Albert Gier
Operetta Research Center
6 May, 2018
Das Dreimäderlhaus von Heinrich Berté, eine Pasticcio-Operette mit Musik von Franz Schubert (1916), war ein Welterfolg. Nicht nur im deutschen Sprachraum, auch in englischen oder französischen Übersetzungen erreichte das Stück viele hundert Aufführungen. Für den Broadway erstellte Sigmund Romberg (Komponist des Student Prince, der seit 1974 jahrzehntelang auf dem Spielplan der Heidelberger Schloßfestspiele stand) eine neue Fassung (Blossom Time, 1921) und fügte einige Musiknummern hinzu; das Buch von Dorothy Donelly folgt zwar in großen Zügen dem Libretto, das Alfred Maria Willner und Heinz Reichert für Berté schrieben, weicht aber in manchen Details davon ab.
Im deutschen Sprachraum hatte die amerikanische Version naturgemäß keine Chance, dazu war Bertés Operette zu erfolgreich. Erst jetzt hat das Eduard von Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz Blossom Time in einer deutschen Übersetzung herausgebracht.
Der Intendant Ingolf Huhn hat es sich schon in Freiberg (1998-2003) und Plauen-Zwickau (2003-2010) zur Gewohnheit gemacht, in jeder Spielzeit ein vergessenes Werk des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts auf die Bühne zu bringen, und er hält in Annaberg-Buchholz an dieser Praxis fest (seit 2010). Darunter sind ernste Werke wie Tanhäuser von Carl Amand Mangold (1846) oder Götz von Berlichingen von Karl Goldmark (1902), aber auch komische Opern (es gab eine kleine Lortzing-Serie, die in der nächsten Spielzeit mit Zum Großadmiral zum Abschluß kommt) und Operetten; nachdem sich hier das Repertoire auf ein gutes Dutzend immer wieder gespielter Stücke vermindert hat, ist die Auswahl vormals erfolgreicher Werke, die eine Wiederentdeckung lohnen, besonders groß. 2013 spielte man Rombergs Student Prince, vor zwei Jahren Carl Zellers Erzgebirgsoperette Der Obersteiger, im letzten Jahr Saison in Salzburg von Fred Raymond; auch Fritz Kreislers Sissy war (auf der Natursteinbühne Greifensteine) zu sehen. Das Publikum in Annaberg-Buchholz, so Ingolf Huhn, hat sich an diese Wiederentdeckungen gewöhnt: Zunächst galt die Präferenz eher dem allgemein Bekannten, inzwischen hat es sich herumgesprochen, daß es sich lohnt, auch bei Stücken hinzuschauen, deren Titel nicht mehr geläufig sind.
Musik von Schubert für eine Operette zu verwenden, ist zweifellos ein glücklicher Einfall (in Bertés Partitur hat man rund 20 solcher Quellen identifiziert: drei Orchester-, ein Kammermusikwerk, vier Lieder, neun Klavierkompositionen, einen Marsch und verschiedene Tänze, Romberg hat noch mehr entlehnt, aber auch eigene Musik geschrieben). Für das Libretto allerdings wird der Komponist als Hauptfigur zum Problem: Schubert gibt als Liebhaber einfach nichts her, dazu ist er viel zu schüchtern. In Rombergs erstem Akt singt er mit seiner Mitzi ein durchaus verliebtes Duett, im zweiten befragt sie das Blumenorakel („Er liebt mich – Er liebt mich nicht“). Die gleiche Situation kommt auch im Gartenbild von Goethes Faust I vor und veranlaßt Faust, Margarete seine Liebe zu gestehen; Schubert dagegen steht daneben und bringt den Mund nicht auf.
Zwischen den beiden, die eigentlich die Protagonisten des Stückes sein sollten, passiert rein gar nichts: Schubert schweigt beharrlich, und wenn die Sängerin Bellabruna Mitzi warnt, ein Herr „F.S.“ sei ein gewissenloser Verführer, bezieht das „Mäderl“ das auf Schubert und wendet sich sofort von ihm ab; die eifersüchtige Frau meinte aber den Freund des Komponisten, Baron Franz von Schober, der ihr Liebhaber war und nichts mehr von ihr wissen will. (Daß ein, zweifellos unerfahrenes, Mädchen sich von einer ihr völlig Fremden einreden läßt, ihr unbeholfener Franz wäre ein übler Schwerenöter, ist sicher nicht sonderlich wahrscheinlich.)
Zur Hauptfigur des Stücks wäre Schober prädestiniert: Er singt die Lieder, die Schubert komponiert (offenbar besser als der Komponist), hat ein bewegtes Vorleben (die Bellabruna beweist es); als Kind hat er mit Mitzi gespielt, und die beiden haben einander offenbar nie vergessen. Wenn ihnen klar wird, daß sie einander lieben, gerät Schober in einen Gewissenskonflikt, denn er will Schubert ein loyaler Freund sein. Er muß sich jedoch nicht wirklich entscheiden, da Schubert sich sofort resignierend zurückzieht.
Es scheint bezeichnend, daß Mitzi mit Schober nur ein Duett singt, mit Schubert aber zwei. Alles, was sich zu einer Intrige entwickeln könnte, muß (bei Willner und Reicher wie bei Dorothy Donnelly) ziemlich oberflächlich behandelt werden, damit es nicht von der Nicht-Intrige um Schubert ablenkt.
Zu Beginn sind die beiden Schwestern Mitzis heimlich verlobt und fürchten den Zorn ihres, offenbar strengen, Vaters. Wenn sich Baron Schober ins Mittel legt, gibt der Alte allerdings viel zu schnell nach; es braucht nur ein paar Gläser Wein, damit er die Schwiegersöhne in spe plötzlich ganz sympathisch findet. Im zweiten Akt wird Doppelhochzeit gefeiert, aber das Fest bildet vor allem den Rahmen, damit Schober (auf Schuberts Bitte) Mitzi das Lied „Ungeduld“ (natürlich mit englischem Text) vorsingen kann – das das Mädchen als Liebeserklärung des Sängers mißversteht.
Bei Berté ist Graf Scharntorff der eifersüchtige Liebhaber der Sängerin (die hier Lucia Grisi heißt). In Blossom Time ist aus Scharntoff (ohne zweites r!) der Ehemann der Bellabruna geworden. Zu Beginn, wenn er sich verächtlich über das „Künstlervolk“ äußert, mit dem sie sich umgibt, provoziert sie ihn: Er könnte nie ein Lied komponieren. Ihr Mann beauftragt daraufhin Schubert, ihm für ein fürstliches Honorar ein Lied zu schreiben, das er als sein eigenes ausgeben will (es fällt schwer, nicht an den „grauen Boten“ zu denken, der Mozart den Auftrag für sein Requiem erteilte). Schubert komponiert sein „Ständchen“, von der Reaktion des Grafen hören wir nichts; im dritten Akt macht er eine Bemerkung, aus der man schließen kann, daß ihm die Urheberschaft keiner abgenommen hat. Inzwischen hat Scharntoff Schober zum Duell gefordert (das nicht stattfindet, weil Schubert ihn besänftigt); offenbar ist es zu einem Éclat gekommen, aber die näheren Umstände werden uns nicht mitgeteilt.
Hofjuwelier Kranz, der Vater der drei „Mäderln“, ist in Donnelys Buch wesentlich stärker karikiert als im deutschen Libretto: seine Vorliebe für den Wein ist mehr als nur eine kleine Schwäche.
Wenn ein Polizist ihn auffordert, insgeheim nach dem derzeitigen Liebhaber der Bellabruna zu forschen, wird offensichtlich, daß beide Männer gleichermaßen beschränkt sind.
Diesen komischen Elementen steht der arg sentimentale (und triviale) Schluß gegenüber: Künstlerfiguren, denen das Werk zum Surrogat für unerfüllte Liebe wird, sind im 19. Jahrhundert allgegenwärtig (man denke nur an den Protagonisten von Hoffmanns Erzählungen). Und wenn Engelsstimmen den unglücklichen Komponisten (zur Melodie seines Ave Maria) trösten, wird es schon arg kitschig.
Romberg hat zusätzlich Musik Schuberts eingefügt (das Hauptthema der Unvollendeten Symphonie wird als „Song of Love“ so etwas wie das musikalische Motto des Werkes). Über weite Strecken bewegen wir uns in der walzerseligen Sphäre der ‚Wiener Musik‘, aber an manchen Stellen (so etwa im Quartett des III. Akts) werden modernere, ‚amerikanische‘ Töne hörbar, die auf die neue Form des Musicals verweisen.
Wie soll man das inszenieren? Der historische Schubert war eine problematische Natur, insofern läge es nahe, die Geschichte gegen den Strich zu bürsten. Es steht allerdings zu befürchten, daß das danebenginge. Das Libretto verleiht dem Komponisten nur wenige Charakterzüge: Er lebt aussschließlich in seiner Musik, deshalb ist er letztlich bindungsunfähig, und folglich schüchtern. Einer psychologisch ausdifferenzierten Figurenzeichnung setzt das Buch zu wenig Widerstand entgegen.
Ingolf Huhn macht vielleicht das Bestmögliche: Er faßt das Stück als eine Art Märchen auf. Vor einer Kulisse, die Architektur à la Spitzweg zitiert, inszeniert er eine nostalgisch verklärte Biedermeier-Welt, mit meist fröhlichen Menschen in bunten Kostümen.
Bis auf den armen Schubert, dem auf Erden nicht zu helfen war, scheint niemand hier ernsthafte Probleme zu haben: Die Freunde des Komponisten sind (bis auf Schober) mehr oder weniger mittellos, was ihnen aber die gute Laune nicht verdirbt. Die letzten Worte des (vormals) eifersüchtigen Scharntoff sind bezeichnend: „Wenn man mit geschlossenen Augen zufrieden ist, warum sollte man sie öffnen?“
Musikalisch hat Romberg Schober großzügiger bedacht als Schubert; Frank Unger überzeugt in der Rolle des Barons ebenso wie Madelaine Vogt als Mitzi; daß André Riemer als Schubert in manchen Szenen ein bißchen unbeholfen wirkt, paßt zum Profil seiner Rolle. Alle anderen machen ihre Sache ordentlich, haben aber nicht sonderlich viel Gelegenheit, sich auszuzeichnen. Nachdem Das Dreimäderlhaus inzwischen von den deutschsprachigen Bühnen nahezu verschwunden ist, war es eine gute Idee, einmal Rombergs Version zur Diskussion zu stellen.
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