Matthias Kauffmann
Operetta Research Center
26. November 2023
Diese Woche verstarb der Regisseur Stefan Huber. Er hat u.a. mit seiner Operettenserie an der Komischen Oper Berlin Aufmerksamkeit erregt, speziell mit der Inszenierung von Nico Dostals Clivia (1933) mit den Geschwistern Pfister. Operettenforscher Matthias Kauffmann (Autor von Operette im Dritten Reich) widmet Huber einen Nachruf aus sehr persönlichen Perspektive.
Im Jahr 2004 hatte die Dramaturgie des Lübecker Stadttheaters die Idee, den kleinen Orchestergraben ihrer Kammerspielbühne neu zu entdecken: Speziell Kammer-Musicals und -Operetten sollten zu neuem Recht gelangen. Als erste Produktion wurde Douglas J. Cohens Kriminal-Musicalkomödie No Way to Treat a Lady gewählt, in der Regie eines bis dato wenig bekannten Regisseurs mit Allerweltsnamen: Stefan Huber.
Im Publikum saß ein Lübecker Abiturient und wurde Zeuge eines kleinen Theaterfeuerwerks, das mit bemerkenswert wenigen Zutaten maximal zündete. Denn dieser Huber brauchte kaum Bühnenbild und nur wenig Requisite, konzentrierte sich ganz auf die Strahlkraft seiner vierköpfigen Besetzung für zwei Stunden brüllkomischer Musiktheaterunterhaltung, mit Timing auf die tausendstel Sekunde.
Die Sängerdarsteller*innen im Mittelpunkt – es mag das Markenzeichen des in Bern ursprünglich zum Schauspieler ausgebildeten Stefan Huber sein, der in den Folgejahren zu den wenigen führenden Regisseuren der deutschprachigen Operetten- und Musicalszene aufstieg.
Witz und Empathie
In seinen geglücktesten Produktionen brauchte es eben nicht viel, erst recht keinen narkotisierend übertünchenden Ausstattungsrummel, um durch Witz, Timing und Empathie selbst für die skurrilsten, karikatureskesten Bühnencharaktere Tiefe zu vermitteln. Seine Darsteller*innen in ihrer Individualität auf der Bühne zum Strahlen zu bringen – das hat gerade in der auf flüssige Cast-Wechsel und normierte optische Vergleichbarkeit kaprizierten Musicalszene großen Seltenheitswert.
Zu den Fixpunkten in Hubers Schaffen zählten namentlich die Festspiele von Bad Hersfeld, exemplarisch hier seine Inszenierung von Maury Yestons Titanic (2017): Nicht im Ansatz benötigte Hubert den technischen Aufwand der einst grandios havarierten Großproduktion von Stage Entertainment: Vielmehr bekraxelten seine Hersfelder Schiffbrüchigen sisyphoshaft die bühnenfüllenden Buchstaben des titelgebenden Schiffsnamens. So stößt man mit einfachem Mittel zur Essenz des Stoffes vor: Es brauchte gar kein Schiff, um zu erzählen, wie sich der Mensch an einem Mythos verhebt. In Hersfeld kam 2023 mit Die Rache der Fledermaus auch Hubers letzte Premiere zur Aufführung.
Seine Fähigkeit zu pointierter Personenführung prädestinierte ihn als Regisseur für eine Reihe von Hochschul-Produktionen an der Bayerischen Theaterakademie August Everding im Münchner Prinzregententheater: Mit einem reinen Studierenden-Cast zeigte er 2008 der Fachwelt, dass Jonathan Larsons Rent nach dem zehn Jahre zuvor missglückten Düsseldorfer Long-Run auch in Deutschland funktionieren und berühren konnte: im Gewand einer Post-Nine-Eleven-Dystopie. Namentlich die Rolle des Angel glückte als zwingendes, intensives Zentrum des Abends. Dessen herzzerreißende Todesszene – sie geriet besser als das Greif-Original.
Lachkrampf bis heute!
Der Lübecker Abiturient aber betrachtet die Slapstick-Folgeproduktion The Drowsy Chaperone (2015 unter dem unglücklichen Titel Vier Hochzeiten und ein Musical) als persönlichen Lieblings-Huber: Hier zeigte sich dessen Talent, die Stärken seiner Darsteller*innen zum Strahlen zu bringen und etwaige Schwächen zu ihrem Vorteil zu rahmen, auf ihrem Zenit. (Die Souffleuse von Gaststar Ralph Morgenstern wird wissen, was gemeint ist.) Allein diese Szene mit den nudelholzschwingenden Köchen… Lachkrampf bis heute!
Als regelmäßigen Gastregisseur berief Barrie Kosky seinen Kollegen an die Komische Oper Berlin, wo er namentlich mit den Geschwistern Pfister großformatige Operetten- und Musicalproduktionen realisierte: In seiner prominentesten, Nico Dostals Tanzoperette Clivia, zeigte er 2014, dass er in den besten Momenten auf dem Champions-League-Niveau des Hausherren mithalten konnte: Die unbestreitbaren dramaturgischen Schwächen von Nico Dostals Werk: wie weggeblasen durch einen überbordenden Slapstick-Sturm, vom filmischen Prügel-Beginn bis zum bewusst jenseits der Schmerzgrenze überkitschten Schwanensee.
Die Produktion sorgte für Kontroversen: Darf man die Werke des im NS-Staat seine jüdischen Kolleg*innen bereitwillig substituierenden Dostal derart vorteilhaft ins neue Jahrtausend retten? Allein, die hochkarätigen Podien, die über dieses Thema stritten, machten es wert! Gut, dass endlich darüber diskutiert wurde, mitten im Foyer der Behrenstraße!
In Deutschland weniger bekannt ist Stefan Hubers Einsatz für spezifisch schweizerische Operetten- und Musicalproduktionen: von der St. Gallener Wiederenteckung von Hans Moeckels Bibi Balù (2010) über die prominente Züricher Musical-Großproduktion Die Schweizermacher (2010)bis hin zur Uraufführung eines zweiteiligen Heidi-Musicals auf der Walensee-Bühne (2005).
Letzte Produktionen
Freilich kam es in so einem breiten Regieschaffen auch zu Schwächen und weniger Gelungenem: So wusste Hubers Nürnberger Ball im Savoy, 2020 am Vorabend der Corona-Pandemie, nicht im Ansatz mit der stilprägenden Berliner Produktion zu konkurrieren, sondern geriet zum drögen Stehempfang – trotz der stupenden Andreja Schneider als Mustafa Bey.
Auch seine letzte Produktion für die Bayerische Theaterakademie, Shaina Taubs Twelfth Night (2022) mag gewiss nicht mehr unter seinen unbestrittenen Meisterwerken rangieren. Das muss sie aber auch nicht. Dass er diese bereits schwer gezeichnet von der heimtückischen Krankheit ALS zur Premiere brachte, nötigt höchsten Respekt ab! Und auch sie bot strahlende Huber-Momente: vom Beginn, wo sich in wenigen Sekunden ein Leichenzug in eine bunte Partytruppe verwandelte, bis hin zur vermeintlichen Nebenfigur des Malvolio, der als liebeswürdige Coming-Out-Story mit einem herrlich queeren Happy Ending die Herzen des Publikums im Sturm eroberte. Hubers Gespür für das nicht-austauschbare Individuum im Bühnenraum war bis zum Schluss überragend.
Der Lübecker Abiturient von anno 2004 hatte später als Musikdramaturg eine Bucket-List an Traumtänzereien. Ein Traum rangierte ganz oben, mit der er, leider erfolglos, an diversen Intendant*innen- und GMD-Büros klopfte. Wie wäre das: Webbers Sunset Boulevard mit den Pfister-Geschwistern … Marti als Norma, Bonn als Gillis und das Fräulein Schneider als Max von Mayerling. Regie: Huber – - wer sonst? Es wird leider nie passieren.
Wie Schweizer Freund*innen berichten, sah er noch zwei Wochen vor seinem Tod in Zürich eine Vorstellung des Weißen Rössl; sein letzter Theaterbesuch. Er starb am 23. November 2023, zu früh.
Er wird sehr fehlen.