte im Programmheft, wie es zu der Arbeit kam: „Die Idee zur Bearbeitung der ‚Geschiedenen Frau’ kam mir auf einer Reise Wien-Berlin, die ich mit Direktor Miksa Preger verplauderte, im – Schlafcoupé. (‚O Schlafcoupé, o Schlafcoupé!). Ich habe schon als kleiner Bub [...] diese Operetten-Musik als eine besonders hübsche, inspirierte, lustspielmäßig-beschwingte geliebt. Direktor Preger griff meine Idee sofort auf und gewann den Original-Autor, Herrn Victor Léon, für die Umarbeitung seines Buches, die dieser gemeinsam mit Heinz Reichert, dem Autor des ‚Dreimäderlhauses’, in wenigen Wochen durchführte. Die Witwe Leo Falls stellte mir die letzten zwei Tangomelodien, die ihr Mann in Argentinien komponiert hatte, zur Verfügung, von denen ich eine für das Tangolied des Karel, die andere im Verein mit einem unbenutzten Walzermotiv aus ‚Der Rebell’ (Falls erster Operette) für ein Walzerlied der Jana bestimmte. Außerdem verwendete ich noch zur Ergänzung der Musik Motive aus den entzückenden Soldatenliedern Leo Falls. Die Glanznummern der Partitur, wie ‚O Schlafcoupé’, ‚Gonda, liebe kleine Gonda’, ‚Kind, du kannst tanzen’ oder ‚Man steigt nach’ blieben selbstverständlich – von kleinen Orchesterretuschen abgesehen – unverändert. Lediglich das zweite Finale, das kein Chor-Finale mehr, sondern ein lyrisch-dramatisches Duo zwischen den beiden geschiedenen Ehegatten geworden ist, mußte aus dem bestehenden Musikmaterial gänzlich neu gebaut werden. Wenn nun die ‚Geschiedene Frau’ den Abschluß meiner Bearbeitertätigkeit, zumindest für längere Zeit, bilden soll – ich habe die Komposition einer neuen Oper begonnen – so wünsche ich ihr, meiner letzten Operettenbearbeitung den gleichen Erfolg, den meine erste, die der ‚Nacht in Venedig’, errungen hat.“[44]
Kurz nach der Premiere kamen die Nazis an die Macht, und in Deutschland stand auch für die Operette eine Zeitenwende bevor, von der gerade Korngold und Leo Fall betroffen sein sollten. Ihre Namen verschwanden dauerhaft von den Spielplänen.
Lullaby of Broadway
Nach der Geschiedenen Frau hatte Korngold nur mehr in den USA mit Operette zu tun, vorwiegend wegen Reinhardt. 1935 gab es Pläne für eine Verfilmung der Tales of Hoffman in der Regie von Reinhardt für Warner Brothers, mit Korngold als „musical supervisor“, auf ein neues Libretto von Thornton Wilder und Franz Werfel. Ein Exposee für dieses Projekt existiert, auch wenn der Film selbst nicht verwirklicht wurde. 1936 dachten Reinhardt und Warner über eine Verfilmung von Offenbachs Pariser Leben nach, wobei (ausgerechnet) Korngold der musikalische Bearbeiter sein sollte, trotz seiner offenkundigen früheren Abneigung gegen das Stück. Auch dieses Projekt wurde nicht verwirklicht. Dafür kam im Oktober 1942 am Broadway eine Neufassung der Reinhardtschen Fledermaus heraus (die zuvor als Plagiat unter dem Titel A Wonderful Night ein Misserfolg ebendort gewesen war), diesmal – um Verwechslungen zu vermeiden – unter dem Titel Rosalinda. Sie entpuppt sich als Hit. Die allmächtige New York Times urteilte: „A performance of much prevailing liveliness and excellence of Johann Strauss’s ‚Fledermaus’ […] was given by the New Opera Company […]. The audience greatly enjoyed the piece. Enough of the English was understood for the jokes and the situations to drive home. The score captivated the ear, as it always does. It is music of which it could be said that, like Shakespeare, it is full of quotations. It never stales. There are several fine, fresh voices in the cast, and there was some first-class singing. The supper scene and the ballet of the second act, a crescendo of gayety and élan, with some new and delightful choreography by George Balanchine, was an experience that made one regret the fall of the curtain and wish that the moment might linger. [...] The part of Orloffsky [sic], traditionally taken by a contralto in tights, was given a man. He was Oscar Karlweis, who had so appeared in the Reinhardt Berlin production. He was not called upon to sing very much, which, vocally speaking, was fortunate, but he is a born comedian, and his comedy is not of the banal or mugging kind. He was geuinely funny; his German accent and his comic business were really amusing. [...] The book has of course lost most of its original flavor, which is less jazzy than last night’s specimen, pepped up, presumably, to the newer standards. Erich Korngold, who conducted, made additions to the music from other Strauss scores, as the interpolation of the ‚Vienna Woods’ waltz at the beginning of the first act; the duett which accompanied the pleasing scene of Rosalinda’s changing of costumes in Act 2, which comes from a little known Strauss operetta, ‚Knight Pazman’; the additions to the ballet scene, and a most appropriate one, of the waltz, ‚Wine, Woman and Song,’ and finally the accompaniment of Orloffsky’s toast, in the form of a cadenza played by Mr. Korngold on the piano, in waltz rhythm, without melody, to accentuate the spoken text. As a conductor he was energetic, rhythmical, authorative, but heavy handed and often too noisy for the singers, who were prevailing indistinct with their text. But this is a fine, gay show, which no doubt will tighten up as the performance is repeated.”[45]
Rosalinda lief für phänomenale 521 Aufführungen en suite. Trotzdem wird von der Produktion in Broadway-Fachkreisen heute kaum Notiz genommen.
Richard C. Norton, Autor der Chronology of American Musical Theater, meint dazu: „Rosalinda was indeed a big hit. The ecstatic reviews will confirm this for you, and the length of the run was great indeed. The only reason why it isn’t better remembered today is because it wasn’t recorded. Old musicals today survive in the public’s imagination only if they are recorded.“[46]
Das 1943er Offenbach-Projekt einer Orpheus-Produktion, wiederum mit dem Gespann Reinhardt/Korngold, wurde nicht verwirklicht, sondern umgewandelt in Helen Goes to Troy, eine Neufassung der Berliner Helena, die am 24. April 1944 im New Yorker Alvin Theatre Premiere hatte. Dass man sich 1944 nochmals mit einer Operette an den kommerziellen Broadway wagte, wo Operette als Kunstform weitgehend von Musicals wie Oklahoma ersetzt worden war, lag daran, dass die vorangegangene Rosalinda und Merry Widow (mit Marta Eggerth und Jan Kiepura) beide als nostalgische Exoten aus der Alten Welt in Kriegszeiten finanzielle Erfolge in der Neuen Welt waren. „The New Opera Co., which cleaned up on ‚Rosalinda’ and ‚Merry Widow’ on Broadway during the past season, has a very good chance to duplicate with its newest effort“, schreibt Variety, spricht im Weiteren von der Schönen Helena als „sexy semi-classic“ und prophezeit: „Chances are that the new musical will command a draw from the Metropolitan Opera crowd, another example of converting static grand opera into popular form.“[47]Damit erwähnt Variety, womit Korngold von Anfang an beschäftigt war: der (ruinösen) Vermischung der Genres, die eine Veredelung der Operette bedeutete, um sie als populäre Oper dem entsprechenden Opernpublikum schmackhaft zu machen; womit die Operette als Gattung viel von ihrem ursprünglichen und eigentümlichen Reiz verlor und zu einem nicht vollwertigen („semi-classic“) Abklatsch der Oper mutierte. Ein Image, mit dem sie bis in die Gegenwart zu kämpfen hat.
Auch diese Helena ist in Broadway-Fachkreisen heute weitgehend vergessen, trotz der prominenten Namen. Das liegt wiederum daran, dass keine Aufnahmen überliefert sind, mit Ausnahme der Barcarole, die unter dem Titel „Every dream that rustles the trees“ von Jarmila Novotna eingespielt wurde. Helena verschwand sang und klanglos in den Broadway Annalen. In New York setzte sich die modernisierte Form des Musicals nach dem Rodgers & Hammerstein Model durch, für nostalgische Walzer-Operetten à la Korngold war kaum mehr Platz. Erst 1973 sollte eine Art Walzeroperette am Broadway neuerlich Furore machen: Stephen Sondheims A Little Night Music, vollständig im ¾-Takt (und Ableitungen davon) komponiert.
Doch dieses Stück bewegte sich auf einem anderen intellektuellen und künstlerischen Niveau als alle Korngold-Operetten zusammen und wurde zu einem Klassiker des modernen amerikanischen Musiktheaters.
Korngolds Broadway-Operetten dagegen haben diesen Schritt nicht geschafft, was auch daran liegt, dass Korngold die Modernität und Intellektualität der Kunstform in all seinen Operettenbearbeitungen konsequent negierte.
Operette auf dem Nullpunkt
Nach dem Ende des „Dritten Reichs“ war in Deutschland und Österreich die Operettenszene gründlich verändert. Nicht nur, dass viele ehemals erfolgreiche Werke von jüdischen Komponisten nie den Weg zurück ins Standardrepertoire fanden, es gab auch keine lebendige Operettenkultur als kommerzielles, sich stets erneuerndes und weiterentwickelndes Musiktheater mehr. Operette nach 1945 heißt weitgehend: Pflege der ‚Klassiker’, wobei damit fast ausschließlich die Wiener Operetten des 19. Jahrhunderts gemeint sind und Werke, die man in irgendeiner Weise ‚folkloristisch’ interpretieren und damit zu Volksstücken umfunktionieren konnte.
Korngold interpretierte den Operettenboom der Nachkriegsjahre auf seine Weise. Er meinte, er könnte sich nun mit einem eigenen Werk als Operettekomponist etablieren, nicht mehr nur als Bearbeiter.
Vermutlich dachte er angesichts der überall gespielten Trivialoperetten, dass er so etwas auch schreiben könnte. So wählte er einen Stoff um einen Modesalonbesitzer auf revolutionären Umtrieben im Neapel des frühen 19. Jahrhunderts, aus dem ein parodistisch begabter Komponist mit genügend zündenden Schlagern vielleicht eine erfolgreiche Operette im Stil des „Absurden Theaters“ mit italienischem (Klang)Flair hätte machen können, oder wenigstens eine typische Nonsense-Revue, wie man sie auch aus dem Kino der Zeit kennt. Da Korngold jedoch nie als Schlagerschreiber aufgefallen war, waren die Voraussetzungen, um aus dem Libretto der Silent Serenade ein erfolgreiches Werk zu machen, eher gering. Außerdem war Korngolds Gespür für versteckte Erotik und groteske Witze schon in seinen Operettenbearbeitungen nicht besonders ausgeprägt gewesen.
Die Stumme Serenade erlebte ihre späte Uraufführung im österreichischen Radio und kurz darauf als „Musikalische Komödie“ 1954 in Dortmund auf der Bühne. Hört man die Aufnahme des ORF, begreift man, wieso der Kritiker der Kölnischen Rundschau in Bezug auf die szenische Premiere von „Operette auf dem Nullpunkt“ sprach. Er schreibt über seine Erwartungen und Enttäuschungen: „So durfte man also mit einiger Zuversicht zur Welturaufführung der Komödie in Dortmund fahren, eingedenk der höchsten künstlerischen Weihen, die alles, was mit Komödie und Musik zu tun hat, durch Richard Strauß und seinen ‚Rosenkavalier’ empfangen hat. Allenfalls meldeten sich leise Zweifel, da man weiß, daß Korngold seit mehr als fünfzehn Jahren zu den erfolgreichen Hollywooder Musikmachern gehört. Auch Honegger und Milhaud haben Filmmusiken geschrieben, und Schönberg hätte sich gern mit Hollywood eingelassen, wenn man seine Bedingungen erfüllt hätte, an der Partitur nichts zu ändern. Nach der Welturaufführung der Komödie, die sich als zähflüssige Operette entpuppte, weiß man’s nun genau, so genau, wie man es besser nie erfahren hätte: daß Korngold in der Anonymität billiger Musikkonfektion untergegangen ist. Seine Musik [...] hat das gesichtslose Gesicht einer meist süßlich-klebrigen Amüsiermusik angenommen – Massenmusik wäre zu umfassend gesagt, Barmusik zu intim. Es ist eine Allerweltsmusik, wie sie jeder mittelmäßige Unterhaltungspianist aus dem Stehgreif improvisiert.“[48]
Ähnlich vernichtend äußerten sich auch andere Kritiker, so dass das Werk nicht anderswo nachgespielt wurde. Es entsprach nicht dem Zeitgeschmack, da die Musik weder folkloristische Italiensehnsüchte der Epoche bediente (in der ganzen Partitur schimmert nirgends eine italienische Note durch), noch befriedigt eine Operette um Todesurteile und Revolutionen das Harmoniebedürfnis des Publikums jenes Jahrzehnts. Erst 2007 erlebte die Stumme Serenade eine Wiederaufnahme, die sogar erfolgreich war – vermutlich, weil das moderne Publikum jede Ahnung von dem, was den authentischen Reiz des Genres ausmacht, verloren hat und Operette heute mit minimalen Erwartungen begegnet. Der Trick der Neuproduktion in München bestand darin, dass sie das Stück bewusst als Exil-Operette anging und die Korngold-Partitur kombinierte mit Schlagern des in Nazi-Deutschland verbliebenen Franz Grothe (später musikalischer Leiter von Zum blauen Bock).
Damit bekam das Werk einigen zeitpolitischen Reiz, auch wenn es nicht in der Nazi-Zeit entstanden war und direkt auch nichts mit der Politik in Nazi-Deutschland zu tun hat.
Korngolds Bearbeitungen heute
Heute werden Korngolds umfangreiche Operettenbearbeitungen – mit Ausnahme der 1923er Nacht in Venedig – fast nie gespielt, und wenn doch, dann meist nicht als bewusste Entscheidung für Korngold, sondern weil das Korngold-Material zufällig am leichtesten (oder billigsten) zu beziehen ist. Ein solches Ignorieren der Korngold-Fassungen durch die Operettenszene und -forschung ist merkwürdig, da Korngold in Fällen wie Fledermaus/Rosalinda und Schönen Helena/Helen Goes to Troy faszinierende Alternativversionen von regelmäßig gespielten Meisterwerken geschaffen hat, die unbedingt moderne Aufführungen verdient hätten, nicht nur wegen Korngold, sondern auch wegen der genialen, von Reinhardt engagierten Textdichter (Egon Friedell, Marcellus Schiffer usw.) und ihren Neuinterpretationen, die eigenen Werkcharakter beanspruchen können.
Im Theaterbetrieb des neuen Millenniums suchen Regisseure und Dramaturgen oft (verzweifelt) nach neuen Interpretationsansätzen für viel gespielte Werke und entstellen diese gern bis zur Unkenntlichkeit – meist ohne nennenswerten künstlerischen Erfolg. Auf die Idee, von vornherein eine historisch wichtige (und darum interessante) Zweit- oder Drittfassung einer Operette aufzuführen, wie beispielsweise die Fledermaus von Reinhardt/Korngold, kommt niemand, nicht einmal in Berlin, wo zeitweise drei Fledermaus-Inszenierungen parallel liefen. Gerade in solch einer Situation wäre es naheliegend, verschiedene Fassungen zur Diskussion zu stellen und damit auch die Vielseitigkeit des Genres aufzuzeigen. Zumal es sich bei diesen historischen Alternativfassungen um Bearbeitungen handelt aus einer Zeit, als Operette noch eine lebendige Kunstform war. Im Fall der Geschiedenen Frau wurde die Korngold-Neufassung sogar vom Schöpfer des Originaltextbuchs, Victor Léon, erstellt, so dass man wirklich von einer vom Originalautor autorisierten Alternativversion sprechen muss.
Eine Öffnung des Operettenspielplans, die auch wichtige Neufassungen von Werken berücksichtigt, hat bislang nicht stattgefunden, auch deshalb, weil die notwendigen Rekonstruktionen teils mit Mühen und Kosten verbunden sind, die Theater im Fall von Operette leider scheuen.
Somit widerfährt Korngolds Operettenoeuvre das Schicksal vieler anderer wichtiger Operettenbearbeitungen: sie werden von heutigen Theatermachern ignoriert oder abgelehnt, oft aus Unkenntnis.
Eine Grundvoraussetzung, um an diesem Zustand etwas zu ändern, wäre die Alternativfassungen ins allgemeine Bewusstsein zurück zu holen, das entsprechende Aufführungsmaterial zugänglich zu machen und die Versionen als Aufnahmen zu veröffentlichen. Denn ansonsten beschränkt sich jede Diskussion (und auch jede Verdammung der Korngold-Bearbeitungen) auf Hörensagen. Wie die zitierten Uraufführungskritiken beweisen, urteilten viele Kritiker weitgehend positiv über Korngolds Operettenadaptionen, basierend auf einer wirklichen Kenntnis der Gattung und ihren authentischen Möglichkeiten. Das sollte modernen Kritikern ohne Kenntnis der Gattung und ihrer Möglichkeiten zu denken geben.
[1] Kurt Gänzl, The Encyclopedia of the Musical Theatre, New York-Toronto 1994, S. 791.
[2] Vgl. Reiner Zimmermann, „Von heute auf übermorgen: Operette und künstlerische Avantgarde in den 1920er Jahren“, in: Wolfgang Schaller (Hg.), Operette unterm Hakenkreuz: Zwischen hoffähiger Kunst und ‚Entartung’, Berlin 2007, S. 17-25.
[3] Vgl. Boris von Haken, Der „Reichsdramaturg“ Rainer Schlösser und die Musiktheater-Politik in der NS-Zeit, Hamburg 2007.
[4] Vgl. hierzu die Einleitung „Homosexualität und Operette“ in: Kevin Clarke (Hg.), Glitter and be Gay: Die authentische Operette und ihre schwulen Verehrer, Hamburg 2007, S. 1-13.
[5] Karl Westermeyer rechnet Kurt Weill und dessen Dreigroschenoper in seinem Operettenbuch von 1931 zu den richtungsweisenden Werken für „ein realistisch witziges Genre der Zukunft“. Vgl. Karl Westermeyer, Die Operette im Wandel des Zeitgeistes, München 1931, S. 138.
[6]v. Haken, a.a.O., S. 93.
[7] No, No Nanette wurde 1925 in Berlin herausgebracht und wird von Westermeyer als „Jazz-Operette“ beschrieben. Vgl. Westermeyer, a.a.O., S. 173.
[8] Auf dem Titelblatt von „Ich bin die Marie von der Haller Revue!“ ist eine Tänzerin zu sehen, deren Kostümierung und Make Up identisch ist mit dem von Liza Minelli als Sally Bowles. Derweil der im Cabaret-Film verwendete Name des Kit-Kat-Clubs (der sich in der Romanvorlage nicht findet) aus der Tonfilmoperette Die drei von der Tankstelle (1930) entlehnt ist, als Beispiel für einen typischen deutschen, mondänen Nachtclub.
[9] Erich Urban, „Die Mikado-Revue“, in: BZ am Mittag, 2. September 1927.
[10] o.A., „Vienna Is Alarmed By Inroads of Jazz“, in: New York Times, 15. April 1928.
[11] r. [Josef Reitler], „Eine Nacht in Venedig“, in: Neue Freie Presse, 29. Oktober 1923, Kopie des Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[12] Ebd.
[13] Erich Wolfgang Korngold, „Operettenbearbeitungen“, in: Der Zuschauer. Blätter des „Theaters am Nollendorfplatz“, Berlin 1933, Kopie des Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[14] r. [Josef Reitler], „Eine Nacht in Venedig“, in: Neue Freie Presse, 29. Oktober 1923, Kopie des Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[15] Ebd.
[16] Tr., „Cagliostro in Wien“, in: Reichspost, 16. April 1927.
[17] Ebd.
[18] Martin Lichtfuss, Operette im Ausverkauf: Studien zum Libretto des musikalischen Unterhaltungstheaters im Österreich der Zwischenkriegszeit, Wien 1989, S. 14.
[19] Rolf Marben, „Das Wunderkind vom 11er Jahr. Ein Gespräch mit Erich Wolfgang Korngold“,in: Hamburger Fremdenblatt, 22. August 1929, Kopie des Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[20] Emil Kolberg, „Uraufführung von Falls ‚Rosen aus Florida’“, in: BZ am Mittag, 23. Februar 1929.
[21] o.A., „Der Mann der dreihundert amerikanischen Theater“, in: Die Stunde [Wien], 28. Mai 1930.
[22] Luzi Korngold, Erich Wolfgang Korngold. Ein Lebensbild von Luzi Korngold, Wien 1967, S. 50.
[23] o.A., „Zur Erstaufführung der ‚Fledermaus’ in der Neubearbeitung von Carl Rössler, Marcellus Schiffer und Erich Korngold“, in: Neue Freie Presse, 16. Juni 1929, Kopie des Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[24] M.M., Neue Zürcher Zeitung, 12. Juni 1929, Kopie des Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[25] Ebd.
[26] Marben, a.a.O.
[27] Rush, „A Wonderful Night“, in: Variety, 1. November 1929.
[28] Erich Pommer, Brief an E. W. Korngold, Berlin, 16. Mai 1930, Kopie des Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[29] o.A., „‚Nacht in Venedig’ in der Staatsoper“, in: Journal, 28. Mai 1929, Kopie des Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[30] lp., „Strauß-Feier in der Staatsoper“, in: Das kleine Blatt, 25. Juni 1929.
[31] r. [Josef Reitler], „Eine Nacht in Venedig“,in: Neue Freie Presse, 24. Juni 1929, Kopie des Korngold Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[32] Adaxl, „Strauß spielt auf!“, in: Adaxl Nr. 48/49 1929, Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[33] Josef Reitler, „Operntheater“, in: Neue Freie Presse, 25. Juni 1929, Kopie des Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[34] r. [Josef Reitler], „Eine Nacht in Venedig“,24. Juni 1929, a.a.O.
[35] Ebd.
[36] Chistiane Niklew, Email an den Autor, 13. Dezember 2007.
[37] n.n., „Das Lied der Liebe“, in: Der Tag, 25. Dezember 1931, Kopie des Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[38] V. Wittner, „Strauß, Korngold, Tauber“, in: BZ am Mittag, 24. Dezember 1931
[39] Bie., „Das Lied der Liebe“, in: [o.A./1931], Kopie des Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[40] Ebd.
[41] n.n., „Das Lied der Liebe“, a.a.O.
[42] Korngold zit. n. Marben, a.a.O.
[43] Edwin Neruda, „Die geschiedene Frau“, in: [o.A.], Kopie des Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.
[44] Korngold, „Operettenbearbeitungen“, a.a.O.
[45] Olin Downes, „Music in Review: Rosalinda“, in: The New York Times, 29. Oktober 1942.
[46] Richard C. Norton, Email an den Autor, 12. Dezember 2006.
[47] Ibee, „Helen Goes to Troy“, in: Variety, 26. April 1944.
[48] E., „Operette auf dem Nullpunkt“, in: Kölnische Rundschau. 12. November 1954, Kopie des Korngold-Archiv Hamburg, Bernd O. Rachold.