Robert Quitta
Operetta Research Center
8. Januar 2024
Von den vielen tragischen Schicksalen jüdischer Operettenkomponisten (verfolgt, vertrieben, ermordet, selbst wenn sie im Exil überlebt haben, bei der Rückkehr als Überlebende misstrauisch beäugt, und nicht mehr an die Erfolge der Vorkriegszeit anschließen könnend), hat das von Joseph Beer eine besonders bittere Note. Denn Beer hat zwar in Nizza als U-Boot überlebt, hat aber die Vernichtung seiner Lemberger Familie dermaßen verinnerlicht, dass er danach nicht nur keine Operetten mehr schrieb, sondern auch die Aufführungen seiner in den 1930er Jahren entstandenen Werke verbot.
Erst vor ein paar Jahren konnten die Erbinnen dazu überredet werden, wenigstens die Rechte für die Polnische Hochzeit (1937) freizugeben, und so konnten im Anschluss daran die Zuschauer in Graz, Linz und Dresden diese jahrzehntelang vergessene Operette endlich wiederentdecken.
Nicht umsonst galt Beer als Wunderkind und als größte Hoffnung des Genres, das nicht mehr zeitgemäß wirkte und sich damals selbst überlebt zu haben schien. Beers beide (und einzigen) Operetten Polnische Hochzeit und Der Prinz von Schiras (1934) waren in Teilen Europas damals ein Hit.
Letztere galt allerdings bis vor kurzem als verschollen, und nur der hartnäckigen Sammlerleidenschaft und dem unwahrscheinlichen (aber verdienten) Entdeckerglück des Intendanten vom Regensburger Theater, Sebastian Ritschel, sowie seinem Dramaturgen Ronny Scholz ist es zu verdanken, dass durch eine Reihe unglaublicher Zufälle zuerst ein Klavierauszug und dann die ganze Partitur aus diversen Antiquariaten und Verlagskellern ans Tageslicht kamen.
Und jetzt also – zur Belohnung all dieser Mühen – die Weltwiederpremiere des Prinzen von Schiras am Stadttheater Regensburg. Ohne den Hauch einer Übertreibung muss man sagen, dass wir da einem absolut historischen Abend beiwohnen durften.
Denn der Prinz von Schiras ist (obwohl ein Erstlingswerk) ein Meisterwerk. Beers Musik ist schmissig, fetzt und jazzt, ist dramatisch und lyrisch und fröhlich und witzig und berührend Das Libretto von Fritz Löhner-Beda und Ludwig Herzer steht der Komposition an Genialität in nichts nach. Der Prinz besteht (vergleichbar vielleicht mit Paul Ábraháms Viktoria und ihr Husar) eigentlich nur aus Schlagern, und diese haben allesamt Hitpotenzial. Vielleicht haben manche Stimmen recht, die nach der Premiere meinten, wenn der depperte Zweite Weltkrieg nicht stattgefunden hätte und die Geschichte gerechter verlaufen wäre, hätten die „Drei Tenöre“ Jahrzehnte später nicht „Dein ist mein ganzes Herz“ gesungen sondern „Du warst der selige Traum“ geschmettert. (Die Story ähnelt mit ihrem Orient/Okzident-Gegensatz sehr dem Land des Lächelns, ebenfalls von Löhner-Beda verfasst, hier allerdings mit Happy End).
Verdienen Ritschel & Scholz allein schon für die Aufstöberung dieses Juwels einen Großen Operettenorden, so gebühren ihnen für diese über die Maßen gelungene Produktion noch ein paar andere dazu.
Denn sie begehen nicht den Fehler (und die Nachlässigkeit und die Respektlosigkeit) so vieler anderer Theater (ich nenne keine Namen) und begnügen sich mit der Wiederentdeckung, sie lassen das Stück nicht in alten Bühnenbildern und ollen Kostümen vom Zweitregisseur inszenieren und nicht von Zweitkräften singen. Nein. Das Stadttheater Regensburg wirft all sein beachtliches künstlerisches (und auch finanzielles) Gewicht in die Waagschale, um diesen gehobenen Schatz so würdevoll und prachtvoll zu präsentieren, wie er es verdient.
Es gibt ein fantasievolles (aber auch praktikables) Bühnenbild, tolle Kostüme und eine absolut hinreißende Choreographie (von Gabriel Pitoni). Und vor allem hört man auch nicht auf zu staunen, welch unglaubliches, bis in die kleinste Rolle perfektes und perfekt besetztes Sängerschauspielerensemble sich Ritschel & Scholz (die erst seit einem Jahr im Amt sind) sich hier mittels langwieriger Castings aufgebaut haben.
Es sind lauter Entdeckungen zu machen. Zumindest erwähnt und gelobt seien: Carlos Moreno Pelizari (Prinz Nadir von Schiras), Kirsten Labonte (Miss Violet Colton), Scarlett Pulwey (ihre Gesellschaftsdame), Matthias Störmer (Vicomte de La Motte-Latour) … aber wie schon vorher gesagt, müsste man eigentlich das gesamte Ensemble erwähnen. Und natürlich auch alle Tänzer!
In kurzen Worten: die beste Operettenproduktion seit langem. Mein Tipp: Fahren Sie nach Regensburg, Sie werden es garantiert nicht bereuen!
Weitere Informationen, Klangbeispiele und Aufführungstermine finden sich hier.