Manuel Brug
Die Welt
7 August, 2014
Deutschland, geteiltes Operettenland: In Berlin knistert es an Barrie Koskys Komischer Oper erotisch, in München, wo Josef Köpplinger das Gärtnerplatztheater bespaßt, mag man es gediegen klassisch.
Eine russische Großfürstin und ein Zirkusreiter, zum Glück auch adelig. Zwei Märchenaugen, die nicht zu tief, sondern durch das Blubberblasenglas schauen, also Champagner-Perspektive immerzu. Und zwei komische Paare, eines das sich in herrlich kämpferischer Zuneigung zugetan ist, bis sie die schlimmste Drohung überhaupt ausstößt: “Wenn du mich sitzen lässt, geh ich nach Budapest!” Und ein älteres, uneheliches, sehr komisches Paar, das den dritten Akt mit Witz und Lebensklugheit beherrscht und uns den üblichen dramaturgischen Durchhänger erspart.
Natürlich ist Emmerich Kálmáns stets im Schatten ihrer adeligen Klangverwandten Csardasfürstin und Gräfin Mariza segelnde Zirkusprinzessin aus dem Jahr 1926 ein rechter Operettenschmarrn. Sehr routiniert aus den üblichen, sentimental-exotischen Versatzstücken kommerziellen Unterhaltungstheaters zusammengebaut. Doch auch deren Mechanik muss man heute noch beherrschen.
Und das können nicht mehr so viele Regisseure, wenn sie nicht gleich den ganzen k.-u-.k.-Schmäh, der jüngst wieder so ulkig neu entfachtes Interesse weckt, filetieren oder dekonstruktivieren, in säurescharfe Ironie tauchen.
Ein Herbert Fritsch dröselt die alten Frohsinnssocken gegenwärtig mit greller Schrillheit auf. Ein Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin beschränkt sich – als clevere Hommage an den Ursprung des einstigen Felsenstein-Hauses als Richard-Tauber-durchtränktes, Fritzi-Massary-geadeltes Metropol Theater – auf die Revue- und Jazzoperetten der Zwanziger- und Dreißigerjahre. Damit immerhin, die Fünfjahrespläne versprechen noch einige Drolerien und Verjuxtheiten, hat er in der Hauptstadt endlich auch einen jüngeres, hipperes Publikum anlockenden Trend kreiert, der sich zur Mode auswachsen könnte.
Ein alter Hase im Beschunkelungsgeschäft
Aber auch im deutschen Süden, in München, nicht so weit weg von Österreich als Immer-noch-irgendwie-Operettenstaat gelegen, tut sich was. Dort hat seit zwei Spielzeiten am Gärtnerplatztheater, wo traditionsgemäß das Leichte, Verschmuste zu Hause ist, Josef Köpplinger als Intendant angedockt. Der gerade 50 Jahre alt Gewordene ist mit Geburtsort Hainburg Fast-Wiener und in Sachen Beschunkelungsgeschäft an Stadttheatern ein sehr alter Betriebshase. Der hat seine Operetten- und Musicalinszenierungen freilich nie so kantig werden lassen, dass sie nicht gern koproduziert worden wären und der kennt zudem fast jede(n), die/der als Operettendiva oder Buffo noch was kann.
Weil sein Stammhaus noch für einige weitere Jahre dauerrenoviert wird, macht Köpplinger, stets mit Basecap auf der Glatze, aus der Not, diverse Bühnen und Locations in München en suite bespielen zu müssen, eine Tugend und engagiert die dafür jeweils notwendigen Fachkräfte. So hat er München, feine Produktionen von Cole Porters swingendem Vergnügungsdampfer Anything Goes, der durchaus düsteren Don Quichotterie des Mann von La Mancha, einem grellen, mit Burgtheaterstar Markus Meyer als Conférencier aufgewerteten Cabaret oder jüngst der opulenten Familienfantasie auf vier Rädern Tschitti Tschitti Bäng Bäng herausgebracht.
Bei der Operette mag er es hingegen klassisch. Im weißen Rössl und der Bettelstudent sollten erst einmal das Terrain erkunden, in seiner dritten Spielzeit wird neben dem Wiener Blut dann immerhin der gallische Witz des Petit Faust von Hervé sprudeln. Dazu gibt es auf der Musicalschiene Singin’ in the Rain, als Uraufführung Gefährliche Liebschaften sowie Bussi – das Musical – München in den Eighties aus alten Schlagern der Deutschen Welle beschwörend und zusammengerührt von Thomas Hermanns.
Viel Dreivierteltakt-Glamour
Das ist nicht wenig, und mit der Zirkusprinzessin wurde jetzt das Klassenziel eindrucks- wie liebevoll, mit bestem Handwerk und minimalistischen, trotzdem opulent aussehenden Ideen erreicht. Im echten Circus-Krone-Winterbau gab es zwar keine Sägespäne, aber viel Dreivierteltakt-Glamour. Wehmütig zogen die Walzerlieder über das Manegenrund, in dem ein rotes Luftballonherz als Dauerrequisit auf das finale Glück wartete. Ein pfiffige Clownstruppe vom Ballett ersetzte kommentierend jede Menagerie, im Kunstschnee ging es auf sechs Kufen zur Petersburger Schlittenfahrt.
Da wurde an den Balalaika-Klischees mit Wonne gezupft, aber Alexandra Reinprecht als Fürstin Fedora und Anna Prohaskas Bruder Daniel waren ein resches, fesches Liebespaar, das paprikawild hasst und schließlich um so heftiger küsst. Als talentlose Hundeführerin Mabel glänzte Nadine Zeintl mehr mit Wiener Goschen als mit Tönen, immer umschwirrt von dem jungen Kabarettisten Otto Jaus als nervös-modernem Bild von einem Buffo. Und für den knarzigen Schmäh sorgten schließlich Wiens Volksopernintendant Robert Meyer in der Hans-Moser-Rolle des Oberkellners Pelikan und Sigrid Hauser als dessen Chefin/Geliebte Carla Schlumberger. Wie überhaupt bis in kleinste Partie rollendeckend und genreglänzend besetzt worden war.
So geht perfekte, sanft modernisierte klassische Operette. Auch heute noch. Und Kálmáns hitsatte Partitur leuchtet immergrün. Ähnliches versucht, gar nicht so weit vom Circus Krone weg, beim Bayerischen Rundfunk auch der Chefdirigent des Münchner Rundfunkorchesters Ulf Schirmer. Der musste freilich erst vom dem Plattenproduzenten Burkhard Schmilgun auf den rechten Repertoire-Weg gebracht werden. Aber immer wenn seither in Georgsmarienhütte, Sitz des Versandhandels jpc samt eigenem Label cpo, die guten Kekse, nicht die normalen Besprechungsbackwaren ausgelegt werden, dann wird mit Sicherheit einige Zeit später Deutschland und die Welt was zu hören bekommen, das sich lohnt.
Kekse locken zu Lehár
Denn mit den Keksen ließ sich Schirmer zu Franz Lehár locken. Dessen gesammelte Werke möchte Schmilgun, damit weit ehrgeiziger als etwa die deutsche Elektrola in den Sechziger- und Siebzigerjahren mit ihre legendären Operetteneinspielungen, vollständig neu aufnehmen; wobei er Partner braucht, die die Stücke produzieren, die er dann mitschneidet. “Schirmer und ich begreifen uns als gleichwertiges Duo, wo jeder mitreden darf”, sagt Schmilgun. “Ich bin nicht nur der Medienabnehmer, wir diskutieren gemeinsam Titel und Besetzungen.”
Es ist für beide eine Win-win-Situation. Das Münchner Rundfunkorchester hat im Zuge der Spardiskussionen in den öffentlich-rechtlichen Sendern und ihrem gewandelten Programmauftrag schon diverse Existenzkrisen hinter sich. Dass man gegenwärtig auf sehr hohem Spielniveau wieder einigermaßen optimistisch in die Klangkörperzukunft blicken kann, hängt einerseits damit zusammen, dass Ulf Schirmer, der seit 2006 als Chefdirigent fungiert, glücklich das unter immer noch klangvollen Chefnamen wie Heinz Wallberg, Kurt Eichhorn oder Werner Schmidt-Boelcke entwickelte Profil geschärft hat. Man konzentriert sich auf Raritäten und konzertante Opernaufführungen, die die Münchner Spielpläne, aber auch das BR-Archiv bereichern. Zum andern ist es aber auch gut, wenn diese Aktivitäten darüber hinaus mediale Verbreitung finden.
Klaus Florian Vogt als Operetten-Goethe
Etwa mit geschmackvollen Lehár-Schmachtfetzen, für die man – Glücksfälle voraussehender Besetzungspolitik – sogar Tenorstars wie Klaus Florian Vogt und Piotr Beczala in den einstigen Richard-Tauber-Rollen als Operetten-Goethe in Friederike oder Peking-Prinz in Das Land des Lächelns bekommt. “Die könnten wir uns natürlich alleine gar nicht leisten”, sagt ein illusionsloser Burkhard Schmilgun, “aber in der Kombination von Konzert plus guter Rundfunkaufnahme plus CD-Veröffentlichung ist es natürlich auch für diese interessant.” Und auch seltene Léhar-Karfunkel wie Das Fürstenkind sind eben nur mit Koproduzenten-Unterstützung möglich. Gegenwärtig liegen noch Paganini und Giuditta auf Halde. Immer mit sorgfältiger Dialogregie, bisweilen auch mit genauer Partiturüberprüfung, je nach Notenlage.
Schmilgun hat mit den Werken von Leo Fall auch bereits einen zweiten Operetten-Zyklus begonnen, an dem sind freilich auch Partner wie die Wiener Volksoper und die Operettenfestspiele in Bad Ischl beteiligt. Doch Schirmer und seine Münchner sitzen wieder im Boot. Freilich harren auch hier noch Die Dollarprinzessin und Die Rose von Stambul ihrer Veröffentlichung. Und auch wenn sie nicht immer den heute nostalgischen Plüschflair der EMI atmen, diese Operetten-CDs sind sorgfältig produziert, oft vollständiger als die alten und schließen Repertoirelücken.
In Berlin lieben sie es also weiterhin operettenfrivol, in München klassisch-gekonnt. Keine schlechte Mischung.
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