Der Studentenprinz von Heidelberg

Kevin Clarke
www.klassik.com
31 March, 2013

Es ist schon seltsam, dass einige der derzeit interessantesten Operettenaufführungen an eher entlegenen Orten im Osten stattfinden. So spielt zum Beispiel das Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg zu Ostern seine neue Produktion der 1924er Broadway-Operette ‘Der Studentenprinz in Heidelberg’ – und macht damit einen Ausflug ins malerisch-verschneite Erzgebirge zum Pflichtprogramm für alle, die ihren Operettenhorizont ein bisschen erweitern wollen. (Und um das gleich zu sagen: Der Ausflug lohnt sich.)

Sigmund Rombergs Welterfolg zählt zu den ganz großen Hits des Genres in seiner anglo-amerikanischen Ausformung. Seit Jahrzehnten pilgern Amerikaner wegen des ‘Student Prince’ – so der Originaltitel – nach Heidelberg. Es kursiert die Legende, dass Präsident Roosevelt im Zweiten Weltkrieg die Stadt am Neckar nicht bombardiert hat, weil seine First Lady Eleanor ihn als großer ‘Student Prince’-Fan bekniete, das Operetteneldorado ihrer romantischen Träume zu verschonen. Auch nach dem Krieg ebbte in den USA die ‘Student Prince’-Liebe nicht ab, im Gegenteil, sie bekam nochmals frischen Aufwind, als das Stück 1954 von Hollywood verfilmt wurde und auf dem Soundtrack niemand geringeres als Mario Lanza die Songs sang. Wer dessen Aufnahmen von ‘Golden Days’, ‘Deep in My Heart’ oder der Serenade (‘Overhead the moon is beaming’) einmal gehört hat, wird verstehen, warum sich wenige dem Zauber dieser Musik entziehen können, wenn sie so gespielt wird wie von Lanza & Co.

Nach Ende des Dritten Reichs

Obwohl die Broadway-Operette auf einem deutschen Erfolgstheaterstück basiert – nämlich ‘Alt-Heidelberg’ von Wilhelm Meyer-Förster aus dem Jahr 1901 – und obwohl das Alt-Heidelberg-Thema in vielfältigster Form in der deutschsprachigen Unterhaltungskultur verarbeitet wurde, u.a. im ‘Trompeter von Säckingen’ und als Schlager von Fritz Löhner-Beda (‘Ich hab’ mein Herz in Heidelberg verloren’), hat die Romberg-Operette in Deutschland nie wirklich die Beachtung gefunden, die ihr in der englischsprachigen Welt zuteil wurde. Und das, obwohl es Anfang der 1930er Jahre am Großen Schauspielhaus Berlin eine Giga-Produktion gab, für die Schanzer und Welisch die Texte übersetzten. Aufnahmen mit Willi Domgraf-Fassbaender dokumentieren bis heute, wie toll das Stück auch auf Deutsch klingen kann.

Die Nazis verhinderten dann eine weitere Verbreitung, obwohl das Werk im Grunde alle ihre Vorgaben einer “nicht entarteten” Operette erfüllt.

Außer, dass Komponist Romberg aus einer jüdischen Familie aus Ungarn entstammte und eigentlich Rosenberg hieß. Nach Ende des Dritten Reichs und der rassistischen Einschränkungen der NS-Zeit hat man den ‘Student Prince’ dennoch kaum in Deutschland gespielt. Das wäre ja wohl auch noch schöner, sich von den Amis vorführen zu lassen, wie deutsche Romantik richtig geht, wird sich der ein oder andere gedacht haben.

So lief das Stück, wenn überhaupt, nur in eher lieblosen Produktionen in Heidelberg selbst, für amerikanische Touristen als Open-Air-Spektakel neben der Burgruine (u.a. mit Jonas Kaufmann, von dem es einen köstlich-schrägen YouTube-Film als Prinz gibt). Im Theater blieb das Werk eine Seltenheit – bis sich jetzt ausgerechnet der Intendant von Annaberg, Ingolf Huhn, auf den Titel besann und ihn als Ausgrabung in seinem ausgrabungsreichen Spielplan vorstellte. (Zur Erinnerung: Nächste Woche startet in Annaberg die Oper ‘Der Löwe von Venedig’ von Peter Gast.)

Plagiator Lehár

Die von mir am Ostersonntag besuchte Vorstellung war voll. Es hat sich also im Erzgebirge herumgesprochen, dass dieses Stück lohnt. Und der regieführende Intendant hat sich entschlossen, das Werk möglichst eins zu eins auf die Bühne zu bringen, ohne V-Effekte oder seltsame Aktualisierungen. Was für eine Wohltat! Man sieht also tatsächlich Studenten in typischen Burschenschafts-Kostümen vor einem großen Prospekt von Heidelberg ihre Trink- und Liebeslieder singen. In dieses Treiben stolpert Erbprinz Karl Franz von Sachsen-Karlsburg (Frank Unger), der ein Jahr in Heidelberg studieren soll und sich Knall auf Fall in seine fesche Zimmerwirtin Kathie (Madelaine Vogt) verliebt. Die Romanze wird unterbrochen, als Karl zurück nach Karlsburg kommandiert wird, wo er sich verloben und wo er den Thron besteigen soll. Hin und Hergerissen zwischen der Erinnerung an Kathie und der Pflicht Prinzessin Margarete (Bettina Grothkopf) zu ehelichen, kommt es zu einem Entsagungsschluss, der einer Tauber-Operette würdig wäre, obwohl Lehár die berühmten Tauber-Operette erst nach 1926 komponierte, also zwei Jahre nach dem ‘Student Prince’. Ein Schelm, der da ein gewisses Plagiat erkennen will.

Wegen des hohen Melodrama-Gehalts und wegen der geigenumflorten Liebesweisen hat das Stück natürlich einen hohen Kitsch-Quotienten, den Regisseur Huhn vorsichtig bedient, ohne ihn wirklich auszuspielen. Was schade ist, denn ich vermute, das Werk wäre viel überwältigender, wenn man sich der sirupsüßen Story frontal stellen würde und das Kitschpotenzial auch voll und bunt bedient. Aber handwerklich ist die Inszenierung rundum überzeugend in der leicht gekürzten Fassung, wo alle allzu große Opulenz gestrichen wurde, für die auf der Minibühne sowieso kein Platz wäre.

Musikalisch bietet Dirigent Dieter Klug ebenfalls eine ausgewogene Lesart des Werks. Es scheint, dass auch er sich vor allzu viel Kitsch fürchtet. In den großartigen Märschen und Chören stört das überhaupt nicht, aber in den sirenenhaften Gesängen des Prinzen hätte mir persönlich mehr Rubato-Seligkeit und Schmelz besser gefallen – besonders, da ich die Mario-Lanza-Aufnahmen nun mal nicht so eins, zwei, drei aus dem Ohr bekomme. Trotzdem ein großes Kompliment an Herrn Klug und die Erzgebirgische Philharmonie Aue, dass sie Rombergs Hochglanz-Sound derart bravourös bewältigt haben.

Zugegeben, Frank Unger hat auch keine Hochglanz-Lanza-Stimme, aber er macht seine schwierige Tenorsache gut, spielt energisch und ist ein interessanter Studentenprinz, der sich mühelos in die höchsten Höhen aufschwingen und notfalls auch den Studentenchor überstrahlen kann. Seine Partnerin Madelaine Vogt bleibt daneben recht blass.

Ihr fehlt nicht nur die gleißende Höhe, um den Chor ‘Come boys, let’s all be gay!’ mit herausgeschleuderten hohen Cs zum Ereignis zu machen (wie das u.a. Joan Sutherland in ihrer berühmten Aufnahme einst tat), auch in der Mittellage ist sie oft kaum zu hören.

Wirklich vorzüglich waren die Komiker, allen voran Jörg Simmat als überkandidelter Kammerdiener Lutz, der alle Lachen auf seiner Seite hatte. Stimmlich und schauspielerisch beeindruckend Bettina Grothkopf als Prinzessin Margarete.

Rosige Frühlingsaussichten

Wer bislang nur die Filmversion mit dem Lanza-Soundtrack und Edmund Purdom als sexy Prinz kannte (sowie Ann Blyth als Kathie), wird erstaunt sein, wie klar strukturiert die vier Akt der Operette sind und wie geschickt sich das Stück musikalisch aufbaut. Es kann mühelos den Vergleich mit Lehár aufnehmen und hat im Gegensatz zu diesem den Vorteil, dass Rombergs Musik für die meisten hiesigen Ohren nicht so entsetzlich abgenudelt klingt und er auch ideologisch nicht so schrecklich vorbelastet ist wie der durch die NS-Diktatur belastete Lehár.

Mit anderen Worten: Dieser ‘Student Prince’ von Annaberg ist ein willkommene Abwechslung, die sich niemand entgehen lassen sollte, der sich für Operette im 20. Jahrhundert interessiert. Und weil im Osten Deutschlands derzeit die meisten aufregenden Ausgrabungen stattfinden, sei hier auch gleich hingewiesen auf eine entzückende Produktion von Walter Kollos ‘Drei alte Schachteln’ in Rüdersdorf bei Berlin und die deutsche Erstauffühung von Moïses Simons’ ‘Du bist ich’ (Toi c’est moi) am Landestheater Altenburg im Mai. Das sind, trotz Schnee zu Ostern, rosige Frühlingsaussichten!

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