Forbidden But Not Forgotten: “Entartete Operette” In Historic Recordings

Stefan Lauter (with permission of the author)
Operalounge.de
16 June, 2015

The label Intense Media has issued a 10 CD box with so called “Degenerate Music,” i.e. music and recordings by artists that were banned and erased from memory by the Nazis between 1933 and 1945. In contrast to the famous Decca Entartete Musik series, produced by Michael Haas, this box contains only original historic recordings. And while Haas only included one operetta in his Decca project (Kalman’s jazz operetta Die Herzogin von Chicago), there is much more “operetta” to be found here. Our colleague Stefan Lauter reviewed this box for Operalounge.de – we are thankful to their chief editor Geerd Heinsen who allowed us to re-print the article in German here.

The cover of the 10 CD box "Forbidden But Not Forgotten." (The Intense Media)

The cover of the 10 CD box “Forbidden But Not Forgotten.” (The Intense Media)

Die von Intense Media vorgelegte 10-CD-Box mit originalen „entarteten“ Musikbeispielen vor und noch aus der Nazi-Zeit gliedert sich sehr übersichtlich in einzelne Sparten, was das Hören erleichtert, was aber in den einzelnen Bezeichnungen der Rubriken auch mal Stirnrunzeln hervorruft, weil man die Anführungsstriche oft vermisst. So ist die erste CD mit Kulturbolschewismus eben ohne solche tituliert, gefolgt von Kabarett/Chanson, Lockere Sitten, Die große Freiheit, Schlager und Film, (viel) Operette, Oper, Konzert.

Kulturbolschewismus“ (was ja doch wohl ein Fascho-Zitat ist, hoffe ich) beinhaltet Bekannte wie Brecht/Weill mit den alten Aufnahmen aus der Dreigroschenoper (Hans Sommer, Kurt Gerron, Lenya, Neher) aber auch das „Stempellied“ mit Ernst Busch. Jeder einzelnen Nummer ist eine mehrzeilige boigraphische Kurz-Einleitung mit Aufnahme-Datum etc. vorangestellt, die Auskunft gibt, warum dieser jeweilige Künstler, Begleiter oder Komponist in dieser Sammlung enthalten ist – auch dies eine wirklich gute editorische Tat. Meine Favoriten wie Kate Kühl, Curt Bois und natürlich die wunderbare Trude Hesterberg finden sich in der „riskanten Abteilung“ der Großen Freiheit, wo sich auch Gitta Alpar rumtreibt und Max Ehrlich die Mädis vom Chantant“ aus der Csardasfürstin 1930 besingt.

Namen über Namen, Perlen wie an einer Kette, vieles bekannt und manches überraschend (und eben nicht das offensichtliche nur, wie Marlene D.), so wie Paul O’Montis„Ich bin verrückt nach Hilde“von 1929. Gott, was waren das für tolle Texte – dieser Witz, dieses Zwinkern, diese frivolen Respektlosigkeiten. Ganz Seltenes wie Paul Graetz„Das ist der Herzschlag, der zusammenhält“ von 1920 steht da neben Waldorffs Raus mit den Männern aus dem Reichstag“, mehr von Ebinger und Busch, Massary natürlich, Dolly Haas. Mein Favorit ist Lucie Mannheim mit dem „Lied vom Nazisoldaten“ (mit Mischa Spoliansky 1944 in London aufgenommen, was eigentlich eine eigene Ausgabe der Exillieder verdient hätte, worunter dann auch mehr von Kurt Weill gefallen wäre).

Und genau da sind wir bei den organisatorisch/nomenklatorischen Problemen, weil sich verbotene Künstler mit genehmem oder umgekehrt viele „genehme“ Künstler mit „verbotenem Material“ mischen. Unter der Rubrik Oper findet man natürlich Halévy und Meyerbeer mit deutschen Barden (die nicht verboten waren und dazu natürlich in Aufnahmen vor der Machtergreifung). Da wäre mir die Einteilung in „entartete“  Komponisten als solche und „verbotene“, „verfolgte“, „vertriebene“ und „ermordete“ Künstler als solche lieber gewesen, so geht‘s ein wenig durcheinander.

Und es finden sich eben auch akut „Systemstützende“ wie Rühmann, Harvey und Fritsch mit Liedern von Komponisten (wie hier Heymann “Die drei von der Tankstelle”), die später vertrieben wurden. Das ist verwirrend und für mich anfechtbar.

In manchen Fällen muss man zweimal lesen, warum das Einzelne mit eingeschlossen wurde: Heinrich Schluss, bei Gott kein Widerstandskämpfer, singt SchubertsAn die Musik“ von 1928, aber der Clou ist eben Franz Rupp am Klavier, der 1938 nach Amerika emigrieren musste. Immerhin gibt´s Mahler, Hindemith, Kreisler. Aber um Serkin und Busch miteinzuschließen nur den 2. Satz aus Schumanns Klaviersonate op. 105 zu bringen, scheint mir allerdings sehr bemüht und „abgestrickt“.

Dennoch: Diese zehn CDs sind ein deprimierendes Kompendium an Namen und Persönlichkeiten, die im Dritten Reich nicht gelitten waren, umgebracht  wurden oder doch noch gerade entkommen konnten. Weigert und Busch, Elisabeth Schumann und Lotte Lehmann, Tauber und Spoliansky, Strawinsky und Schulhoff, Schönberg und Mahler, Delia oder Max Reinhardt, Kipnis und Schorr, Jansen und Scheidl, Armbrust und Mira, Dietrich (aber auch mit Allein in einer großen Stadt“ von 1932) und Ebinger – eine Legion, deren Vernichtung, eben auch im öffentlichen Nachkriegsbewusstsein, ein akutes Ausbluten des deutschen Geistes- und Kunstlebens bedeutet. Bis heute kann man sagen, weil namentlich in der Klassischen Musik dieses Auslöschung zum akuten Bruch des Publikums mit seinem zeitgenösssischen Musikleben geführt hat.

Entwicklungen wie die Darmstädter Schule, die Neuntöner etc. wären bei einer Kontinuität nicht so passiert, wie man ja in den USA sieht, wo zeitgenössische Kompositionen von Argenta oder Glass die Säle füllen und eben nicht das Publikum verschrecken oder spalten.

Weills Kompositionen aus Frankreich und Amerika sind bei uns immer noch so gut wie unbekannt.

Die Amputation am deutschen Kunstleben ist ebenso brutal gewesen wie folgenschwer. Deshalb ist dieses 10-CD-Kompendium umso empfehlenswerter, weil es uns kursorisch an unsere reiche musikalische Vergangenheit erinnert und uns – gut aufgefächert –  „hörbar“ nahebringt. Die vielen „Stolpersteine“ auf dem Cover erschrecken zu Recht.

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