Robert Quitta
Operetta Research Center
8. Januar 2024
Zu ihrem 125-jährigen Jubiläum leistete sich die Wiener Volksoper eine Haupt- und Staatsaktion-Premiere mit dem etwas umständlichen Titel Lass uns die Welt vergessen – Volksoper 1938. Dafür wurden weder Kosten noch Mühen gescheut: über 40 Mitwirkende, bis in die kleinsten Sprech-Nebenrollen hochkarätigst besetzt.
Der Hintergrund dieser ambitionierten (vielleicht auch überambitionierten) Prestigeproduktion: Im März 1938 wurde an der Volksoper die Operette Gruß und Kuss aus der Wachau von Jara Beneš auf ein Libretto von Fritz Löhner-Beda, Hugo Wiener und Kurt Breuer uraufgeführt.
Vor ein paar Jahren wiederum hat die Theaterwissenschaftlerin und Operettenexpertin Marie-Theres Arnbom nach komplizierten Recherchen (es gab kaum vorrätiges Material) ihr Buch Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt veröffentlicht, das den erzwungenen Exodus von so vielen Volksopern-Mitgliedern und, wo bekannt, auch ihre späteren Lebensgeschichten nachzeichnet.
Lass uns die Welt vergessen versucht, diese beiden Dinge zu vereinen, Theu Boermans (der auch Regie führte) hat eine Rahmenhandlung erstellt, die das Volksopern-Ensemble von 1938 bei den Proben zu Gruß und Kuss zeigt – und die anschließende Säuberung, die lückenlose Ersetzung der jüdischen Mitglieder durch „arische“ nach dem Anschluss.
Vom ursprünglichen Anlass, der Operette Gruß und Kuss aus der Wachau bekommt man nur Ausschnitte zu hören und zu sehen, und diese wiederum im Schnelldurchlauf, weil Jakob Semotan (als Original-Regisseur Kurt Hesky) unter dem Vorwand einer nicht weiter erklärten Zeitnot seine Darsteller immer wieder zu „Proben à l‘italienne“ – also mit doppelter oder dreifacher Geschwindigkeit – antreibt. Die „gewonnene“ Zeit nützt die ausgezeichnete Dirigentin Keren Kagarlitzky (die auch die Instrumentation besorgt hat) dazu, Musik von Arnold Schönberg, Viktor Ullmann, Gustav Mahler (Sie wissen schon, „entartete Kunst“ und so …) und von sich selbst aufzuführen.
Und was ist nun die Erkenntnis dieses vor Wichtigkeit nur so strotzenden (und auch etwas überlangen) Abends? Die wichtigste scheint mir die zu sein, was für eine tolle Operette (den Kostproben nach zu schließen) Gruß und Kuss aus der Wachau doch ist oder sein könnte, wenn man sie als Ganzes aufführte. Die Librettisten Fritz Löhner-Beda und Hugo Wiener sind in Höchstform, und auch die Musik des eher unbekannten Jara Beneš ist inspiriert, schmissig und überzeugt schon beim ersten Anhören. Damit hat sich die Unternehmung eigentlich schon gelohnt.
Weit weniger Erkenntnis vermittelt die pflicht- und schuldbewusste Rahmenhandlung. Um eine solche Theater-auf-dem-Theater-Geschichte ohne offenkundige Banalitäten rüberzubringen, müsste man schon ein sehr genialer Librettist sein. Und das ist Theu Boermans (auch und gerade im direkten Vergleich zu den genialen Wachau-Librettisten) nun einmal nicht. Zudem ist diese Hälfte des Abends von Boemans auch noch ziemlich lieblos (schlechtes Licht), um nicht zu sagen dilettantisch (viele Löcher im Ablauf, verhatschte Auftritte und Abgänge) inszeniert. Teilweise eine Qual.
Tja, wenn da nicht die durchwegs exzellenten Schauspieler/Sänger wären: u.a. Marco di Sapia als anständig-bleiben-wollender Intendant Alexander Kowalewski (wenn man ihm nur nicht eine so schreckliche Glatze geklebt hätte – solche Glatzen gehen sich doch nie aus, das müsste man auf dem Theater doch wissen!) Wolfgang Gretschmaier als Fritz Imhoff, die wie immer tadellose Johanna Arrouas als Hulda Gerin (die spätere Hilde Güden) und eigentlich alle anderen.
Den absoluten Vogel an diesem Abend schoss aber die „alte“ Ulrike Steinsky ab, die ohne scheinbare Anstrengung ein berührend komisches Mini-Portrait der mannstollen Witwe Aloisia Bründl aus dem Handgelenk schüttelte …
Fazit? Liebe Volksoper, wir sind ja froh, dass ihr endlich wieder eure Hakenkreuzbinden und Hakenkreuzfahnen und all eure braunen Uniformen aus eurem sicher reichhaltigen Fundus holen konntet (ich persönlich würde das ja unter den Wiederbetätigungsparagraphen stellen), aber abgesehen vom fraglichen Erkenntnisgewinn solcher Kostümfolklore wollten wir euch nur sagen, dass wir auch vor eurem „verdienstvollen“ Unterfangen zur Weißwaschung der Volksoperngeschichte schon gewusst haben, dass die Nazis keine Guten nicht waren.
Und, liebe niederländischen Umerziehungslagerkommandant*innen, auch die Wochenschauaufnahmen von der Heldenplatzrede, dem „Anschluss“ und den KZs, die ihr als ultimativen (äußerst fragwürdigen) Effekt einsetzt, haben gerade die Generationen, die die Volksoper überwiegend bevölkern, schon in der Volksschule vorgesetzt bekommen und danach immer wieder bei jedem Gedenkjahr und Gedenktag und bei jeder Fernsehdoku.
Insofern wäre es für die verfolgten, vertriebenen und ermordeten jüdischen Künstler weitaus würdiger und ehrender gewesen, wenn ihr Gruß und Kuss aus der Wachau unter dem vollen Einsatz eures künstlerischen Potentials und mit demselben finanziellen Aufwand und mit der ganzen Liebe und der ganzen Leidenschaft und mit dem Respekt, der dem Genre Operette gebührt, „einfach so“ aufgeführt hättet …
So wie zum Beispiel gerade in Regensburg, wo die Wiederuraufführung der Operette Der Prinz von Schiras – unter den genannten Voraussetzungen – nicht nur zum Erfolg für das gesamte künstlerische Team wurde, sondern vor allem auch zu einer triumphalen Hommage an den jüdischen Komponisten Joseph Beer (vertrieben, danach ins Innere Exil gegangen), Ludwig Herzer (vertrieben, im Exil gestorben) und den in Auschwitz ermordeten Fritz Löhner-Beda (der ja auch Gruß und Kuss in der Wachau geschrieben hat) wurde.
Bezeichnend ist, daß Jara Beneš ein Nazi-Sympathisant war und deshalb in Tschechien nach dem Krieg nicht gespielt werden durfte. “Auf der grünen Weise” war stärker als jedes Verbot und ab 1936 im Deutschen Reich eine der meist gespielten Operetten, die bis in die 1970er Jahre auch in beiden Teilen Deutschlands auf den Bühnen anzutreffen war. Heute ist sie neben Polenblut die meist aufgeführte Operette tschechischer Provenienz. Beneš bemüht sichbin seinen knapp 40 Schlageroperetten tschechische Folklore und Volkslieder mit dem Jazz zu verquicken – insbesondere seine Orchestrierungen können das böhmische Idiom nicht verleugnen. Seine eher schwankhaften Operetten (ich konnte derer 3 sehen) sind hübsch anzuhören, aber eher belanglos und die Musik erreicht nicht das Raffinement und die Klasse des zeitgleich aktiven Paul Abraham. Da wäre es für die Volksoper eine lohnendere Aufgabe gewesen eine weitere Jaromir Weinberger- Operette, etwa “Apropos co dela Andula” erstmals aufzuführen – diese entstand als Produkt einer neuen Operettenbewegung (als Konteapunkt zu dem, was die Nazis unter Operette verstehen wollten) des Brünner Buffos Oldrych Novy. In einer Zeit, in der es Operette nicht leicht, sollte man vor allem Qualitätsstücke wiederbeleben, die erst gar keiner Rahmenhandlung bedürfen. Operettenhistoriker dürften sich dennoch freuen einmal im Leben “Gruß und Kuß aus der Wachau”hören zu können.