Robert Quitta
Operetta Research Center
20. April 2024
Die Werke von Robert Stolz stehen derzeit nicht gerade hoch im Kurs. Manche zitieren Richard Strauss‘ Dictum, er sei ein musikalischer Hochstapler gewesen, manche nennen ihn „das Freudentröpfchen der Wiener Operette“. Seine Bühnenoperetten werden selten gespielt, und selbst wenn, weigern sich auch auf Raritäten spezialisierte Plattenfirmen, sie aufzunehmen.
Woran das liegen mag? Es scheint so, als ob der musikalische Mief der 50er-Jahre an Einzis Gatten nicht nur gesanglich (ich sage nur: Rothenberger/Schock), sondern vor allem auch durch die einfältige Orchestrierung stärker und nachhaltiger zu haften scheint als auf dem Werk seiner Kollegen.
Umso verdienstvoller ist es, dass sich der neue Intendant der Oper Graz, der von der Komischen Oper kommende Ulrich Lenz, gleich in seiner ersten Spielzeit getraut hat, Venus in Seide des in Graz geborenen Ehrenbürgers Robert Stolz aufzuführen.
Und von den ersten Tönen, die das unter der Leitung von Marius Burkert wie immer furios aufspielende Orchester der Oper Graz von sich gibt, sind alle Vorbehalte und Vorurteile gegenüber dieser Musik wie von einem Sturm weggeblasen: das fetzt, das ist fett, das ist reich instrumentiert, das ist schmissig, das ist jazzig, das geht ins Blut, das geht unter die Haut, das hat – um ein Schlüsselwort dieses Stücks zu verwenden – „Paprika“!
Stichwort Paprika: Alfred Grünwalds Libretto war (mit den obligaten Ungarn-Bezügen) eigentlich für Emmerich Kálmán gedacht, da sich Grünwald und sein Mariza-Komponist allerdings zerstritten hatten, bekam es Stolz in seine Hände, und dieser packte die willkommene Gelegenheit beim Schopf, um Kálmán zu überkálmánen und aus der Venus die ultimative Kálmán-Superoperette zu machen. Das mitanzusehen und mitanzuhören, ist ein großer (großer!) Gaudi.
Regisseur Dirk Schmeding und sein Team machen sich auch einen Heidenspaß, diese „verstaubte“ Venus ordentlich aufzumischen. Größtenteils herrscht Berliner Queer-Punk-Style vor, allerdings (vor allem in den Kostümen) mit Einsprengseln von tradierten Operettenkonventionen. Etliche Bühnenbildentscheidungen habe ich nicht verstanden, ebenso wie viele Gags … aber im Prinzip ist die ganze Chose (abgesehen vom eher zähen ersten Akt) kurzweilig und lustig.
Und vor allem wird toll gespielt und gesungen von Sieglinde Feldhofer (Fürstin Jadja Milewska-Palotay), Matthias Koziorowski (Fürst Stephan Teleky), Sandy Lopičič (Rósza Sándor) und Ildikó Raimondi (Komtesse Mizzi Pottenstein-Oroszy) etc.
Etliche Lieder und Duette bieten sich als Ohrwürmer an: „Spiel auf deiner Geige“, „Einer wie du war immer mein Traum“, „Wie herrlich, ein Räuber zu sein“, „O mia bella Napoli“, „Spiel mit mir auf der kleinen goldnen Mandoline“ oder „So lang es Frauen gibts, gibts Liebe“ u.v.a.m.
Das Publikum tobte, und schuldbewusst fragen wir uns, was im nahezu unübersehbaren Oeuvre von Meister Stolz noch für wunderbare Entdeckungen auf uns warten mögen.
Weitere Informationen und Aufführungstermine finden sich hier.