Emma Singer
Operetta Research Center
25 July, 2017
The Lehár Festival in Ischl just presented a new production of Fred Raymond’s Saison in Salzburg – as a colorful and snappy summer spectacle. The reviews in the local newspapers are positive (“turbulent revue” wrote the Volksblatt and praised the “excellent cast”). The title was chosen by departing artistic director Michael Lakner, who also revived – with related CD releases – Dostal’s Ungarische Hochzeit recently: another politically highly problematic piece whose roots in NS times were not discussed. One of our correspondents in Bad Ischl, Emma Singer, sent us a shocked/shocking report on this new Raymond production. It’s in German, but an important comment on the operetta politics in Ischl.
Kiel, Silvester 1938. Die Premiere der neuen Operette Saison in Salzburg, Musik vom bekannten und erfolgreichen Fred Raymond, Libretto von den unbekannten Max Wallner und Kurt Feltz. Rasch musste für den Erfolgsschlager Im weißen Rössl Ersatz geschaffen werden, denn die Theaterdirektoren weigerten sich, die Nazidirektiven umzusetzen – keine der Operetten, die bis dahin volle Häuser und Kassen garantierten, durften auf den Spielplänen verbleiben. Doch es gab nur wenige Komponisten und keine Librettisten, die dieselbe Qualität bieten konnten. Ein Desaster war die Folge – und eines davon war Saison in Salzburg. Was für ein peinlicher Verschnitt des Weißen Rössls – den zu Recht unbekannten Librettisten fiel überhaupt nichts ein, sie plagiierten den Riesenerfolg ungeniert und unfassbar schlecht. Ein doppeltes Armutszeugnis. Banale Handlung, abgekupfert und ohne Witz. Platte Dialoge ohne Esprit. Keine Dramaturgie, aber auch kein klares Bekenntnis zur Revue. Nicht Fisch noch Fleisch, einfach schlecht. Fred Raymond schuf ein paar schmissige Schlager: Salzburger Nockerl und das titelgebende Lied Saison in Salzburg zählen heute zu den beliebten Operettenschlagern – doch dass er mit der Nummer Yes my Boy musikalisch und inhaltlich dermaßen ungeniert Paul Abrahams Nummer My little Boy aus der Blume von Hawaii mit dem genialen Text von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda kopierte, ist unverschämt und skandalös. Ob das Publikum damals den Unterschied zwischen Original und Kopie bemerkte? Wahrscheinlich schon. Ob dies das Publikum zu Silvester 1938 in Kiel störte? Eher nicht. Denn wo war Salzburg – weit weg in den Alpen, wo die wahre Volkskultur zu Hause war.
Juli 2017 in Bad Ischl. Saison in Salzburg und das Publikum jubelt. Hat es das Programmheft nicht gelesen? Hat es das Rössl nicht parat? Offenbar. Ein schlechtes Stück, eine platte konventionelle und schenkelklopfende Regie, keine leisen Zwischentöne, keine Ironie und auch keine kritische Auseinandersetzung mit dem Stück. Darf man das? Soll man das? Hat ein Festival nicht die Verpflichtung, bei der Programmierung eines solchen Werkes auch kritische Töne anklingen zu lassen? Ich meine ja. Ein schlechtes Nazi-Plagiat muss erklärt werden – denn nur dies bringt die Berechtigung mit sich, es auf den Spielplan zu setzen – wir befinden uns eben nicht in Kiel zu Silvester 1938. Ein Werk wie dieses ohne kritische Auseinandersetzung zu spielen, ist schlicht verantwortungslos. Dass es sich selbst demontiert, ist jedoch eher den Platituden zu verdanken, die der Regisseur nicht gebrochen, sondern verstärkt hat. Ein Armutszeugnis.
Ein Werk mit dieser Entstehungsgeschichte kann nicht aufgeführt werden wie die Lustige Witwe – das mag ungerecht sein, doch geschah viel zu viel Grauenhaftes, als dass man fröhlich den Hintergrund ausblenden kann. Dies führt natürlich zur Diskussion, ob die politischen Umstände der Entstehung in die heutige Interpretation einfließen müssen – und ich bejahe dies noch einmal: Gerade in diesem Metier, das von den Nazis dermaßen manipuliert und in der Wahrnehmung bis heute geprägt ist, muss dies deutlich zum Ausdruck kommen. Alles andere ist inakzeptabel und verantwortungslos. Der l’art pour l’art Effekt zieht nicht.
Und dies leitet gleich auch zur Interpretation in Ischl über. Bieder. Die „Buffo-Paare“ mit Empathie und bißl Schmiss, die „ernsten“ Paare viel zu opernhaft – Abraham und Lehár treffen einander in einer Operette. Eklektisch wäre der richtige Ausdruck für diese Mischkulanz, die weder einheitlich, noch in sich schlüssig ist. Dies ist eine der großen Schwächen des Stückes, die auch der Regisseur sichtlich erkannt hat – und etwas tut, was inakzeptabel ist: Er peppt das Werk, durchaus verständlich, mit besseren Raymond-Nummern auf, jedoch: Diese konnten zu Silvester 1938 in Kiel nicht auf dem Programm stehen. Der Riesenerfolg Ich hab das Fräul’n Helen‘ baden sehen stammt aus der Feder des genialen Fritz Grünbaum, der übrigens als Entdecker und Förderer Raymonds gilt und von den Nazis mit besonderer Brutalität in den Tod getrieben wurde. Der zweite Schlager, der ein bißl Niveau und Pepp bringen sollte, Mein Bruder macht beim Tonfilm die Geräusche, wurde von Charles Amberg verfasst – und er war wegen angeblicher Homosexualität ebenfalls im Konzentrationslager inhaftiert.
Diese Vermischung von verschiedenen Ebenen zeugt von völlig unsensiblem, naivem und unreflektiertem Umgang mit der Entstehungsgeschichte.
Natürlich soll man diese Werke spielen, aber mit dem erforderlichen Verantwortungsbewusstsein, ohne Effekthascherei und völlig kritiklosem Umgang mit den Begleitumständen. Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass es allein um das Werk geht. Aber dann darf auch nichts verfälscht werden mit Vornazischlagern, dann muss man zu der platten Geschichte stehen.
Diese Aufführung in Ischl regt zum Denken an – und hinterfragt jedoch ganz deutlich, warum überhaupt ein so schwaches Stück programmiert wird. Wo sind denn Paul Abraham, Bruno Granichstaedten, Oscar Straus? Es gäbe so viele spannende und interessante Werke. Doch stattdessen begeistert sich das Publikum an einem Plagiat und weiß es nicht einmal. Ein Armutszeugnis.
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Der Rezensent hat vollkommen recht! Man sollte das schlechte Stück gar nicht spielen.
Selten eine derart dümmliche und platte Kritik zu einem Stück, das nicht mehr als unterhalten will, gelesen. Aber wir wissen ja, “Unterhaltung” ist im heutigen Theaterbetrieb, in dem sich eine selbsternannte pseudointellektuelle Elite als moralisch über allem stehend feiert, nicht mehr erwünscht. Ich wünsche dem Lehár Festival Bad Ischl weiterhin viel Erfolg mit dieser bezaubernden Produktion, verbunden mit der aufrichtigen Hoffnung, dass man sich dort durch derlei Geschmiere nicht beeindrucken lässt.