Hans-Dieter Roser
Operetta Research Center
18 June, 2014
Liebe Trauerfamilie, liebe Freunde von Sonja Mottl! Wir tragen heute wieder ein Stück Wiener Theatergeschichte zu Grabe, nehmen Abschied von einem der Menschen, der durch Jahre ein Opernhaus und damit das Musikleben dieser Stadt mitgeprägt hat, die gegenwärtige Szene ärmer zurücklassend, aber als glückliche Erinnerung bewundert weiter lebend.
Fast auf den Tag vor 60 Jahren, am 30. Juni 1954, trat Sonja Mottl-Sagovac, wie sie sich damals noch nannte, zum ersten Mal an der Wiener Volksoper auf. Damals – vor der Wiedereröffnung des Hauses am Ring – hieß es noch Staatsoper in der Volksoper, quasi das zweite Haus der Staatsoper neben der Staatsoper im Theater an der Wien. Vom Nationaltheater Zagreb war die bildschöne junge Sängerin mit der wunderbaren Stimme gekommen. Dort in Zagreb war sie von Maria Kostrencic ausgebildet worden, die auch Zinka Milanov und Sena Jurinac ausgebildet hatte. Ihr verdankte Sonja Mottl die soliden stimmlichen Mittel. Ihre starke Bühnenpersönlichkeit, mit der sie sofort einnahm, war aus ihr selbst gekommen und von ihr mit Begabung und Disziplin zur Blüte gebracht worden.
Wie bei ihrem Bühnendebüt am Nationaltheater ihrer Heimatstadt Zagreb, wo sie 1943 mit 20 Jahren in Lehárs LAND DES LÄCHELNS aufgetreten war, stellte sie sich auch in Wien in einer Operette vor, im BETTELSTUDENT als Laura – in der 139.
Vorstellung dieser legendären Inszenierung, die dem Haus einmal das Epitheton „Dreivierteltakt-Bayreuth“ eingebracht hatte. Auch bei der zweiten Rolle warf man die junge Künstlerin in eine Repertoire-Vorstellung hinein und gab ihr in der 63. Vorstellung der LUSTIGEN WITWE die Rolle der Valencienne. Sie muss in beiden Partien sehr gut gewesen sein, denn nun war sie plötzlich auch premierenwürdig, was an einem Haus nicht selbstverständlich war, das von einem Operettengott am Pult indirekt gesteuert wurde, der mit der damaligen Operettendiva des Hauses verheiratet war. POLENBLUT war dieses Premiere im November 1954, wo Sonja Mottl zwar noch nicht Diva sein durfte, wo sie aber nachdrücklich darauf hinwies, dass mit ihr eine zweite hauseigene echte Diva im Kommen war.
Sie, die sich bereits an ihren vorhergehenden Engagements in Zagreb, Esseg, Split und wieder Zagreb, wo sie noch als Koloratursopran engagiert war, mit Gilda, Oscar und Musetta ein Opernrepertoire erarbeiten konnte, wurde nun auch im Opernrepertoire der Staatsoper in der Volksoper eingesetzt, so als Fata Morgana in DIE LIEBE ZU DEN 3 ORANGEN oder als Nedda im BAJAZZO – an der Seite von Helge Roswaenge als Canio.
Mit Beginn der Saison 1955/56 wurde die Volksoper ein eigenständiges Theater mit dem Programm, das sie noch heute pflegt. Und Sonja Mottl wurde ihr treues Mitglied. 1514 Auftritte sollte sie im Haus am Währingergürtel und auf Gastspielen der Volksoper bis zu Ihrem Rückzug von der Bühne im Jahr 1988 absolvieren. Alle großen Partien einer Operettendiva sang sie ab 1961 und wurde zu einem Fixstern des Hauses. Es mutet wie ein Gang durch die Operettengeschichte an: 106mal Hanna Glawari, 76mal Rosalinde, Annina, Sonja im ZAREWITSCH, Angèle im LUXEMBURG, Gräfin Zedlau, Lisa im LAND DES LÄCHELNS, Kurfürstin im VOGELHÄNDLER, die Pompadour , Sylva Varescu, Saffi usw. Am öftesten stand sie in 123 Auftritten als Lilli Vanessi in KISS ME, KATE auf der Bühne, die sie auch am Opernhaus Zürich spielte. Daneben gab es natürlich auch Partien in Opern. So u.a. in FRA DIAVOLO, dann in ihrer heimatlichen Nationaloper ERO, DER SCHELM und in Smetanas kostbaren ZWEI WITWEN – hier an der Seite von Ljuba Welitsch. Es kam auch zu einem Premierendebüt im Haus am Ring, 1968 als Flora Bervoix in LA TRAVIATA neben Hilde Güden, Alfredo Kraus und Kostas Paskalis unter Argeo Quadri. Aber die Operettendiva dominierte in Sonja Mottls Karriere. War sie doch ein Musterbeispiel für ein inzwischen vom Aussterben bedrohtes Sängerfach: Sie war schön, hatte eine unaufdringliche erotische Ausstrahlung, die sich auch im Goldton der Stimme mitteilte, sprach einen selbstverständlichen Dialog, hatte Sinn für Zwischentöne und den Subtext mancher Dialogpassagen, war kapriziös, aber nicht neckisch, nie sentimental, bewahrte immer eine Spur von Distanz, die Nähe erst deutlich macht, hatte vor allem Humor und wusste Kleider mit Stilgefühl und Eleganz zu tragen. Mehr konnte man sich für die Operette nicht wünschen. Seltsam, dass die damalige sommerliche Operettenhochburg am Bodensee diesen Glücksfall einer Diva Jahrzehnte übersah, so dass es erst 1982 zu einem späten Debut in Bregenz unter Jerome Savary als Mirabella kam.
Aber auch Operettendiven unterstehen dem Diktat der Zeit. 1973 wechselte Sonja Mottl ins Charakterfach – beeindruckend mit einer Witwe Begbick in AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY.
Später kamen auch die Altersrollen in Operetten wie die Palmatica im BETTELSTUDENT, Madame Beaubuisson im OPERNBALL oder Tante Paula im FEUERWERK dazu, die sie vom platten Komikercliché befreite, denen sie die Würde des Alters und eine diskrete Komik zurückgab. Selbst als sie in den späten Jahren ihrer Karriere zu reinen Sprechrollen wechselte, wusste sie diese zu wesentlichen Partien zu gestalten und in ihnen zu brillieren. 112 Auftritte als Mrs. Higgins in MY FAIR LADY und 108 Auftritte als Anhilte in der CSÁRDÁSFÜRSTIN beweisen das. Besonders mit der Anhilte in der von ihr geliebten Herzl-Inszenierung dieser Operette gelang ihr das Wunder, eine auf den ersten Blick komische Figur in die Welt eines Hofmannsthals zu erheben, aus dieser Bretteldiva aus Miskolc, wie sie ihr Bühnenmann nennt, eine Verwandte der Marschallin zu machen, schön, elegant, versonnen, mit beiden Beinen im Leben stehend und es annehmend. Und in das Entzücken über diese Leistung mischte sich beim Zuschauer das stille Bedauern, dass die Rolle der Fürstin Feldmarschall an Sonja Mottl vorbei gegangen ist. Klagen wir nicht darüber. Klagen wir, dass mit Sonja Mottl wieder eine große Dame der Operettengeschichte von uns gegangen ist, der wir aber dankbar eine glückliche Erinnerung bewahren dürfen.
Begräbnis am 18. Juni 2014