Lehár’s “Der Mann mit den drei Frauen”

Karl Kraus
Die Fackel: Nr. 244, 17.02.1908, 9. Jg., S. 5-7
17 February, 1908

Ich höre; daß sich im Theater an der Wien gegenwärtig eine Affenschande von Julius Bauer mit Musik von Lehar, unter dem Titel »Der Mann mit den drei Frauen« vollzieht. Ich habe es nicht erlebt und wünsche, daß mir für den Rest meiner Erdentage erspart bleibe, dergleichen zu erleben. Ich höre, daß sich die Leute zu den Aufführungen drängen, weil jeder zuhause erzählen will, was heute auf der Wiener Operettenbühne möglich ist. Die ‘Neue Freie Presse’ hat Texte von »volksliedartiger Schlichtheit und lyrischer Liebenswürdigkeit« aus dem Werk zitiert. Mir klingts noch in den Ohren.

Lulu – lulu – lullt ihn ein,  Träumen laßt ihn süß und fein.

Eine ähnliche Stimmung hat Goethe in seinem »Über allen Gipfeln ist Ruh« nicht herausgebracht, wenigstens ist es sicher, daß die Kommis, die in der liberalen Presse die »Renaissance der Wiener Operette« bejubeln, dies nie zugegeben hätten. Das eine aber kann ich sagen: Wenn ich noch einmal in einem Referat über ein Werk des Herrn Julius Bauer die Worte »Witzkrösus« oder »Pointen-Vanderbilt« lese, werde ich indiskret und plaudere die Witze aus, die darin vorkommen. Darin verstehe ich nämlich keinen Spaß. Wenn man uns immer wieder versichert, Herr Bauer habe sich »als Meister des Situationsscherzes erwiesen«, reißt einem schließlich die Geduld, und man wird dazu förmlich gezwungen, zu verraten, daß Herrn Bauers Bühnenhumor Situationen eigens erfindet, um die schäbigsten Kalauer möglich zu machen, die man in keiner anständigen Börseanergesellschaft erzählt. Wenn Herr Bauer es sich herausnähme, bei einer Hochzeit im Hause Taussig zu behaupten, »ein weibliches Wesen« dürfe sich nicht »mit einem Manlichergewehr« umbringen, entstände eine Verlegenheitspause. Im »Armen Jonathan« wird eine Situation daraus.
Wenn Herr Bauer bei einer Tafel zu erklären wagte, ein Buch, das man einem nachwirft, sei ein »Nachschlagewerk«, nähme der Hausherr in Ermangelung eines Buches einen andern schweren Gegenstand in die Hand. Im »Hofnarrn« wird eine Situation daraus.
Der arme Jonathan muß früher Tierbändiger gewesen sein, damit er dann dem Publikum erzählen kann, er habe »den Bestien seiner Zeit genug getan«, und was der Hofnarr – der in der Operette und der des Herrn von Taussig – alles anstellen muß, um einen Kalauer anzubringen, das grenzt schon ans Verbrecherische … Viel Schmach ist seit den großen Tagen der Operette von tantiemengierigen Stümpern der Wiener Vorstadtbühne angetan worden, – keine ärgere als von Herrn Julius Bauer, dessen Humorarmut bloß in der spottbilligen Form des Heine’schen Verses ein wenig schimmert, aber auf die Bühne so wenig paßt wie ein boxendes Känguruh auf einen Sportplatz.
Was ich vor neun Jahren über den Versuch, »Adam und Eva« mit gehirnöden Buchstabenwitzen aus dem Paradies zu vertreiben, gesagt habe, ist der Notizenbande länger im Ohr geblieben als die Musik des Herrn Charles Weinberger, und ich bemerke zu meinem Vergnügen – soweit ein solches Gefühl nach einer Novität des Herrn Bauer überhaupt noch aufkommen kann –, daß sich die Frechheit um einen Grad herabgestimmt hat. Immerhin ist der Terrorismus jener Mächte, die dem Publikum Druckerschwärze in die Augen schmieren, noch arg genug. Trotz der Nähe des Naschmarkts, wo es faule Äpfel in Fülle gibt, riskieren die Beherrscher des Operettenmarkts das Menschenmögliche, und ich weiß nicht, ob die Direktoren des Theaters an der Wien, wenn sie ganz unter sich sind und bestimmt niemand zuhört, einander zu versichern wagen, daß ein Libretto des Herrn Bauer ein Schund ist. Herr Karczag, einer der beiden außerordentlichen Männer, ist nach Ungarn zuständig. Aber was nützt das, wenn das Gesetz nur das Hazardspiel und nicht die Aufführung von Operetten meint? Auch der Librettist des »Manns mit den drei Frauen« ist nach Ungarn zuständig. Auch die Kritiker sind nach Ungarn zuständig. Wenn man sie alle zusammen ein einzigesmal bei einer Partie Klabrias erwischen könnte, hätte der ganze Jammer unseres Theaterlebens ein Ende.

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