Elke Köpping
queer.de
17 July, 2014
In Amsterdam wurde 2006 das Operetta Research Center gegründet, das sich besonders der Erforschung von Gender- und LGBT-Themen widmet. Jetzt hat es eine neue Website – und ein Büro in Berlin. Ein Interview mit die Direktor des Instituts, Dr. Kevin Clarke.
Seit ein paar Wochen gibt’s das Operetta Research Center mit einer neuen Website und dem Mission Statement, „Gender- und LGBT-Themen“ sollen besonders berücksichtigt werden. Was, bitteschön, heißt das genau?
Natürlich kann man im Zusammenhang mit Operette viele Aspekte untersuchen, die alle lohnend sind, auf jeweils andere Weise. Aber bei einem Mitarbeiterteam, das zu 99 Prozent schwul ist, kommen bei uns halt besonders oft LGBT-Themen vor. Das ergibt sich quasi von alleine. (lacht) Ich habe selbst 2006 ein Buch herausgegeben über die besondere Verbindung von Homosexuellen und Operette, das dann der Männerschwarm Verlag unter dem Titel Glitter and be Gay veröffentlicht hat. Das war für mich persönlich der Startschuss, um mehr über Sexualität allgemein und Operette erfahren zu wollen – es war auch das Jahr, in dem das Research Center in Amsterdam gegründet wurde. Es gibt in Bezug auf Gender und LGBT endlos viele spannende Punkte: Operette war ja, historisch gesehen, in den 1860er Jahren eine mit der Halbwelt verbundene Kunstform, wo besonders offen und großzügig über Sex gesungen werden konnte. Was die Zeitgenossen als „sittengefährdend“ einstuften.
In dieser befreiten Hetero-Welt, wo Frauen sich provozierend nackt oder in Männerkleidung auf die Bühne stellten und alle Anstandsgesetze der Zeit umdrehten, war auch Platz für „queere“ Charaktere, die sich weigerten, die ihnen zugeteilen Gender-Rollen einzunehmen.
Besonders schön sieht man das in Jacques Offenbachs Die Insel Tulipatan, wo die Hauptfiguren Hermosa und Alexis eigentlich Hermann und Alexandra heißen. Sie beschließen auch zu heiraten wenn es eine gleichgeschlechtliche Ehe werden sollte, zum Horror ihrer spießigen Eltern. Man bedenke: Das ist ein Stück aus dem Jahr 1868!
Später gibt’s in Operetten wiederholt „Nance Characters“, die man als besonders „tuntig“ und damit belustigend „schwul“ interpretieren kann; Wilhelm Bendow ist hier zu nennen, den viele durch den Sketsch „Ja wo laufen Sie denn? Ach, ist der Rasen schön grün“ kennen. Er war der Star der Charell Revueoperetten im Berlin der 1920er Jahre, zusammen mit Claire Waldoff und Marlene Dietrich. Es gibt aber auch viele schwule Operettenschaffende, in deren Biographen die Gay-Aspekte bislang gern ausgeblendet wurden – egal ob im Fall Erik Charell (Im weißen Rössl), Noel Coward (Bitter-Sweet), Ivor Novello (Glamorous Nights) oder Luis Mariano (Chanteur de Mexico). Wir versuchen mit Artikeln in unserem Online-Archiv Informationen bereitzustellen, die mehr Licht aufs Werk dieser Herren werfen, Artikel, die Homosexualität nicht problematisieren, sondern als Selbstverständlichkeit behandeln. Allerdings fehlen uns noch deutlich lesbische Ansätze; Vorschläge sind jederzeit willkommen.
Das Research Center wurde 2006 in Amsterdam gegründet, hat jetzt aber auch ein offizielles Berliner Büro.
Als Leiter des Instituts habe ich lange in den Niederlanden gewohnt und gearbeitet. Aber die Operettenszene dort ist schwierig, weil sie vollständig in den Händen von Amateurgesellschaften liegt, die eine sehr altmodische und sexuell unbefreite Spielart des Genres pflegen, das eigentlich niemanden bei klarem Verstand interessiert. Museumsausstellungen, Buchveröffentlichungen, Dokumentarfilme etc. über Operette als historisches Genre gibt es in den Niederlanden nicht – und wird es vermutlich nie geben. Also habe ich irgendwann beschlossen, dahin zu gehen, wo die interessanteren Operetten gespielt werden und in das Land, wo die meisten Arbeitsaufträge für Operettenforschung herkommen. Interessanterweise haben Deutsche und Österreicher, nach leichter Überzeugungsvorarbeit, keine Berührungsängste mit der „Pornographie der Operette“, die ein großes Thema der Ausstellung im Theatermuseum Wien und München war, die unser Institut mitkuratiert hat.
In Holland wäre sowas undenkbar, auch wenn die Holländer angeblich so weltoffen und tolerant sind. Das gilt nicht für „Operette“, und eigentlich auch nicht für Musicals.
Ansonsten ist es in Zeiten von Internet fast egal, wo man sitzt, solange man Wifi hat. Mir macht’s Spaß zwischen Holland und Berlin zu pendeln, weil mein Partner nach wie vor in den Niederlanden lebt, ebenso unsere Facebook-Managerin.
Was ist am neuen Web-Auftritt anders?
Der wesentliche Unterscheid ist, dass die Website – die der Verein der Gestaltung in Berlin-Kreuzberg gebaut hat – auch eine Kommentar-Option bietet, d.h. User können alle Artikel nach Herzenslust kommentieren. Das war uns sehr wichtig, weil Operettenforschung, so wie alles im Leben, immer interaktiv stattfinden sollte und Austausch wichtig ist. Gleichzeitg ist es ein Risiko, denn gerade schwule Operetten- und Opernfans können in Chat Rooms sehr ausfallen werden, wenn sie anonym bleiben dürfen. Das ist mir schon vor Jahren bei Chat-Gruppen auf Gayromeo aufgefallen, wo die „Diskussionen“ so engstirnig und bösartig geführt wurden, dass ich irgendwann keine Lust mehr hatte, mitzumachen. Und das betraf sowohl einen Opern-Chat als auch den Operetten-Chat, der auf seine Weise noch schlimmer war.
Ich weiß nicht warum, aber schwule Operettenfans kennen in solchen Foren scheinbar keine Hemmungen und Schamgrenzen, und vor allem keinerlei Toleranz gegenüber anderen Meinungen.
Das ist ein bisschen schade, aber damit muss man leben. Und es wäre bedauerlich, wenn wegen ein paar Extremisten allen anderen die Gelegenheit geraubt würde, sich auszutauschen.
Wie hat sich die Gender- und LGBT-Forschung seit eurer Gründung im Jahr 2006 weiterentwickelt?
Da tut sich, erfreulicherweise, eine Menge. Besonders in den USA sind viele großartige Bücher herausgekommen, die diese Themenkomplexe vorangebracht haben. Zum Beispiel hat Carolyn Williams über die Operetten von Gilbert & Sullivan das Buch veröffentlich: Gender, Genre, Parody. Im Kapitel über Patience gibt’s einen ausführlichen Abschnitt zur Rolle des Stücks in der Geschichte der Homosexualität. Diese Analyse ist für mich ein echter Meilenstein.
Auch die erwähnte Ausstellung im Theatermuseum Wien hat 2012 Cross Dressing und damit Gender Bending als Thema aufgegriffen. Und im letzten Semester gab es an der Uni Wien eine Vorlesungsreihe über „Gender & Operette“, inklusive LGBT-Aspekte. Und das, obwohl die mit Feministen besetzte Gender-Beauftragten der Uni gar nicht erfreut darüber waren, dass da nicht nur „Frauenthemen“ behandelt werden sollte. Aber ich finde, „Gender“ geht auch Schwule an – und viele andere sexuelle Gruppen. Nicht nur Frauen. Es ist echt ein Skandal, dass Feministen da oft so engstirnig sind. Aber egal, die Vorlesung fand statt und war ein Erfolg bei Studenten, die anschließend zu mir sagten, sie wussten gar nicht, dass Operette so spannend und unterhaltend sein kann. Ich habe das als Kompliment angesehen.
Sogar auf die moderne US-Operette The Beastly Bombing (2006) über schwule Neonazis und Al Qaida Terroristen haben sie positiv reagiert. Einige haben sogar ihre Prüfungen über das Stück gemacht. Andere haben als Abschlussarbeit Wikipedia-Artikel neu geschrieben, damit Operettenforschung, inklusive Gender- und LGBT-Punkte, öffentlich zugänglich ist. Denn bei Wiki landet jeder der googelt als Erstes.
Wer benutzt das Research Center?
Hauptsächlich kommen Anfragen per Email. Menschen suchen Noten, Filme, Stückinfomationen usw. Wir versuchen Ihnen dann so schnell und unkompliziert wie möglich mit Verweisen an Experten oder Institute weiterzuhelfen. Manchmal kommen auch junge Menschen vorbei, um zu stöbern. Das finde ich toll.
Unlängst tauchte bei uns der UdK-Student Christian Miebach auf, der als Abschlussarbeit etwas über Max Hansen machen wollte. Er suchte sich Noten und Schriftstücke zu Hansen raus und baute sie dann in seine Performance ein. Er lieferte vor ein paar Wochen eine grandiose Show rund um Max Hansen ab, für die er eine gute Note von seinen Professoren bekam. Das war eine große Freude, ihm zuzusehen, besonders weil Max Hansen einer meiner größten „queeren“ Operettenhelden ist, der besonders großartig Gender-Konventionen durchbrechen konnte. Man kann das teils auf YouTube sehen, wo er Gitta Alpár kopiert und einen der herrlichsten Operettenmomente aller Zeiten kreiert. (Man kann gleich zu 4’20 gehen!)
Hast du eine Lieblingsaufnahme?
Die Liste ist lang. Sehr lang. (lacht) Bei den historischen Aufnahmen ist alles, was Fritzi Massary gesungen hat, in der Kategorie „Olymp“, besonders Lieder wie „Warum soll eine Frau denn kein Verhältnis haben?“
Daneben gibt’s fantastische Aufnahmen von Gitta Alpár, Max Hansen, Rosy Basony, Oscar Denes, Oscar Karlweis und vielen anderen. In moderner Zeit finde ich die Studenten der UdK von Adam Benzwi und Peter Lund eine echte Offenbarung. Die singen zwar hauptsächlich Musical, aber manchmal auch Operette. Nicky Wuchinger habe ich so entdeckt; der kam und sang dann auch bei unserer Ausstellungseröffnung im Theatermuseum Wien „Wenn der Toni mit der Vroni“. Jetzt ist er beim Phantom der Oper in Hamburg, zwischendurch hatte ich ihn ans Theater Bremen empfohlen, wo er im Vetter aus Dingsda spektakulär war (Regie: Frank Hilbrich).
Unter den aktuellen Studenten sticht Jan-Philipp Rekeszus heraus, der diese Wuchinger-Knock-Out-Qualitäten ebenfalls hat. Er wird mit seinen Kommilitonen im Dezember Frau Luna machen, worauf ich mich schon freue, Peter Lund führt Regie. Ich warte immer darauf, dass Barrie Kosky und andere Operettenregisseure solche Talente wie Wuchinger und Rekeszus endlich auf die Bühne von Staatstheatern bringen, statt diese ewigen eingestaubten Operettendinosaurier zu präsentieren, wo ich schon anfange zu schnarchen, bevor sie den ersten Ton gesungen haben. Gerade an der Komischen Oper tut sich da aber in letzter Zeit einiges, also bin ich guter Hoffnung für die Zukunft. Auch was die Zusammenarbeit vom Research Center und der Komischen angeht!
Wie finanziert ihr euch als Institut?
Wir sind eine Non-Profit-Organisation, aber natürlich sind wir angewiesen auf Spenden und bezahlte Forschungsaufträge. Was mich wirklich gefreut hat, ist die Tatsache, dass über die neue Website und die neu eingerichtete „Donate“-Funktion innerhalb von zwei Wochen 501 Euro Spenden kamen, von Operettenfans weltweit. Das zeigt, dass das Genre Menschen wichtig ist, und dass sie wollen, dass da etwas Sinnvolles mit passiert. Wir geben uns Mühe, diese Mission zu erfüllen.
Du warst zwischendurch auch Chefredakteur der Zeitschrift Männer und hast Bücher über Porno und Bärte geschrieben. Wie passt das zusammen?
Das passt gut zusammen. Bei Männer dachte ich anfangs, ich sollte besser keine Klassik-Themen dort unterbringen und Operette außen vorlassen. Aber dann kamen Leserbriefe, die besagten, dass es da durchaus Interesse gab: Das hat mich ehrlich gesagt überrascht, und erfreut. Denn es heißt, schwule Zeitschriftenkäufer wollen nicht nur wissen, wo die nächste (Sex-)Party stattfindet oder der bunteste CSD, sondern sie interessieren sich oft auch für Musiktheater, gleichberechtigt neben Schlager und Pop. Das tue ich selbst auch; deshalb sind die Bücher über Porno und Bärte einfach eine andere Seite meines Interessen-Spektrums. Ich sitze ja nicht zu Hause und höre den ganzen Tag Rudolph Schock und Margit Schramm. Da würde ich wahnsinnig werden. Außerdem, ganz praktisch, verdient man mit Porno- und Bartbüchern mehr Geld als mit Operettenpublikationen. Das ist tragisch, aber eine Realität mit der sich alle Operettenforscher arrangieren müssen. Statt das zu beklagen, mache ich lieber das Beste draus. Glücklicherweise gibt’s zwischen Porno und Operette so viele Berührungspunkte, dass mir manchmal gar nicht auffällt, dass ich das Forschungsgebiet gewechselt habe. Und das ist super so.