Vienna’s Merry Apocalypse

N.N.
Operetta Research Center
19 August, 2014

A little book dealing with the entertainment industry during the Great War: Galgenhumor. Kleine Kunst im Großen Krieg. Ein Beitrag zur k. k. Unterhaltungskultur 1914 bis 1918. The editors are Hans Veigl and Iris Fink who work for the Österreichisches Kabarett Archiv.

The cover of the new book "Galgenhumor".

The cover of the new book “Galgenhumor”.

The press release states: The entertainment industry of the Austro-Hungarian Empire flourished in the twilight years of World War 1. The great stars of the age filled the sold-out performances of cabaret, varieté and operetta theaters, in the big cities as well as in the provinces and touring theaters at the battle front. The “allied” world of operetta and cabaret played an important role in war-time propaganda, delivering patriotic messages.

This 275 page book describes the entertainment programs from 1914 to 1918 in context. It also asks how it was possible that the immense luxury of the entertainment business could be kept intact in the big cities while war was raging with all its horror. Which factors where at play that kept such an escapist system running in the midst of the total collapse of the world?

The Austrian radio ORF reported on the book recently and said:

Als am Sonntag, den 28. Juni 1914, in Sarajevo Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin ermordet wurden, war in Wien und anderswo – wie etwa Stefan Zweig überlieferte – die Welt noch in Ordnung. Ein schöner Sommer hatte sich angekündigt, man lachte, unterhielt sich, schmiedete Urlaubspläne und lauschte der Musik von Walzer- und Militärkapellen. Und dies auch noch nach Kriegserklärung und Generalmobilmachung. Siegessicher und euphorisch zog man in den Krieg, unterstützt von der patriotischen Begeisterung der führenden literarischen Geister des Landes, wie auch berühmter Gelehrter, Journalisten und Publizisten, gefeierter Theaterheroinen, umschwärmter Chansonetten, Librettisten oder Kabarettisten.

“Galgenhumor: das Kabarett zieht in den Krieg” – dieses Motto haben Iris Fink und Hans Veigl vom österreichischen Kabarettarchiv für ihre Bilanz über die Unterhaltungskultur zwischen 1914 und 1918 gewählt.

Konservative, Alldeutsche, Liberale, Christlich-soziale und Sozialdemokraten stimmten damals in die allerorten ertönenden vaterländischen Gesänge mit ein. Selbst vormals gesellschaftskritische, satirische Blätter von Wien bis Schwabing meldeten sich freiwillig zu Verkündern eines neuen, bierernsten Hurrapatriotismus. Nach abweichenden Stimmen suchte man in jenen Tagen oftmals vergebens.

Bald nach Ausbruch des großen Schlachtens, als die Politik die Zeitungsseiten verließ, hörte das Leben auf, alltäglich zu sein. Und das Nichtalltägliche zog in das Dasein der Menschen ein, veränderte ihre Existenz und bedrohte deren Zukunft. Gegen solcherart gefährliche Stimmungen wurde die Unterhaltungskultur in den Kampf geschickt.

A caricature of Benatzky from the 1920s, with a "Jewish Star" in his eye. (Photo: Archive of the Operetta Research Center.)

A caricature of Benatzky from the 1920s, with a “Jewish Star” in his eye. (Photo: Archive of the Operetta Research Center.)

Vertreter der leichten Muse, die im Zuge der allgemeinen Kriegseuphorie ihre Kunst fortan vorbehaltlos in den Dienst der Verdrängung und dieses Krieges stellten, waren etwa die Kabarettisten, Librettisten und Komponisten Fritz Löhner-Beda, Ralph Benatzky, Armin Berg, Fritz Grünbaum, Franz Lehár, Hermann Leopoldi, Kurt Robitschek und Robert Stolz.

Die genannten Künstler, wie die übrigen Darsteller, zählen mit zu jenen, die Karl Kraus in den Letzten Tagen der Menschheit als bodenständige, dem Nährboden Kakaniens entwachsene „Masken des tragischen Karnevals“ vorführte. Ihre Darbietungen erwiesen sich immer wieder als groteske Zerrbilder tatsächlicher Verbrechen. Und dies alles vom naiven Glauben getragen, Humor und Unterhaltung im Zeichen des tragischen Karnevals blieben von all dem unberührt und Lachen sei in Zeiten der Pest ansteckend.

Ralph Benatzky's 1916 hit "Liebe im Schnee."

Ralph Benatzky’s 1916 hit “Liebe im Schnee.”

Ralph Benatzky feiert seinen ersten großen Operettenerfolg 1916 mit Liebe im Schnee im Ronacher, das Egon Dorn kurze Zeit später zusätzlich zum “Bierkabarett Simplicissimus” übernehmen wird. Benatzky hatte aber bereits zu Kriegsbeginn, mit Fritz Grünbaum als Librettisten ein erfolgreiches Singspiel unter dem Titel Anno 14 herausgebracht, über das sich bestenfalls sagen lässt, dass Benatzkys Frau Josma Selim darin gefallen hat. “Drei Bilder aus unseren Tagen” wurden darin dem Publikum geboten und die Grünbaum-Texte lauteten etwa:

Du Fritze ziehst nach Frankreich schnell
Den Franzmann zu vermöbeln,
redst auf gut deutsch mit dem Gesell,
soll er französisch pöbeln.
Du Wilhelm nimmst im Engeland
Aufs Korn die langen Laster,
drückst die Mixpickels an die Wand,
da hilft kein Englisch Pflaster!

Anno 14 enthält naturgemäß auch ein Wienerlied, das die Glückseligkeit der Einwohner über ihren Kaiser “Draußen in Schönbrunn” bekundet und in eigenartiger Interpretation der Kriegserklärung das Ende der Gemütlichkeit heraufdräuen sieht, welche aber durch innige Wünsche an den Herrscher wie “Mach’ dir doch das Herz net schwer” und “Laß’ Dir bissel Zeit zum Ruh’n” sofort entkräftet werden. Franz Joseph selbst soll über den Text nicht erfreut gewesen sein, dem er Distanzlosigkeit vorwarf, da man einen Kaiser nicht in Du-Form anspreche.

Im Simpl trägt Betty Fischer das Lied “… und der Himmel hängt voller Geigen” von Leo Fall vor und Alfred Polgar wirft, ähnlich wie Karl Kraus in den Kriegsheften der Fackel, mehrmals die Frage auf, wie während des Krieges eine derartig gewaltige Diskrepanz zwischen dem ungebrochenen, erstaunlicherweise zunehmenden luxuriösen Amüsierbetrieb in der Metropole und der Realität draußen an der Front und in den Außenbezirken der großen Stadt aufrecht erhalten blieb.

Art work on the cover of Karl Kraus' "Die Fackel."

Art work on the cover of Karl Kraus’ “Die Fackel.”

Im Mai-Heft 1918 der Fackel versucht Karl Kraus eine Antwort darauf. Er nennt, inmitten der kriegsbedingten Not und dem Elend der Bevölkerung, angesichts eines drohenden wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruchs, in illustrativer Absicht die neuen, erfolgreichen Schlager der Wiener Saison. Deren Titel verleihen dem lokalen Stolz wie der pathologischen Unterhaltungslust der Stadt und der Zeit Ausdruck, und lauten etwa:

“San’s net grantig”, “Kinder, halt’s mi z’ruck”, “San ma fesch”, “Dann trink ma’s letzte Tröpferl aus!”, “Da möchte selbst der Herrgott ein Wiener sein” oder, realistischer, “Nobel geht die Welt zugrund”. Während man gleichzeitig an der an der heimischen Kulturfront vor den Operettenliedern, wie “Geh, sag doch Schnucki zu mir” oder “Katzerl, du liebes Schatzerl” kapituliert, verbreitet Löhner-Bedas aktueller Kleinkunsttext “Lieber Freund und Katzelmacher” veritablen Galgenhumor.

Die allabendlich dargebotenen Revuen tragen Titel wie Busserlschloß oder Puppenbaronessen. Da muss man denn doch mit Karl Kraus fragen dürfen: Und dafür hat man mehr als vier Jahre Weltkrieg geführt?

Cover of the CD " ...und die Kugel macht bum bum!“

Cover of the CD ” …und die Kugel macht bum bum!“

Die Weltgeschichte mit ihrer historischen Zäsur im November 1918, bei der immerhin drei Großmächte zu Fall gebracht wurden und eine Neuaufteilung Europas vonstatten ging, hatte es nicht vermocht, das artistische Treiben der Kleinkunstlokale mit ihren begleitenden opulenten Speise- und Vergnügungsangeboten in der besiegten Donaumetropole auch nur für wenige Tage zu unterbrechen. Darin sollten die Unterhaltungstheater deutlich dem Börsenbetrieb gleichen. Von Natur aus unbekümmert, wendet sich die Kunstform – ihrem zahlungskräftigen Publikum nicht gänzlich unähnlich – unsentimental den neuen Zeiten zu. Oftmals mit Programmen von gestern.

Gegen Ende hin verblieb – laut Hermann Brochs Studie Hofmannsthal und seine Zeit – eine Art “Operetten-Weisheit” übrig, vermischt mit lokalem Leichtsinn, Substanzlosigkeit, sowie dämonischer Gemütlichkeit. Und “unter dem Schatten des nahenden Untergangs”, so Broch weiter, wurde diese emotionale Gemengelage “geisterhaft” und unwirklich, “wurde sie zu Wiens fröhlicher Apokalypse”.

If you want to hear more, this CD might be of interest too: … und die Kugel macht bum bum!“ Humoristische Lieder, Propagandaaufnahmen und Märsche aus der Zeit des Ersten Weltkriegs.

;

Comments