Robert Quitta
Operetta Research Center
7 July, 2017
Was für ein Jammer, dass die 1920er Jahre vorbei sind. Und was für ein Jammer, dass Paul Abrahams Operetten noch immer nicht der ihnen gebührende Stellenwert eingeräumt wird. Ist er doch neben seinem Landsmann Emmerich Kalman jener Komponist, der am besten den Zeitgeist jener Epoche in all seiner Widersprüchlichkeit musikalisch zu bannen vermochte: zerrissen zwischen sexueller Freizügigkeit und ewiger Liebe, Nostalgie und Fortschrittsglauben, Melancholie und unbändiger Lebenslust.
Manche Serafinisten bemäkelten zwar die Stückauswahl der neuen Intendantin Dagmar Schellenberger und sehnten sich ihrerseits nach vertrauten alten Hadern wie der Lustigen Witwe zurück, in Wahrheit kann man aber Frau Schellenberger für ihren Mut und ihre Kühnheit nicht genügend dankbar sein: denn Viktoria und ihr Husar ist – sehen wir der Tatsache ins Auge – ein absolutes Meisterwerk. Vor allem dann, wenn es, so wie jetzt in Mörbisch, in würdevoller und allerprächtigster Weise aufgeführt wird, ohne dass Kosten und Mühen gescheut werden.
Die Ungarin Viktoria und ihr Husar versprechen einander ewige Treue. Der Husar muss allerdings in den Krieg ziehen, gerät in russische Kriegsgefangenschaft und wird zuhause als tot gemeldet. Also gibt Viktoria nach und nach den Avancen des amerikanischen Botschafters nach. Dem Husaren und seinem Kumpan gelingt – unter Hintanlassung einer Geige – die Flucht aus dem sibirischen Lager. Von dort aus gelangen sie nach Japan, wo sie – in der unwahrscheinlichsten aller Fügungen – rein zufällig auf Viktoria und ihren Botschafter treffen. Letztlich findet das Traumpaar – wie nicht anders zu erwarten – mithilfe des eigentlichen Helden, dem selbstlos liebenden, entsagenden Diplomaten bei einem großen Volksfest in der ungarischen Heimat dann doch zueinander.
Das Libretto stammt von den genialsten Librettisten aller Zeiten Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda, und Abraham Pál (wie sein ungarischer Name lautet) schreibt dazu eine Musik, die – man kann es nicht anders sagen – von Anfang bis Ende fetzt. Mit lauter Hits und Ohrwürmern wie: „Ja, so ein Mädel, ungarisches Mädel, geht nicht aus dem Schädel, geht nicht aus dem Sinn“, „Du warst der Stern meiner Nacht“, „Meine Mama war aus Yokohama“, „Mausi, süß warst du heute Nacht“, „Es träumt ein kleines Japanmädel“, „Nur ein Mädel gibt es auf der Welt“, „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“ etc. Melodien, die “einfahren”, die ins Blut gehen wie mit Paprika versetzte intravenöse Traubenzuckerinfusionen.
Ein absoluter Glücksfall dieser Produktion ist die Regie von Andreas Gergen in den phantastischen Bühnenbildern von Christian Floeren und mit einer Choreographie der 15 Tanzevolutionen (mit 48 Tänzer_innen) von Simon Eichenberger. Die drei geben der Revueoperette, was der Revueoperette gebührt, bedienen jegliche darin enthaltenen Klischees, aber – ebenso wie die Autoren – in augenzwinkernder ironischer Weise: Wasserfontänen in den ungarischen Nationalfarben, Pappschilder mit Mäusegesichtern vorne und (ha, ha, ha!) Sprechblasen hinten! Vor allem aber gehen sie auch mit den eigentlich unmöglichen riesigen Dimensionen der Seebühne, diesem megalomanen Exerzierfeld des Reichsparteitages der Operette, souverän um.
Die Kostüme sind vielfältigst und geschmackvollst, und sie streifen nie auch nur entferntest an der bei exotischen Sujets so oft gebräuchlichen Touristen-Kitsch-Souvenirshop-Ästhetik an.
David Levi dirigiert schmissig und idiomatisch, die Choreographien sind originell und perfekt ausgeführt, und das Ensemble ist homogen und ausgeglichen, wenngleich die Buffo-Paare (Timo Verse, Laura Scherwitzl) in der Publikumsgunst vielleicht die Nase ein wenig vorne hatten.
Die Kritik an den Protagonisten (Dagmar Schellenberger, Garrie Davislim, Andreas Steppan – der eine sehr berührende Person auf die Bühne stellt) kann ich nicht nachvollziehen.
Denn Viktoria und ihr Husar in Mörbisch ist meiner bescheidenen Meinung nach – und selten genug kann man diesen Ausdruck verwenden – einfach „perfekt“. Als einzigen Einwand möchte ich anführen, dass die Intendantin bei ihrer Eröffnungsrede von “Königswetter” sprach. Das heißt bitte bei uns in Österreich immer noch Kaiserwetter, liebe Frau Schellenberger!
Das obligate Feuerwerk war dann allerdings wieder einwandfrei super.