Entre Nous: Celebrating Offenbach

Boris Kehrmann
Opernwelt
1 January, 2007

Offenbachianer werden die neue 2-CD-Box Entre Nous. Celebrating Offenbach des englischen Entdecker-Labels Opera Rara mit einem lachenden und einem weinenden Auge zur Hand nehmen. 41 Auszüge aus 23 kaum oder gar nicht bekannten Bühnenwerken sind besser als nichts. Aber wäre ein vollständiges Werk nicht vorzuziehen? Indem man Offenbach auf schöne Melodien reduziert und den Dramatiker herunterspielt, geht der Musik viel von ihrer Doppelbödigkeit verloren. Es ist nicht seine Schuld, wenn sich im Laufe der über zweieinhalbstündigen Blütenlese Ermüdungserscheinungen einstellen.

Opera Rara's CD box "Entre Nous. Celebrating Offenbach".

Opera Rara’s CD box “Entre Nous. Celebrating Offenbach”.

David Parry und das makellose London Philharmonic Orchestra haben die Exzerpte insgesamt auf hohem Niveau eingespielt: gewissenhaft, um Witz bemüht, gelegentlich etwas glatt. Bei den Damen setzt Opera Rara neben jungen Stimmen auf langjährige Mitstreiterinnen (Yvonne Kenny, Jennifer Larmore, Diana Montague, Elizabeth Vidal), bei denen man über manchen Verschleißmangel hinweghören muss. Eine erfreuliche Überraschung sind die Buffo-Tenöre Loïc Félix, Colin Lee und Mark Wilde: sie decken das gesamte Spektrum vom Charakter- bis zum lyrischen Fach mit starker individueller Farbe ab und treffen Offenbachs Ton. Jene atmosphärische und expressive Dichte, mit der die historischen Interpreten der unübertroffenen Offenbach-Anthologie Laurent Fraisons (Forlane 16766, 16778, 16783, 16788, siehe OW 1999/9-10) aus jeder Nummer eine Welt für sich formten und den Kosmos Offenbachs wie in einer Nussschale einfingen, erreicht die neue Anthologie allerdings nicht.

Und doch soll man nicht undankbar sein. Wenn man sich mit Hilfe der großen Offenbach-Biographie Jean-Claude Yons (Gallimard, Paris 2000) den Inhalt der jeweiligen Werke vergegenwärtigt und die Gesangstexte (französisch/englisch im Booklet) mitliest, merkt man, dass zum Beispiel Valentins „Grabrede“ auf den Kakadu Vert-Vert nicht nur eine berückend schöne, sentimentale Melodie hat, sondern auch einem verfressenen Mädchenpensionats-Maskottchen gilt, das an einer Überdosis Kuchen und gebrannter Mandeln starb. Verlässt man sich nur auf das Ohr, geht der Hintersinn verloren.

 

Das gilt grosso modo für alle eingespielten Auszüge, die Offenbachs gesamte Reifezeit vom ersten Programm im eigenen Theater der Bouffes Parisiens («Une nuit blanche», 1855) bis zum vorletzten Stück («Belle Lurette», 1880) abdecken. Mein absoluter Favorit ist die Herz zerreißende Liebeserklärung der beiden deutschen Colonels an die Diva Malaga, deren Namen die Verehrer auf Tralala reimen und dazu jodeln. Zur treudeutschen Melodie im Stile von «Weißt du, wie viel Sternlein stehen» gestehen sie, dass sie ihre bisherigen Bräute und ihr «liebes deutsches Vaterland» für ein Glas Champagner mit der Diva gerne verrieten. Das gleichnamige Stück «La Diva» (1869) war ein Vehikel für Hortense Schneider und brachte deren Karriere vom Ladenmädchen zur Bühnenkönigin parodistisch aufs Theater. Die Box enthält daraus außerdem eine hinreißende «La Traviata»-Parodie (mit der etwas flackrigen Jennifer Larmore) und ein bittersüßes Selbstmord-Lied (mit der überreifen Yvonne Kenny). Zweites Highlight ist das Enten-Couplet aus der «Insel Tulipatan» (1868), in der sich König Kakadu XXII. (Loïc Félix knüpft an die großen Offenbach-Tenöre Raymond Amade und André Dran an) gegen Presse-Enten verwahrt und dabei einen ganzen Entenstall zum gackern bringt, was der auch sonst köstliche Geoffrey Mitchell Choir aufs übermütigste tut.

Eher zur romantischen Seite hin tendiert das entzückend «unkorrekte», mit «exotischen» Tönen und Instrumenten fein gewürzte Schlaflied für einen kleinen Negerjungen aus der in den 1920er Jahren für Josephine Baker wieder ausgegrabenen Kolonial-Oper «Die Kreolin» (1875).

Aus der unbedingt entdeckenswerten Revolutions-Revue «König Karotte» (1872) begeistert das lautmalerisch zischende Loblied auf die Eisenbahn und den technischen Fortschritt, während die anarchistischen Schneeflocken in der ebenfalls aufwändig ausgestatteten «Reise zum Mond» (1875) nach Jules Verne die Mondgesellschaft lautstark zum Bibbern bringen, und zwar im Tempo vom langsamen Walzer bis zum rasenden Cancan-Galopp anziehend.

Immer wieder ist Rivale Johann Strauß Zielscheibe von Offenbachs Spott. In seinem vorletzten Werk «Schöne Lurette» (1880) unterlegt er der Donauwalzer-Melodie die absurde Moritat einer durch ganz Europa führenden Liebeswerbung, im «Regimentszauberer» (1868) zittern zwei honorige Ehegatten im elegantesten Dreivierteltakt, dass ihre außerehelichen Affären ans Licht kommen. Donizetti wird in der «Seufzerbrücke» (1861) mit einer Wahnsinnsszene aufs Korn genommen, bei der sowohl der Wahnsinn der Primadonna als auch die Liebe des Liebhabers falsch sind und die «romantische» Cavatine in eine rassige Bolero-Cabaletta mündet, in der sich die beiden Betrüger die Vorzüge Spaniens als Fluchtziel und Liebesnest ausmalen. Neugierig auf das ganze Werk machen auch die Auszüge aus der Comique «Die Schäfer» (1865), in der das Thema des Liebesidylls im 1. Akt im Stil der Antike, im 2. à la Rokoko (Watteau) und im 3. à la Realismus (Courbet) abgehandelt wird. Das überzuckerte Liebesgeturtel des 3. Akts kippt rasch in eine vulgäre Tellerschlacht um. Weitere Nummern stammen aus «Geneviève de Brabant», «La jolie Parfumeuse», «La Permission de dix heures», «Les deux Pêcheurs», «M. et Mme. Denis», «La Rose de Saint-Flour», der Eisbären-Oper «Boule de neige», «La Boulangère a des écus», der Berlioz-Parodie «Il Signor Fagotto», «Maître Péronilla» und «Le Château à Toto». Hat man sich den Kon- und Subtext der Auszüge vergegenwärtigt, kommen unterm Strich doch zwei Kultplatten zum vergnügten Immerwiederhören heraus. Boris Kehrmann

Entre Nous. Celebrating Offenbach. Excerpts from the Forgotten Operas.

Jennifer Larmore, Alastair Miles, Yvonne Kenny, Mark Stone, Diana Montague, Laura Claycomb, Elizabeth Vidal, Colin Lee, Loïc Félix, Mark Wilde, Cassandre Berthon, Mark le Brocq, Alexandra Sherman, André Cognet. Geoffrey Mitchell Choir, London Philharmonic Orchestra, David Parry.

Opera Rara ORR 243 (2 CDs); AD: 2006

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