Linz & Wien: Zweimal „Gräfin Mariza“ von Thomas Enzinger

Robert Quitta
Operetta Research Center
2. Mai 2023

Kálmáns Gräfin Mariza ist (neben der Csardasfürstin) eine seiner perfektesten, beliebtesten und daher zu Recht jahrein jahraus, landauf landab, im Inland und im Ausland, auf kleinen und auf großen Bühnen und auf Sommerfestivals gespielten Operetten.

"Gräfin Mariza" in der Wiener Produktion von Thomas Enzinger (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

“Gräfin Mariza” in der Wiener Produktion von Thomas Enzinger (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

Insofern ist eine Aufführung der Gräfin nichts Besonderes. Nichts Besonderes ist es auch, dass ein Regisseur mit einer „Modellinszenierung“ an verschiedenen Häusern „hausieren“ geht und sie von seinem Assistenten an verschiedenen Orten „aufwärmen“ lässt. Ungewöhnlicher ist schon, dass ein und derselbe Regisseur höchstpersönlich eine Produktion an zwei (geographisch nicht weit auseinanderliegenden) Theatern herausbringt, aber in zwei verschiedenen Fassungen.

So geschehen in Linz und Wien durch Thomas Enzinger, dem Intendanten der Bad Ischler Operettenfestspiele.

Um es (leider) gleich vorwegzunehmen: keine der beiden Versionen überzeugt wirklich. In der Wiener Mariza ist alles, Bühnenbild und Kostüme und Requisiten, beige, beiger und am beigesten. Alles ist so wahnsinnig edel, dass niemand auf die Idee käme, dass das Stück nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs spielt und von einem verarmten Adeligen handelt, der sich in seiner Not – sozial total deklassiert – mitten in der tiefsten Puszta auf einem vernachlässigten Landgut (mit Schweinezucht!) wiederfindet, dass einer hoffärtigen Gräfinnen-Bitch gehört. Und wo seine einzigen Freunde die sozial noch etwas mehr deklassierten Zigeuner sind… Viel eher wähnt man sich auf einer Gardenparty in Buckinghamshire.

Ohne diese Fallhöhe aber verliert die ganze Geschichte ihren Sinn, ihre Spannung, ihre Leiden-schaft.

Carsten Süss als Tassilo mit Kinderchor in der "Gräfin Mariza".  (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

Carsten Süss als Tassilo mit Kinderchor in der “Gräfin Mariza”. (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

Völlig grundlos (Brammer und Grünwald haben hier wahrlich ein Juwel geschaffen) erfindet Enzinger (es ist seine Bearbeitung) leider auch noch eine Rahmenhandlung (wie es momentan Mode ist): Der Plot wird von einem in Ehren ergrauten Gärtner Marizas (der immer ein zartes Topfpflänzchen mit sich herumträgt) als Erinnerung und Parabel einem jungen Mädchen erzählt, das ob der komplizierten und gestörten Erwachsenen nur noch staunen kann („ist Liebe immer so schwierig?“) …

In Linz gibts diese Rahmenhandlung auch noch, aber stark reduziert. Der Elevin wurde der gesamte Text gestrichen – was diese überflüssige Chose noch überflüssiger macht.

Das Bühnenbild in Oberösterreich ist dezidiert unbeige, aber dadurch auch nicht sinnerfüllter: so wird z.B. die meiste Zeit auf die Rückwand der Bühne ein verschwommenes Bild einer kommunistischen Peripherie projeziert. He? Was ist da los? Puszta goes Plattenbau, oder was? Ansonsten werden hauptsächlich Tische, Sofas und Sessel herein- und herausgetragen.

Bei dem Einfall, die Tabarinkünstlerinnen auf einem neonbeleuchteten Zigeunerwagen auftreten zu lassen, dürfte es sich wohl auch um ein grundsätzliches Missverständnis handeln: alle Zigeuner mögen Künstler sein, aber nicht alle Künstler sind Zigeuner…

(Apropos Z-Wort: das voll zugewokete Musiktheater Linz entblödet sich doch wirklich nicht, bei der Textzeile mit den Zigeuner*weisen auf dem Display der Untertitel ein Sternchen hinzufügen und brav pc-mäßig zu erläutern und zu „kontextualisieren“, dass es sich dabei um einen *historischen Ausdruck handelt…Also wenn man sich für diese Personengruppe und ihre Bezeichnung dermaßen geniert – das Z-Wort war übrigens nie ein Schimpfwort -, dann möge man Gräfin Mariza – und viele andere Operetten – doch gar nicht erst auf den Spielplan setzen und heroischerweise auf die sicheren Einnahmen verzichten. Was kommt als nächstes? Die Umtextung durch „Sensibilisierungsexperten“? Z.B. „ Komm Sinti und Roma, komm Sinti und Roma, spiel mir was vor !?)

Musikalisch steht es bedauerlicherweise auch nicht zum Besten. Orchestralisch ist bei Alfred Eschwè und Marc Reibel zwar alles in guten Händen, aber die Besetzungen weisen in beiden Städten gewisse Schwächen auf.

So ist in Wien Alexander Geller ein ansehnlicher, vielleicht auch ein wenig zu ansehnlicher und ein wenig zu deutscher Tassilo. Ursula Pfitzner, die bewährte Stütze des Volksopernensembles, die man eigentlich immer nur großartig erlebt hat, enttäuscht jedoch. Zuletzt war sie als besoffene Miss Peachum zum Niederknien und als nymphomanische Gräfin in Powder Her Face (für die sie wohlverdienterweise den Österreichischen Musiktheaterpreis bekommen hat) anbetungswürdig, hier aber scheint die Rolle ihrer Stimme nicht wirklich zu liegen, und man versteht auch kein Wort. Rätselhaft. Vielleicht war es ja nur die Tagesverfassung.

In Linz liefert Carina Tybjerg Madsender, der attraktive, strahlende dänische Neuzugang im Ensemble – hier als Filmdiva der 20er Jahre eingekleidet – eine erstaunliche Leistung ab. Ihr Tassilo wiederum enttäuscht.

Matjaz Stopinsek hatte am Vortag bei der Meistersinger-Premiere einfühlsam einen wunderbar lyrischen und berührenden David gestaltet, in der Mariza steht er hingegen die meiste Zeit in unförmigen Reiterhosen in der Gegend herum und spielt – den Tenor, seine Arien leidenschaftslos abliefernd. Zwischen den beiden funkts gar nicht (in Wien allerdings auch nicht).

Jakob Semotan als Zsupán in Wien (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

Jakob Semotan als Zsupán in Wien (Foto: Barbara Pálffy / Volksoper Wien)

Das Ärgerlichste an beiden Produktionen ist jedoch – wie so oft – der dritte Akt. Da wie dort erfolgt ein Overkill an schlechten Scherzen und halb-bis unlustigen Kalauern, „Bonmots“ und Lozzelach. Schafft die dritten Akte ab – oder zumindest die Dritten-Akt-Komiker !

Tja, was soll man sagen: Nach diesen zwei Marizas warten immer noch auf eine dritte, im Geist ihrer genialen Schöpfer, im Geist der Zigeuner*musik, bei der der Gulaschsaft nicht erkaltet ist, sondern immer noch leidenschaftlich heiß brennt.

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