Uraufführung von Moritz Eggerts neuer Operette „Die letzte Verschwörung“

Robert Quitta
Operetta Research Center
20. April 2023

Ich werde diese Szene nie vergessen. Als sich während eines der Zwischenlockdowns mein Elektriker endlich wieder in meine Wohnung wagte, um die in der Zwischenzeit zahlreichen verstorbenen Glühbirnen zu wechseln, erklärte er mir, auf einer Leiter stehend, von oben herab die Welt.

Timothy Fallon als Friedrich Quant in "Die letzte Verschwörung". (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

Timothy Fallon als Friedrich Quant in “Die letzte Verschwörung”. (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

Und siehe da, mein langjähriger Bekannter, um nicht zu sagen Freund, war während der Pest zum totalen Verschwörungstheoretiker mutiert (wofür er in „Friedenszeiten“ nicht die geringsten Anzeichen gegeben hat).

Also höret und staunet: das Virus ist natürlich frei erfunden, es dient nur den „Großen Reset“ herbeizuführen, den die Bilderberger erfunden haben, durch 5G werden wir alle abgehört und manipuliert, bei der Impfung pflanzt uns Bill Gates einen Microchip unter die Haut, die Rothschilds lösen mit im Weltall platzierten Laserkanonen Erdbeben aus, im Übrigen haben längst die Echsen die Macht auf der Erde übernommen, die USA sind kein Land mehr, sondern eine Ges.m.b.H, Joe Biden ernährt sich vom Blut von Kleinkindern, denen es von einem Pädophilenring unter der Leitung von Hillary Clinton (!) im Keller einer New Yorker Pizzeria (?) abgezapft wird.

Und um diesem schändlichen Treiben ein Ende zu bereiten, werden bald die Außerirdischen landen…“ und du wirst dich schön wundern, wenn sie plötzlich vor deiner Tür stehen…!“

Timothy Fallon und Ensemble in "Die letzte Verschwörung". (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

Timothy Fallon und Ensemble in “Die letzte Verschwörung”. (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

Das ist, kurz zusammengefasst, auch der Inhalt von Moritz Eggerts jüngstem Musiktheaterwerk Die letzte Verschwörung, das der Komponist und die Volksopernchefin Lotte de Beer allerdings als „neue Operette“ zu verkaufen versuchten.

Wofür mein in den Wahn abgedrifteter Freund zehn Minuten brauchte, benötigt Egger zwei Stunden, weil er das Ganze in eine etwas banale Rahmenhandlung – aufrechter aufgeklärter Talkshowmoderator und biederer Familienvater mit dem nicht besonders überzeugenden Namen Friedrich Quant gerät durch eine femme fatale immer mehr in die Fänge der Verschwörungstheoretiker – verpackt.

Aber ansonsten sind alle Ingredienzen enthalten: 5G heißt hier 6H, es gibt Agentinnen, Überwachung, Demos, Freiheitskämpfer, Identitätsdiebstahl, Illuminaten, Echsen und Außerirdische. Dankenswerterweise fehlen die Rothschilds und ihre Laserkanonen, es gibt zwar auch die Pizzeria, aber da unterlaufen Eggert (der auch sein eigener Librettist war) ein paar Ungenauigkeiten: denn die „Küche“ befindet sich im Erdgeschoss und nicht im Keller, und es wird auch nicht Kinderblut getrunken, sondern es werden Pizzen mit Kinderfleisch belegt serviert: Pizza Bambini sozusagen …

Das ist natürlich alles sehr interessant, und eigentlich könnte man sagen, dass dieser brandaktuelle total verrückte Stoff nur auf seine Vertonung gewartet hat. Eggerts undogmatische Musik ist sehr gefällig (manch ein Kritiker glaubte viele Zitate aus Filmen und Opern entdeckt zu haben, was Eggert aber vehement bestreitet) und Prinzipalin de Beer hat bei ihrer eigenen Uraufführungsinszenierung weder Kosten noch Mühen gescheut, nicht gespart an Maschinen, Prospekten und Statisten (es sind Hunderte Menschen involviert), die sehr geschickt gestaltete Drehbühne von Christof Hetzer ist ständig in Bewegung und zeigt die verschiedensten Schauplätze…es ist alles sehr flott und unterhaltsam… man langweilt sich keine Sekunde… und verbringt zwei durchaus vergnügliche Stunden in der Volksoper…

Es gibt aber auch Schwächen der Produktion: als erstes würde ich das Libretto erwähnen, das der Komponist doch lieber einem Profi überlassen hätte. Auch das von ihm selbst gesprochene Voiceover, das über Lautsprecher die ganze Geschichte noch einmal erzählt und somit verdoppelt, hätte er sich sparen können.

Aaron Pendleton als Edgar Binder und Annelie Sophie Müller als Georgina von Solingen in "Die letzte Verschwörung". (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

Aaron Pendleton als Edgar Binder und Annelie Sophie Müller als Georgina von Solingen in “Die letzte Verschwörung”. (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

Eine weitere Schwäche befindet sich leider auch in der Besetzung: Timothy Fallon hat zwar eine schöne Stimme, ist aber als Typ für einen zumindest am Anfang zynischen Talkshowhost überhaupt nicht glaubhaft. Zumal er zwar Unmengen von Text zu bewältigen hat, aber durch seinen britischen Akzent (hat man sich bei all dem Aufwand keinen Sprachcoach leisten können ?) und seine Hänger (man hörte mehr die Souffleuse als ihn) die Entwicklung dieser Figur in keinster Weise darstellen kann.

Sehr gut hingegen Rebecca Nelsen (als Verführerin), Daniel Schmutzhard (als Echsenkanzler) und Wallis Giunta (als Echsenoligarchin), die – Echsen sind auch nur Menschen – auf etwas schwierige Weise miteinander zu kopulieren versuchen. Brillant – soweit man das bei einer Uraufführung beurteilen kann – das Dirigat von Steven Sloane.

Wallis Giunta als Natalya Ostrova und Daniel Schmutzhard als Der Kanzler in "Die letzte Verschwörung". (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

Wallis Giunta als Natalya Ostrova und Daniel Schmutzhard als Der Kanzler in “Die letzte Verschwörung”. (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

Die größte dramaturgische Schwäche ist aber, dass die Hauptfigur alle diese Verschwörungstheorien am eigenen Leib erlebt und selbst mit Echsen, Pizzen und Außerirdischen in Berührung kommt und somit diesen kruden paranoiden Hirngespinsten konkrete, affirmative Wirklichkeit verleiht – was doch eigentlich gegen die Intentionen des Autors sein müsste …

Die letzte Verschwörung ist meiner Meinung nach ein durchaus gelungenes neues Musiktheaterwerk mit kleinen Schwächen… aber sie ist alles (und in dieser Hinsicht waren sich alle Kritiker einig) außer einer neuen O p e r e t t e.

Eggert behauptet zwar wortreich, dass es kein „Regelwerk“ gäbe, wie eine Operette auszusehen habe. Aber das ist gar nicht der Punkt. Der Punkt ist, was die Zuschauer mit dieser Bezeichnung verbinden. Man müsste diese Erwartungen ja gar nicht unbedingt erfüllen, aber zumindest darauf Bezug nehmen. Man tut sich selbst und dem Genre keinen Gefallen, wenn man unter falscher Flagge segelt.

Ein Großteil des Schlußbuuuhs bei der Premiere dürfte auf diese unnötige Etikettenirreführung zurückzuführen sein.

Weitere Information finden sich hier.

 

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