Offenbach’s “Orpheus” in Berlin

Boris Kehrmann
Opernwelt
1 March, 2014

Am 18. Dezember 1983 erlebte die Deutsche Oper Berlin eine kleine Sternstunde heiteren Musiktheaters. In der dritten Spielzeit seiner Intendanz hatte Götz Friedrich fast sein gesamtes Ensemble samt Riesenchor und Ballett und ein paar Wagner-Veteranen versammelt, um Offenbachs Orpheus in der Unterwelt nicht als kleine Operette, sondern mit allem Pomp als Grand Opéra zu inszenieren. Am 1. Januar 1984 übertrug der damalige SFB die knapp dreistündige Produktion live im Fernsehen. Im Rahmen seiner DOB-Opernserie hat das Hallenser Label Arthaus Musik diesen Mitschnitt nun auf DVD herausgebracht. Wider Erwarten ist das trotz der dazwischen liegenden drei Jahrzehnte und einer Besetzung, der man auf dem Papier nicht so recht traute, auch heute noch ein Riesenvergnügen. Am meisten gealtert ist die ulkige Gestik des Fernsehmoderators Norbert Ely.

DVD cover of the Berlin "Orpheus" production by Götz Friedrich.

DVD cover of the Berlin “Orpheus” production by Götz Friedrich.

Der künstlerische Erfolg basierte sicher auf darauf, dass Friedrich bereits Erfahrung mit dem Stück hatte. Er hatte es 1975 als Riesenspektakel beim Holland Festival in einem Amsterdamer Revue-Palast inszeniert und aus diesem Grunde schon damals die schlanke Urfassung von 1858 um hinreißende Szenen und freche Chöre aus Offenbachs eigener Revue-Fassung von 1874 bereichert. Die Fehler der Amsterdamer Produktion konnte er in seiner Berliner Weiterentwicklung vermeiden, was dort funktioniert hatte, konnte er ausbauen. Dazu gehörte eine wirklich witzige Textfassung, die den Reim auf kabarettistische Weise beibehält (man freut sich ja immer, wenn die Sprache «denkt», statt dass das Denken «spricht») und mit Anspielungen auf die damalige Aktualität gespickt ist: Wende, Olympiade, Regietheater, Dallas, Emanzen etc. Und Jesús López Cobos dirigiert wie der Teufel. Aller Witz, alle Drahtigkeit, alle Farben und alle Poesie dieser hinreißenden Partitur kommen zur Geltung, ohne Wünsche offen zu lassen.

Aus Amsterdam hat Friedrich auch seinen Teufel, George Shirley, mitgebracht, der auf dem Bildschirm einen Tick zu alt wirkt, was angesichts seiner Eleganz aber nicht stört, und im Gegensatz zu allen Anderen französisch singt.

Für Friedrich kommt die Sünde nämlich aus Paris. Darum verlegt Ausstatter Andreas Reinhardt die Unterwelt in einen Luxus-Puff der Offenbach-Zeit, während der 1. Akt, die Welt, mit Kornfeld und AKW-Kulisse eindeutig im ländlich-prüden Amerika lokalisiert ist. Die Idee kam den Inszenatoren sicher, weil sie für die Eurydike ihres Luxuskörpers wegen die damals aufgrund des «Carmen»-Filmes prominente New Yorker Musical-Diva Julia Migenes engagierten. Die bringt mit ihrem leicht ordinären Akzent und ihrer kaltschnäuzigen Professionalität ein hinreißendes Schillern zwischen Flittchen und Upper Class in die Partie, das für das Nichtidiomatische ihres Gesangs vollauf entschädigt. Joan Collins lässt grüßen.

Die Protagonisten des Olymps waren die Wagner-Veteranen Hans Beirer und Astrid Varnay, weswegen der 2. Akt auch in einem Zauberberg-Sanatorium spielt, das als «Hotel Walhall» mal deutschbewußtere Zeiten erlebt hat und nun opportunistisch zu einem «Hotel Olymp» EUisiert wurde. Hier zaubert Wagner-Diva Janis Martin als Diana zauberhafte Klagetöne aufs Parkett, lässt Annabelle Bernard spätherbstliche Venus-Reize spielen und zeigt Neuzugang Peter Maus seine heute leider völlig vernachlässigten geniale Talente als Merkur-Komiker auf Rollschuhen. Hans Lohner lässt als Styx die Wiener Tradition der Zeitstrophen wieder aufleben, Mona Seefried ist als Öffentliche Meinung eine echte «Emma»-Bissgurke und Donald Grobe sieht aus wie ein etwas fülligerer Bruder Offenbachs. Ein echtes Vergnügen.

Offenbach: Orpheus in der Unterwelt. Deutsche Oper Berlin 1984. Arthaus Musik 101 679 (2 DVDs)

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