Die feinen Unterschiede in der französischen Operette der Zwischenkriegszeit: Henri Christiné – Maurice Yvain – Raoul Moretti

Albert Gier (Universität Bamberg)
Vortrag beim Symposion „Die Operette und die feinen Unterschiede“ / Wien 2015
19 March, 2020

Emmerich Kálmáns Graf Tassilo (Gräfin Mariza, Buch Julius Brammer / Alfred Grünwald) verkörpert einen Typus, den das Publikum der Uraufführung (1924) mit Sicherheit aus eigener Erfahrung kannte: Das kleine österreichische Bundesheer hatte für den vormals „reichen Reiteroffizier“ [1] keine Verwendung mehr. Krieg und Inflation haben ihn ruiniert, statt seine eigenen, vormals stattlichen Güter zu bewirtschaften, arbeitet er als – sehr tüchtiger – Verwalter bei Mariza. Die Gründe für seinen sozialen Abstieg haben die Librettisten allerdings verschleiert: Nicht die wirtschaftlichen und politischen Folgen des verlorenen Krieges, sondern drückende Schulden haben Tassilo zu einem (verhältnismäßig) armen Mann gemacht.

Hubert Marischa as the impoverished Tassilo in "Gräfin Mariza" with two children from the opening scene of the Kálmán operetta. Marischka sang the world-premiere in Vienna, 1924. (Photo: Archive Operetta Research Center)

Hubert Marischa as the impoverished Tassilo in “Gräfin Mariza” with two children from the opening scene of the Kálmán operetta. Marischka sang the world-premiere in Vienna, 1924. (Photo: Archive Operetta Research Center)

In der französischen Operette der zwanziger Jahre werden die durch den Krieg bewirkten sozialen Veränderungen dagegen häufig prägnant und unverschleiert dargestellt.

Henri Christinés Arthur (1929)

André Bardes [2] Hubert de Fondragon (in der „Opérette“ Arthur [3], Musik Henri Christiné, 1929) ist in einer ähnlichen Lage wie Tassilo: Er stammt aus einer adligen, vormals reichen Familie; da er es im Krieg nur bis zum Leutnant gebracht hat [4], dürfte er allerdings kein Berufsoffizier gewesen sein. Die Hoffnung, bequem von seinem ererbten und, wie sein Feund Arthur gönnerhaft bemerkt, ausgerechnet in französischen Staatsanleihen angelegten Vermögen leben zu können [5], hat sich als trügerisch erwiesen. Gelernt hat er nichts, aber da er sich bei Antiquitäten ein bißchen auskennt (und mit Leuten in Verbindung steht, die gezwungen sind, nach und nach das Inventar ihrer Häuser zu verkaufen), betätigt er sich als Kommissionär, wie er in seinem Auftrittscouplet erläutert:

Je tiens d’mes aieux le nom de Fondragon
C’est le nom qu’nous nous léguons;
Dans mes armoiri’s, j’ai de l’or en tas,
Dans ma bourse, il n’y en a pas!
Au lieu d’être comte et qu’tout vous manque,
Il vaut mieux avoir un compte en banque,
Comm’ ce s’rait déchoir de travailler!
J’essai’ de m’débrouiller!
J’ bricole (bis)

J’achète et je vends un petit peu de tout,
J’ bricole (bis)

Partout, je furète pour gagner quéqu’ sous.
Je vends des tableaux,
Je vends des bibelots,
Je vends des vieux meubles d’époqu’
Tocs!
Comm’ je n’sais rien faire,
Et qu’ j’n’en ai pas l’goût,
En fait de carrière
Ce n’est pas beaucoup,
J’bricole (bis)
Je n’ sais rien faire et j’ fais tout (I 5).

Plakat zur Filmversion von "Arthur."

Plakat zur Filmversion von “Arthur.”

Als fleischgewordener Anachronismus ist Hubert im Antiquitätengeschäft am rechten Platz, wie Arthur maliziös bemerkt [6]. Im Krieg war Leutnant Fondragon der Vorgesetzte des Soldaten Arthur Michoux, jetzt ist Arthur ein gemachter Mann, denn er versteht es, die Möglichkeiten, die die neue Zeit bietet, optimal zu nutzen: Er betreibt eine Massagepraxis, und weil er weiß, daß die Nachfrage umgekehrt proportional zum Angebot wächst, stilisiert er sich zum kapriziösen Künstler, der nur bei Frauen, die ihm „inspirieren“,selbst Hand anlegt, die anderen überläßt er seinem Assistenten [7]; das Geschäft blüht, weil alle Kundinnen hoffen, zu den wenigen Auserwählten zu gehören. Außerdem hat Arthur ein anscheinend angeborenes Talent für Börsenspekulationen, das er nicht nur zu seinem eigenen Vorteil nutzt: Hubert hat ihm den Rest seines Erbes anvertraut, und wenn er hin und wieder ein paar hundert oder tausend Francs Gewinn macht, verdankt er das Arthurs Flair. Der genießt die neue Situation und behandelt Hubert ausgesprochen herablassend [8].

Composer Henri Christiné in 1917.

Composer Henri Christiné in 1917.

Arthurs schwache Stelle ist Mado, seine Frau, die aus dem adligen Faubourg Saint-Germain stammt, aber im Krieg ihr ganzes Vermögen verloren hat [9] und deshalb den Heiratsantrag ihres bereits wohlhabenden Masseurs annahm, der eigentlich als Witz gedacht war. Sie läßt ihn ständig spüren, daß er ein Emporkömmling ist [10], und er stellt ihre Überlegenheit nicht in Frage [11]. Arthur ahnt nicht, daß Mado und Hubert vor dem Krieg ein Liebespaar waren und geheiratet hätten, wenn die „ärgerliche Geldfrage“ nicht wäre [12]; als Arthur seinen alten Kriegskameraden mit ins Haus gebracht hat, haben sich die beiden nicht verraten, und natürlich betrügt Mado ihren Mann mit Hubert. Seinen Freund zu verdächtigen, kommt Arthur nicht in den Sinn. Selbst wenn er einen Brief des Liebhabers an seine Frau findet, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt, allerdings keine Anrede enthält, gelingt es Mado, ihrem Mann einzureden, das Schreiben wäre an Antonine gerichtet, eine arme Verwandte, die bei den Michoux lebt und sich um den Haushalt kümmert; mit ihr hätte Hubert ein Verhältnis. Die folgenden Ereignisse verleihen dieser Erklärung zusätzliche Wahrscheinlichkeit, und zuletzt ist Arthur von Mados Unschuld und Huberts Freundschaft felsenfest überzeugt.

André Barde liefert damit eine heitere Lesart von Molières bitterer Komödie Georges Dandin (1668). Anders als Dandin ist Michoux so blind, wie es betrogene Ehemänner in Komödien zu sein pflegen, mit der Konsequenz, daß sich das Publikum mit dem betrügenden Paar gegen den Betrogenen solidarisiert [13]. In der Perspektive der Operette sind Hubert und Mado das passende Paar, Arthur ist der Störenfried; Grund dafür ist nicht (oder zumindest nicht in erster Linie), daß die beiden derselben, gehobenen Gesellschaftsschicht entstammen, sondern daß sie jünger, attraktiver und leidenschaftlicher sind als der Ehemann.

Notendeckblatt zu einem Lied aus der Filmversion von "Arthur."

Notendeckblatt zu einem Lied aus der Filmversion von “Arthur.”

Wenn Arthur von der angeblichen Beziehung zwischen Antonine (die immerhin zur Familie gehört) und Hubert erfährt, ist er empört und zwingt den Übeltäter, Antonine zu heiraten (da Arthur unbeschränkten Zugriff auf Huberts Kapital hat, könnte er ihn, sollte er sich weigern, durch desaströse Spekulationsgeschäfte binnen 24 Stunden ruinieren [14]). Hier scheint sich nun eine Lösung abzuzeichnen, die den Forderungen der Moral Genüge täte und für die sich, diese Vermutung sei gewagt, die meisten deutschsprachigen Librettisten entschieden hätten: Hubert müßte sich in Antonine verlieben, Mado den Laufpaß geben und aus der Scheinehe eine wirkliche machen [15]. Barde aber hat diese Möglichkeit gerade nicht genutzt.

Antonine ist ihrerseits heimlich und hoffnungslos verliebt, in Roger de Beautramel, der jeden nur denkbaren Sport betreibt und für die Liebe schlicht und einfach keine Zeit hat [16]. Zum Glück ist auch Antonine recht sportlich, und als Mme de Fondragon ist sie ihrer häuslichen Pflichten ledig und hat endlich Zeit, mit Roger zu trainieren; die beiden kommen sich näher, und da Roger findet, daß Antonine noch Jungfrau ist, wird er seiner Verpflichtung als Ehrenman nachkommen [17] und sie nach ihrer Scheidung von Hubert heiraten.

Der Autor André Barde. (Photo: Programme original de "Un Bon garçon" / Nouveautés, 1926)

Der Autor André Barde. (Photo: Programme original de “Un Bon garçon” / Nouveautés, 1926)

André Bardes Buch nimmt vielfach auf die Zeit seiner Entstehung Bezug: Den Sommer verbringt das Ehepaar Michoux in Juan-les-Pins (Akte II/III), das in den zwanziger Jahren zum Treffpunkt der eleganten Welt geworden war. Arthur hat dort eine Filiale seines Schönheitssalons eröffnet, wo er seine Kunden von den Vorzügen der Freikörperkultur zu überzeugen sucht – sich der Sonne auszusetzen, um (möglichst ohne helle Streifen) braun zu werden[18], zeugt ebenso von einem neuen Körpergefühl wie Rogers, und vor allem Antonines, Sportbegeisterung. Vor allem hat eine vor dem großen Krieg unvorstellbare soziale Mobilität das Leben bedeutend vereinfacht: Proust-Leser erinnern sich, daß Mme de Villeparisis einiger sogenannter Jugendtorheiten wegen lebenslang unter ihrer gesellschaftlichen Deklassierung zu leiden hatte. Auch Mados alte Freundinnen aus dem Faubourg Saint-Germain dürften den Kontakt zu ihr abgebrochen haben, seit sie Mme Michoux geworden ist, aber das scheint sie nicht im mindesten zu stören, sie hat sich einfach ein anderes soziales Umfeld gesucht. Rogers Mutter, in deren Villa das Ehepaar nicht zum ersten Mal die Ferien verbringt, hielt Arthur für einen Financier, weil er seiner Börsentransaktionen wegen ständig Telegramme nach Paris schickte. Im zweiten Akt taucht sie unvermutet in seinem Massagesalon auf; der Anblick von Kundinnen im Bademantel, die wollen, daß Arthur sich ihrer Brüste annimmt, führt zunächst zu (sehr komischen) Mißverständnissen[19], aber wenn sie erfährt, womit er sein Geld verdient, ist sie nicht schockiert (wie ihr Sohn befürchtet hatte), sondern begeistert.

Dankenswerterweise spricht Madame de Beautramel auch aus, daß André Bardes Buch nicht nur eine konservative Moral, sondern auch eine konservative Unmoral zugrundeliegt – etwas anderes glaubten die Autoren Teilen ihres Publikums offenbar nicht zumuten zu können. Als der erste Mann, dem Antonine sich hingegeben hat, muß und wird Roger de Beautramel sie heiraten. Seine Mutter, die ihr Leben im immer noch beschaulichen Juan-les-Pins verbringt, liest alles, was die ‘jungen Romanciers’ über die Nachtclubs von Montmartre, die leichten Mädchen und die Modedroge Kokain schreiben, und sie nimmt alles für bare Münze. Folglich macht sie sich Sorgen, ihr Roger könnte in diesem Sündenbabel zu Schaden kommen, und sinnt auf Abhilfe: Eine Geliebte braucht er, aber bitte eine gutbürgerliche, vernünftige Frau – Madame Michoux, Mado also, wäre genau die richtige, zumal da der Junge bei einem Börsenmakler arbeitet; da könnte ihm Arthur, den sie wie gesagt für einen Financier hält, sehr nützlich sein, und wenn seine Frau wünscht, daß er etwas für Roger tut, würde er ihr das gewiß nicht abschlagen. Also bitte nicht Montmartre, wie bei Francis Carco oder Pierre MacOrlan: „Restons en aux bonnes mœurs de Maupassant et de Paul Bourget, où on se distrait avec la femme de ses amis…[20]“

Einerseits paßt der stabile ménage à trois des Ehepaars Michoux mit Fondragon in der Tat besser ins Fin de siècle als in die schnellebigen zwanziger Jahre (die Parallelen zum Theater Georges Feydeaus sind vielleicht noch deutlicher als jene zu Maupassant oder Bourget). Andererseits ist diese praktisch denkende Frau, die ihrem Sohn explizit den Auftrag gibt, eine verheiratete Frau zu verführen, hinreichend komisch; wenn dann in ihrer Vorstellung noch das Leben die Literatur imitiert und Rogers Wohlergehen letztlich von der Wahl der passenden Romangattung abhängt, werden die mütterlichen Lehren, und damit auch die bürgerlichen Lebenslügen, ohne die eine Existenz wie die von Arthur, Mado und Hubert nicht möglich wäre, vollends karnevalisiert. Ein unaufmerksamer Zuschauer mag beruhigt feststellen, daß sich seit der Zeit Bourgets und Feydeaus eigentlich nichts geändert hat; bei genauerer Betrachtung zeigt sich freilich, daß hier mit Versatzstücken bürgerlicher Moral und Ideologie ein Spiel gespielt wird, das auf nichts anderes als auf sich selbst verweist.

Ta bouche (1934)

Im Buch zu Ta bouche (1934, für Maurice Yvain) von Yves Mirande und Albert Willemetz (Gesangstexte) wird die soziale Mobilität der Nachkriegsgesellschaft mit mechanistischer Symmetrie vorgeführt, wie es Henri Bergsons [21] Definition der Komik entspricht: Im Zentrum steht das Paar Eva und Bastien. Bastiens Vater ist du Pas de Vis, der ‚erst reich und später arm war‘ [22], genau wie Evas Mutter, die Comtesse. Woher das Vermögen von Pas de Vis stammte und wie er es verloren hat, erfahren wir nicht. Die Comtesse ist offenbar eine ehemalige Kokotte [23], die wohl irgendwann einen ihrer adligen Verehrer dazu gebracht hat, sie zu heiraten; als er starb, hinterließ er ihr vielleicht nur wenig Geld, aber immerhin den Titel. Eva und Bastien sind beide attraktiv und sympathisch, ihre Mutter wie sein Vater setzen alle Hoffnungen auf eine reiche Heirat ihrer Kinder. Die Comtesse hat einen Kammerdiener namens Jean, der einmal ein reicher Mann und ihr Liebhaber war; nachdem er sich ihretwegen ruiniert hatte, nahm sie ihn in ihre Dienste [24]. Pas de Vis beschäftigt Mélanie, seine ehemalige Geliebte (ein armes Mädchen, das er verführt hat) als Stubenmädchen [25].

Der Komponist Maurice Yvain. (Photo: Karikatur von Georges Bastia)

Der Komponist Maurice Yvain. (Photo: Karikatur von Georges Bastia)

Der Verbindung Evas mit Bastien stehen die Eltern zunächst positiv gegenüber – die beiden sind schon so gut wie verlobt –, da jeder den anderen für reich hält; wenn klar wird, daß Pas de Vis und die Comtesse gleichermaßen pleite sind, reisen sie in entgegengesetzte Richtungen ab, Bastien und Eva, die ihrem Begehren (und der sinnlichen Verlockung des titelgebenden Walzers) nicht widerstehen konnten und miteinander geschlafen haben [26], müssen sich trennen.

Im folgenden Jahr, wenn man sich in einem anderen Seebad wiedertrifft (II. Akt), hat sich die Situation verändert: Pas de Vis hat Mélanie geheiratet, der unterdessen eine bedeutende Erbschaft zugefallen ist (S. 56). Die Comtesse hat Jean zum Mann genommen, obwohl der immer noch kein Geld hat; aber – das scheint ihr erst jetzt aufgefallen zu sein – er heißt Leduc, und da man „Monsieur Leduc“ als „Monsieur le Duc“ verstehen kann, wird aus seiner Frau „Madame la Duchesse“ (S. 60), was natürlich mehr ist als eine simple Gräfin. Bastien hat sich von seinem Vater überreden lassen, eine reiche, aber extrem häßliche Fabrikantentochter (die in der Operette nicht auftritt) zu heiraten, die Erfüllung seiner ehelichen Pflichten wird ihm zur ständigen Fron (S. 55). Eva wird von vielen reichen Männern umworben und nimmt von allen Geschenke an, ohne irgendeine Gegenleistung zu gewähren; auf diese Weise hat sie es zu einer stattlichen Mitgift gebracht (S. 60f.).

Notendeckblatt zu Yvains "Ta Bouche". (Photo: Design von Roger de Valerio)

Notendeckblatt zu Yvains “Ta Bouche”. (Photo: Design von Roger de Valerio)

Obwohl Eva Bastien vorwirft, er habe sich durch seine Heirat prostituiert, wird schnell klar, daß die beiden einander immer noch lieben; sie gehen „se refiancer“ (S. 71). Wenn Bastien dann obendrein entdeckt, daß seine Frau ihn betrügt, ist der Weg zur Scheidung (und damit zu einer Verbindung mit Eva) frei, aber er zögert: Erstens meint er, sich als Hahnrei vor der Geliebten lächerlich gemacht zu haben; zweitens: wie kann er auf die Treue der hübschen Eva hoffen, wenn ihn sogar seine häßliche Frau betrogen hat (III. Akt, S. 92)? So dauert es ein weiteres Jahr, bis zusammenkommt, was zusammengehört (III. Akt): Mélanie (der inzwischen drei weitere Erbschaften zugefallen sind, S. 86), ist von Pas de Vis, Jean ist von der ‚Duchesse‘ geschieden; Jean und Mélanie haben geheiratet, gehören damit (wieder) zu den Herrschaften und haben folglich nichts Wichtigeres zu tun, als sich über die Dienerschaft zu beklagen [27]. Bastiens Scheidung hat sich als höchst lukrativ erwiesen, und Evas Verehrer haben ihr ein stattliches Vermögen beschert (S. 96), so daß sich ihr gemeinsames Leben recht komfortabel anläßt. Auch die Comtesse und Pas de Vis, die sich schon zu Beginn (als jeder den anderen noch für reich hielt) zueinander hingezogen fühlten, haben geheiratet und sind offenbar – dank ihrer Kinder? – wieder zu Geld gekommen.

Die Figuren pendeln zwischen Reichtum und Armut: Die Comtesse und Pas de Vis erwecken zu Beginn noch den Anschein, sehr vermögend zu sein [28], haben aber Schwierigkeiten, ihre Hotelrechnungen zu bezahlen. Jean steigt vom Lebemann zum Kammerdiener ab und wird zuletzt dank der Heirat mit Mélanie wieder reich. Das entspricht dem Weltbild des Märchens, dessen Personal „vollkommen schön und gut oder vollkommen häßlich und böse […] entweder arm oder reich, verwöhnt oder verschupft, sehr fleißig oder sehr faul“ ist [29]. Ein Glückswechsel erfolgt häufig unmotiviert: Daß die bettelarme Mélanie reihenweise reiche Verwandte haben soll, die nur darauf warten, ihr jeweils ein großes Vermögen zu hinterlassen, ist z.B. ziemlich unwahrscheinlich.

Ein scharfer Kontrast besteht auch zwischen dem Liebespaar Eva und Bastien und den anderen Figuren: Während die Eltern, die Dienstboten und selbst die drei jugendlichen Klatschbasen, die in allen drei Akten das Geschehen kommentieren, kurzlebige, anscheinend unproblematische Beziehungen eingehen [30], hält Eva die Männer, die sie bedrängen, auf Distanz [31], nachdem sie sich Bastien hingegeben hat [32]. Andererseits ist sie dadurch, daß sie ihm ihre Jungfräulichkeit geschenkt hat (wie Christinés Arthur sagen würde [33]), zur Frau seines Lebens geworden [34]. Wenn sie ihm seiner Geldheirat wegen Vorwürfe macht, versteigt er sich zu der Behauptung, er hätte sie nie betrogen: Seine ehelichen Pflichten habe er immer nur „rein mechanisch, ohne zu wissen wie“ erfüllt [35].

Vorderseite des Klavierauszugs zu Yvains "Pas sur la bouche." (Photo: Design von Roger de Valerio)

Vorderseite des Klavierauszugs zu Yvains “Pas sur la bouche.” (Photo: Design von Roger de Valerio)

Die traditionelle Vorstellung, derzufolge der erste (und idealerweise einzige) zugleich der wichtigste Mann im Leben einer Frau ist, haben André Barde und Maurice Yvain in Pas sur la bouche [36](1925) ad absurdum geführt: Valandray lebt mit seiner Frau Gilberte in ungewöhnlich glücklicher Ehe, was er darauf zurückführt, daß sie vor ihm keinen Mann gekannt hätte; seine Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich der Schwerindustrie veranlassen ihn, die Beziehung zwischen einer Frau und ihrem ersten Liebhaber mit der Fusion zweier Metalle zu vergleichen; sie wird diesen Mann nie betrügen, und selbst wenn das Leben sie von ihm trennt, muß sie früher oder später zu ihm zurückkehren. Dumm ist nur, daß er dise seine Theorie ausgerechnet seinem amerikanischen Geschäftsfreund Thomson erläutert, denn mit dem war Gilberte (in Übersee) verheiratet gewesen, bevor sie Valandray kennenlernte; es ging schief, nach kurzer Zeit wurde die Ehe geschieden, und Gilberte empfindet eindeutig nichts mehr für Thomson, der sie allerdings nur zu gern wiederhaben möchte.

Als die ideale Ehefrau galt der bürgerlichen Prüderie der Vorkriegszeit die oie blanche, die nicht nur unberührt, sondern auch unwissend vor den Traualtar trat. In denunziatorischer Absicht stellte der Romancier Marcel Prévost ihr den Typus der demi-vierge gegenüber [37], die sich ihrer Sinnlichkeit bewußt ist und, wenn sie als Jungfrau in die Ehe geht, zumindest über reiche Flirt-Erfahrungen verfügt. Die sozialen Umwälzungen und der Mentalitätswandel infolge des Krieges bringen die oies blanches zum Verschwinden, das neue Ideal der souverainen, selbstbewußten jungen Frau entspricht weitgehend dem vormals verteufelten Typus der demi-vierge [38]. Daß Mirande und Willemetz wie André Barde die angebliche Einzigartigkeit der Beziehung einer Frau zu ihrem ersten Liebhaber zu einem wichtigen Handlungselement ihrer Libretti machen, das sie zugleich (mehr oder weniger diskret) ironisieren, verweist wohl auf Ansichten, die in der älteren Generation immer noch zahlreiche Anhänger haben mochten.

Schallplattenaufnahme von "Pas sur la bouche" mit Fanely Revoil.

Schallplattenaufnahme von “Pas sur la bouche” mit Fanely Revoil.

Die Operettenbücher präsentieren unterschiedliche, neue wie traditionelle weibliche Lebensentwürfe: Gilbertes junge Freundin Huguette in Pas sur la bouche ist eine unabhängige, selbstbewußte junge Frau, die sich von den schüchternen „jungen Mädchen von früher“ abgrenzt; sie besucht nicht nur Nachtclubs und Tanzlokale, die eine Generation früher für ein junges Mädchen aus gutem Hause tabu waren, sie denkt auch nicht daran, sich einen bejahrten Ehemann aufoktroyieren zu lassen, der ihre sexuellen Bedürfnisse nicht zu befriedigen vermag, vielmehr will sie selbst einen jungen, leidenschaftlichen Partner wählen[39]. Der Avantgarde-Künstler Charley hat es ihr angetan; daß er nicht besonders erfolgreich ist und kein Geld hat, stört sie nicht, ihr Vermögen (oder das Erbe, das sie zu erwarten hat) reicht bequem für beide. Es scheint, daß die Familie ihr völlige Handlungsfreiheit läßt: Huguette ist sicher volljährig[40], aber wenn ihre Eltern noch leben, dürfte sie finanziell von ihnen abhängig sein. Charley ist kaum als idealer Schwiegersohn zu bezeichnen; entweder haben Huguettes Eltern ungewöhnlich wenig Vorurteile, oder die junge Dame verfügt über außerordentliches Durchsetzungsvermögen.

Raouol Morettis Un soir de réveillon (1933)

Monique in Un soir de réveillon [41] von Raouol Moretti (1933) genießt weit weniger Freiheiten, vielleicht, weil sie nicht dem Großbürgertum, sondern der Mittelschicht angehört: Ihr Vater ist Architekt, eine Mutter hat sie nicht mehr. Ihre Tante ist bemüht, einen Ehemann für Monique zu finden (der Vater mischt sich nicht ein, erhebt auch keine Einwäden, wenn sie die Kandidaten einen nach dem anderen ablehnt); der aktuelle Bewerber (der fünfte! [42]) ist erster Schreiber bei einem Notar, er möchte Moniques Mitgift verwenden, um sich eine eigene Kanzlei zu kaufen. Zumindest in den ersten Jahren der Ehe wäre das Geld knapp, und das Leben, das er seiner Frau bieten kann, ist nicht eben verlockend: Ihre Kleider soll sie sich selbst nähen, nur eine Zugehfrau (halbtags) beschäftigen und den größeren Teil der Hausarbeit selbst besorgen (ein bürgerlicher Haushalt verfügt in dieser Zeit gewöhnlich über mindestens zwei Dienstboten), Theaterbesuche und ähnliches sind nur zu ganz besonderen Anlässen vorgesehen… [43]

Notendeckblatt mit einem Lied aus "Un soir de réveillon." (Photo: Design von  Henri Cerutti)

Notendeckblatt mit einem Lied aus “Un soir de réveillon.” (Photo: Design von Henri Cerutti)

Um den jungen Mann beim ersten Zusamentreffen (im Haus der Tante) zu beeindrucken, hat Monique sich einen teuren Pelzmantel geliehen – von ihrer Freundin Viviane, die den Pfad der Tugend verlassen hat und sich von einem reichen Amerikaner aushalten läßt [44]. Wenn Monique ihren eigenen Lebensstil mit dem Vivianes vergleicht, kommt sie zwangsläufig zu dem Schluß, daß Ehrbarkeit sich nicht auszahlt: „A une petite poule, on demande ce qu’elle désire, à une jeune fille ce qu’elle apporte… [45]“ Sie beneidet die Prostituierten um den Luxus und die Freiheiten, die sie genießen:

Quand on voit comment les jeunes filles
S’habillent
Quand on sait leur vie insipide
Et vide
Sans être jalous’ pour un sou, on ne peut pas
S’empêcher malgé soi, de dire, tout bas:
Etre une poule
Un’ petit’ poule
Quell’ vie charmante
Et séduisante
On s’habille chez les grands couturiers
On chang’ tous les jours les souliers,
On peut tout se payer
Robes qui moulent
Autos qui roulent
Deux ou trois paires
De solitaires,
Un masseur, un pédicur’ chinois
Deux chevaux ‘ cours’, trois pékinois
Enfin n’importe quoi!
On peut avoir le culot
De n’avoir pas d’ culotte
Et prendre un p’tit peu de coco
Comme font les grand’s cocottes!
Lir’ du Carco
Parler argot
Et même dir’ des gros mots
Etre une poule
Un’ petit’ poule
Quelle vie charmante
Et séduisante
On peut tout, on a tout à ses pieds
Et l’on se fout du monde entier! …
Quel beau métier ! [46]

Die Möglichkeit, in die Rolle einer petite poule zu schlüpfen, bietet sich, wenn Monique als Vivianes angebliche Schwester ‚Ninon‘ an dem Fest teilnimmt, daß ihre Freundin am Weihnachtsabend für eine ausgelassene Gesellschaft von Lebemännern und –damen gibt [47]; dort lernt sie Gérard Cardoval kennen, einen vormals ernsthaften jungen Fabrikanten aus Nordfrankreich. Gérards (offenbar arrangierte) Ehe war nach einem Jahr am Ende, er hat seine Tuchfabriken für sehr viel Geld verkauft und ist nach Paris gekommen, um sich zu amüsieren, denn er liebt die Frauen, wie er uns in seinem Entréelied [48] mitteilt. Natürlich verliebt sich sofort in ‚Ninon‘ und bietet ihr an, sie auszuhalten.

Szenen aus der Filmversion von "Un soir de réveillon." (Photo: Ciné Magazine, 1933)

Szenen aus der Filmversion von “Un soir de réveillon.” (Photo: Ciné Magazine, 1933)

Auch Monique – „Une jeune fille a des sens“ [49] – begehrt Gérard; außerdem könnte sie ihren Vater aus einer wirtschaftlichen Notlage befreien, wenn sie sein Angebot annähme: Der Architekt Lepage hat ein Stadtpalais für eine demi-mondaine errichtet und den Bau aus Eigenmitteln vorfinanziert; dann kam die Wirtschaftskrise, die Auftraggeberin verschwand, Lepage hat somit ein Haus, das in der gegenwärtigen Lage unverkäuflich ist, aber keinerlei flüssiges Kapital, das er dringend benötigt [50]. Gérard, der von der Verwandtschaftsbeziehung zwischen seiner ‚Ninon‘ und Lepage nichts ahnt, würde ihm das Haus auf der Stelle abkaufen (und die beträchtliche Summe von 1,2 Millionen Francs bezahlen), wenn ‚Ninon‘ es als Geschenk annehmen wollte [51]. Die Wirtschaftskrise scheint Lepage, nicht aber Gérard getroffen zu haben; wie er den zu diesem Zeitpunkt ganz unwahrscheinlich hohen Preis für seine Fabriken erzielt hat, bleibt sein Geheimnis, jedenfalls verfügt er über nahezu unbegrenzte finanzielle Mittel und hat nur den Wunsch, das Geld mit vollen Händen für seine Ninon auszugeben [52].

Der Überfluß, den Gérard seiner Geliebten bietet, steht in märchenhaft scharfem Kontrast zur Knausrigkeit des tristen Notarsschreibers Landier. Während der Vergleich der Lebenumstände Moniques und Vivianes eine Facette des sozialen Wandels nach dem Ersten Weltkrieg in komödiengemäßer Stilisierung, aber durchaus zutreffend darstellt, endet die Geschichte als Märchen [53]: Wenn er die Zusammenhänge erkennt, nimmt der Traumprinz das Aschenputtel zur Frau, statt sie zu seiner Maîtresse zu machen. Zugleich ringt auch Viviane ihrem Amerikaner, der endlich einsehen muß, daß seine Eifersucht auf Gérard unbegründet war, das Versprechen ab, sie zu heiraten[54] – und diese Doppelung des Happy End ist eigentlich nur so zu verstehen, daß die Librettisten ihren Schluß desavouieren und andeuten, daß die Märchen eben doch leider nicht wahr sind.

Raoul Morettis Femme de minuit (1931)

Abschließend sei ein weiteres Buch von André Barde vorgestellt: In Femme de minuit für Raoul Moretti [55] (1931) setzt der Librettist zwei Schauplätze in Szene, die besonders typisch scheinen für das Lebensgefühl der Zeit, eine Zeitungsredaktion und einen Nachtclub, und lenkt dabei den Blick auf die Schwierigkeiten, denen sich berufstätige Frauen (immer noch) ausgesetzt sahen: Odette, die ‚Mitternachtsfrau‘ des Titels, ist mit Maréchal, dem Chefredakteur der Zeitung L’Égalité, ungewöhnlich glücklich verheiratet [56]. Wie es scheint, versteht sie es, mit wenig Geld ein repräsentatives Ambiente zu schaffen: Bei einer Auktion hat sie gerade (angeblich) ein komplettes Service, das zufällig das Monogramm des Paares trägt, sehr günstig ersteigert (I 6); einen echten Utrillo will sie einem Altwarenhändler in Saint-Ouen abgekauft haben, der nicht wußte, was er da hatte (I 16, S. 41).

Notendeckblatt mit dem Titelsong aus "Femme de minuit." (Photo: Design von Henri Cerutti)

Notendeckblatt mit dem Titelsong aus “Femme de minuit.” (Photo: Design von Henri Cerutti)

Schnell wird klar, daß Odette offenbar über beträchtliche Geldmittel verfügt, von denen ihr Mann nichts ahnt; das hat anscheinend mit ihrer Tante Angèle zu tun, einer altgewordenen Kokotte. Übrigens verlangt Maréchal von seiner Frau, sie möge den Kontakt zu Angèle abbrechen – nicht aus Prüderie, sondern mit Rücksicht auf seine Karriere: Verdurier, der Eigentümer der Égalité, ein reicher Kaufmann mit politischen Ambitionen (I 4, S.7), legt Wert auf ein untadeliges Privatleben seiner Redakteure – da die Zeitung Skandale aufdeckt und die Regierung attackiert, dürfen die Mitarbeiter selbst keine Angriffsflächen bieten, eine galante Tante, so meint Maréchal, könne er sich nicht leisten (I 6, S. 17). Der Chefredakteur meint es offenbar ernst mit seinem Kampf gegen Korruption und ist erfüllt von seiner Mission (I 13, S. 33); daß ihn die unwahrscheinlichen Geschichten seiner Frau über fabelhafte Sonderangebote und ähnliches nicht mißtrauisch machen, spricht allerdings nicht für ihn.

Der Komponist Raoul Moretti. (Photo: Programme original de "Comte Obligado !" / Nouveautés, 1927)

Der Komponist Raoul Moretti. (Photo: Programme original de “Comte Obligado !” / Nouveautés, 1927)

Bei einem Essen im Hause Maréchal zeigt sich der gestrenge Verdurier von Odette beeindruckt und versucht – ohne viel Erfolg – mit ihr zu flirten (I 14/15). Dabei scheinen ihm Frauen nicht geheuer zu sein[57], jedenfalls schlägt er Anne-Marie, einer promovierten Juristin und Anwältin, die bei seinem Blatt als Gerichtsreporterin arbeitet, den Wunsch, die Zeitung einmal in einem Prozeß vertreten zu dürfen, rundweg ab. Die selbstbewußte Anne-Marie klagt daraufhin über das Bündnis der Männer, das qualifizierten Frauen den Weg zu einer Karriere verbaut:

Couplets. Comme la vie est dure
La femme future
Est avocate ou docteur,
Architecte ou inspecteur,
De la Préfecture,
Mais l’homm’ que ça touche
Voit d’un œil très louche
Que l’on est à sa hauteur,
Il serr’ les poins, il serr’ les rangs
D’vant les concurrents,
Au lieu d’ nous mettr’ dedans alors,
Il ne pens’ qu’à nous mettr’ dehors (I 10, S. 27).

Obendrein scheinen die Männer berufstätige Frauen grundsätzlich als unattraktiv wahrzunehmen:

[…] comme ell’s n’ont plus aucun sexe en somme
Elles ne sont ni carpe ni lapin,
Plus de gigolos,
C’est pas rigolo,
Ell’s doivent jouer un solo.
Malheur aux femm’s qui remplacent les hommes
Ell’s perd’nt au jeu sur chacun des tableaux (ebd.).

Dem männlichen Bündnis gegen ehrgeizige Frauen gehört nun aber auch Maréchal an, denn er findet, nur der Mann solle die Familie ernähren, die Frau habe mit dem Haushalt genug zu tun (I 16, S. 40). Odette widerspricht nicht, aber sie wird sich ihren Teil denken: Im zweiten Akt wird klar, daß sie nachts, wenn ihr Mann in der Redaktion ist, als Geschäftsführerin den Nachtclub ihrer Tante leitet, die zu krank ist, um sich noch selbst darum kümmern zu können. Odette macht ihre Sache gut, und der Club wirft hohen Gewinn ab. In dieser Nacht allerdings hat sie mit zwei Problemen zu kämpfen: Der Barmann will dem neuen Groom Paulo, der vorher Lateinlehrer am Lycée Charlemagne war, einen Streich spielen und versorgt ihn mit Briefchen, die er Gästern anbieten soll, die nach „etwas zum schnupfen“ fragen – statt Kokain enthalten sie allerdings Puderzucker [58] (II 1, S. 50). Da Paulo in aller Unschuld ein Briefchen einem Polizeikommissar verkauft, wird er zuletzt als Drogenhändler verhaftet. Dann sieht sich Odette Verdurier gegenüber, der sich mit Anne-Marie und dem Reporter La Hupette überzeugen will, ob in diesem Etablissement wirklich mit Drogen gehandelt wird, wie La Huppette berichtet wurde [59]; natürlich erkennen sie Odette, die sie jedoch davon überzeugen kann, daß sie die russische Tänzerin Natacha, eine Doppelgängerin von Mme Maréchal, ist (da die echte Natacha nach einem Streit mit ihrem Partner nicht auftreten wollte, war Odette für sie eingesprungen). Ihren Mann allerdings, der (von La Huppette herbeitelephoniert) ebenfalls im Club auftaucht, vermag sie nicht zu täuschen.

Im III. Akt scheint Maréchal entschlossen, sich von Odette scheiden zu lassen, da er annimmt, sie hätte sich prostituiert. Obendrein kommt der Verdacht auf, er ließe sich von Leuten, die Angriffe der Zeitung zu fürchten haben, dafür bezahlen, daß er kritische Artikel unterdrückt, Verdurier ist entschlossen ihn zu entlassen (III 10). Zuletzt löst sich natürlich alles in Wohlgefallen auf: Tante Angèle [60] erklärt Maréchal, was Odette wirklich in ihrem Nachtclub gemacht hat. Maréchal widerlegt den Bestechungsverdacht, indem er einen Spekulanten, der ihm Geld anbietet, kurzerhand hinauswirft (III 17) ; daraufhin wird er, wie es von Anfang an geplant war (I 13, S. 33f.), Chef des Konsortíums von drei Zeitungen und Zeitschriften, das Verdurier gründen will.

Maréchal ist ein aufrechter Mann mit Prinzipien, der allerdings ein klein wenig hölzern und borniert wirkt; seine Frau ist eindeutig die lebenstüchtigere der beiden. Vor diesem Hintergrund scheint es bemerkenswert, daß sie zuletzt ihre Position als Geschäftsführerin des Nachtclubs aufgibt: Künftig wird sie sich offenbar auf die Rolle der Hausfrau beschränken, d.h. ihr Mann hat seine Vorstellungen durchgesetzt. Andererseits ist es La Huppette während der Nacht im Club gelungen, sich an Anne-Marie heranzumachen; am nächsten Morgen reagiert sie erst reichlich kratzbürstig, aber wenn er sie küßt, gibt sie ihren Widerstand auf (III 2, S. 103): Sie nimmt ihn entweder zum Ehemann oder zum Liebhaber (da ist sie sich noch unschlüssig; er wird anscheinend nicht gefragt). Jedenfalls wird sie sich von ihm nichts gefallen lassen : „Si tu me frapp’s, par moi tu s’ras frappé, / Si tu me tromp’s, tu s’ras trompé“ (S. 104) [61].

Somit zeigt sich in La Femme de minuit eine ähnliche Ambivalenz wie in den anderen hier betrachteten Werken: Während sich Odette offenbar mit der traditionellen Frauenrolle arrangiert (die neue Position ihres Mannes, der als Chef von Verduriers Konsortium ungleich mehr in der Öffentlichkeit stehen dürfte denn als Chefredakteur der Égalité, läßt ihr vermutlich keine andere Wahl), verteidigt Anne-Marie ihre Unabhängigkeit auch in der Beziehung zu La Huppette. In Bardes und Christinés Arthur folgen die ganz im Hier und Jetzt der zwanziger Jahre verankerten Figuren moralischen Prinzipien, die ihre Herkunft aus dem Fin de siècle nicht verleugnen können; Mirande, Willemetz und Yvain kontrastieren in Ta bouche die dynamische Gesellschaft ihrer Gegenwart mit dem traditionellen Weiblichkeitsideal der oie blanche, das diskret ironisiert wird, bevor es Barde und Yvain in Pas sur la bouche dekonstruieren. In Un soir de réveillon von Moretti, Armont und Gerbidon schließlich wird der Anspruch der jeune fille Monique auf die nur einer petite poule zugestandene Freiheit und Unabhängigkeit durch den Märchenschluß negiert. Ob diese Ambivalenz Folge eines Bemühens der Autoren ist, ein für möglichst unterschiedliche Zuschauergruppen akzeptables Werk zu schaffen, oder ob sie aus der (nicht unbedingt friedlichen) Koexistenz unterschiedlicher Normvorstellungen und Wirklichkeitsmodelle in der Gesellschaft der Zwischenkriegszeit resultiert, wäre noch eingehender zu untersuchen.

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[1] Vgl. sein Lied im Finale I Nr. 7, S. 40. Im Textbuch der Gesänge (Leipzig – Wien: W. Karczag 1924, S. 11) heißt es „ein flotter Reiteroffizier“.

[2] Neben dem wesentlich bekannteren Albert Willemetz ist André Barde (1874-1945) ohne Zweifel der interessanteste und originellste Librettist seiner Zeit. Während die meisten französischen Operettenbücher Gemeinschaftsarbeiten von zwei oder mehr Autoren sind, schrieb Barde gewöhnlich Dialoge und Gesangstexte (u.a. für Christiné, Maurice Yvain und Raoul Moretti); vgl. Kurt Gänzl, The Entyclopedia of the Musical Theatre, 2 Bde, Oxford 1994, S. 77f.; sowie Jacques Gana, Encyclopédie multimédia de la comédie musicale théâtrale en France 1918-1944, hier http://194.254.96.55/cm/?for=fic&cleaut=20 (4.6.2015).

[3] Arthur. Opérette en trois actes. Livret et lyrics de André Barde. Musique de Henri Christiné. Livret, Paris: Francis Salabert o.J., 65 + 51 + 28 S.

[4] Vgl. I 4, S. 16.

[5] Ebd., S. 17.

[6] „L’antiquité, tiens, c’est ce qui te convient très bien… T’es d’un autre siècle…“(I 4, S. 18).

[7] Vgl. I 1, S. 4.

[8] In I 4 begrüßt er ihn „Comment vas-tu vieille noix?“ (‚Wie geht’s, alter Esel?‘) und schlägt ihn mehrfach ungeniert auf die Schulter.

[9] Vgl. I 2, 9f.

[10] Vgl. ebd., S. 10: „Tu as beau faire le type à manières avec tes clientes. […] quand on gratte un peu le vernis, on trouve vite le manœuvre enrichi.“ Vgl. auch II 3 S. 7: „J’ai horreur que tu parles argot!“

[11] Vgl. seine Erklärung für seine Eifersucht (I 2, S. 12): „tu es trop haut pour moi… alors je me méfie!“ – Arthur ist sich offenbar auch nicht sicher, ob er seine Frau sexuell zu befriedigen vermag: Er hat sie für sich gewonnen, weil er, anders als die Leute ihres Milieus, die Java, den sehr sinnlichen Tanz der kleinen Leute (es handelt sich um einen in den zwanziger und dreißiger Jahren populären, schnellen Walzer, vgl. http://fr.wikipedia.org/wiki/Java_%28danse%29, 4.6.2015) zu tanzen vermochte (woran er sich in seinem Couplet II 3, S. 9 erinnert); später (II 12, S. 33f.) gesteht er in den Couplets über den „français moyen“ selbstironisch ein, daß er zwar gern mit seiner erotischen Virtuosität prahlt, in Wirklichkeit aber ein eher phlegmatischer Liebhaber ist („Dès que j’suis près d’un’ femme, / En deux s’cond’s je m’enflamme, / Et mon regard vainqueur, / Lui loge jusqu’au cœur, / J’lui dis que j’prémédite, / Des choses inédites, / Que je vais l’envouter, / Par la volupté, / Qu’en amour quand je m’lance, / J’peux chanter quinze romances, / Au femm’ on dit tout ça / La vérité la v’la: / C’est que lorsque j’m’épanche, / Ce n’est qu’un’ fois l’ dimanche, / Ma femm’ trouv’ ça très bien: / Je suis l’Français moyen.“

[12] Vgl. I 5, S. 19.

[13] Hinzu kommt, daß der Zuschauer Hubert seine Rache an Arthur gönnt, der ihn sträflich unterschätzt und sich permanent über ihn lustig macht; und Arthur wäre selbst geneigt, seine Frau zu betrügen (wenn sich die unscheinbare Antonine nach ihrer Heirat zu einer attraktiven Frau entwickelt, macht er ihr Avancen, II 111, und dringt schließlich sogar bei Nacht in ihr Schlafzimmer ein, um sie zu verführen, was natürlich nicht gelingt, III 4), was Mados Untreue zumindest relativiert.

[14] Vgl. I 17, S. 54.

[15] Ähnlich ist die Intrige in Mädi von Robet Stolz (Buch Alfred Grünwald / Leo Stein, 1923); der Scheinehemann ist allerdings kein Ehebrecher, sondern ein alter Hagestolz, den die in ihn verliebte Protagonistin zu einer Ehe auf Zeit drängt in der Hoffnung, daß er Geschmack daran findet (was auch eintritt).

[16] Vgl. I 10, S. 31.

[17] Seiner Mutter, die sich der Heirat widersetzen will, erklärt er (III 8, S. 27): „Je dois réparer… elle était vierge.“

[18] Vgl. II 3, S. 7. Mado will Arthur allerdings nicht erlauben, sich hüllenlos zu zeigen: „ça, c’est créé pour les femmes des autres, mais pas pour la mienne! (ebd.)“

[19]Vgl. II 15, S. 43.

[20] II 14, S. 41.

[21] Henri Bergson, Le rire. Essai sur la signification du comique [1900], Paris 1924; vgl. Albert Gier, Wär’ es auch nichts als ein Augenblick. Poetik und Dramaturgie der komischen Operette, Bamberg 2014, S. 295 und passim.

[22] Ta bouche d’Yves Mirande, Albert Willemetz et Maurice Yvain (L’avant-scène théâtre, no 1173, 1.12.2004), II. Akt, S. 55: „Écoute un homme qui a été pauvre, après avoir été riche!“

[23] Mélanie verkündet (I. Akt, S. 45): „Je suis sûre que c’est une ancienne poule […].“

[24] I. Akt, S. 15.

[25] Vgl. II. Akt, S. 56.

[26] I. Akt, Valse „Ta bouche“, S. 20f.; vgl. S. 27f. – Nach der Abreise der Comtesse wirft Pas de Vis seinem Sohn mangelnde Initiative vor: Er hätte „Cet irrémédiable qui fait que les mariages deviennent indispensables“ vollziehen müssen (I. Akt, S. 42). Wenn Bastien ihm versichert, eben dies habe er getan, versteht der Vater die Welt nicht mehr.

[27] Duetto – Couplets des domestiques, S. 87f.

[28] Vgl. ihr „Duo des terres et des coupons“, I. Akt, S. 32f.

[29] Max Lüthi, Das europäische Volksmärchen. Form und Wesen, München 1974, S. 34f.; vgl. Gier, S. 195.

[30] Im III. Akt fehlt zunächst Klatschbase Margot, die inzwischen geheiratet hat, aber sie taucht bald wieder auf: Ihr Mann läßt sich scheiden, nachdem er sie mit ihren Cousin Gaston (der ebenfalls verheiratet ist) in flagranti erwischt hat, vgl. S. 101.

[31] Wenn die Klatschbasen der Comtesse unter die Nase reiben, daß kein Mensch Eva für unberührt hält (II. Akt, S. 57f.), zeigt sich wie unwahrscheinlich das ist.

[32] Beide geben ihrem Begehren nach, aber Eva will auch sicher gehen, daß sie in der Hochzeitsnacht (die, wie sie glaubt, unmittelbar bevorsteht) keine unliebsame Überraschung erlebt: Ihrer Mutter gegenüber führt sie zur Rechtfertigung (I. Akt, S. 39f.) das Beispiel einer Freundin an, die aus Liebe geheiratet und ihren Mann zwei Tage nach der Hochzeit verlassen hat, weil ‚seine Haut ihr nicht gefiel‘. – Nach einem Jahr, wenn Bastien und Eva sich „wieder verloben“ („Viens, on va se refiancer“, S. 71), wundert er sich über die Fortschritte, die sie unterdessen gemacht hat, und kann kaum glauben, daß sie außer ihm keine Lehrmeister hatte; sie erklärt ihm, sie habe bloß „ihre Fingerübungen gemacht“ („Mon cher Bastien, il m’a suffi / De travailler un peu mes gammes“, Valse de la seconde étreinte, S. 77).

[33] Vgl. Arthur II 3, S. 8.

[34] Vgl. seine Couplets mit dem Refrain „Ça, c’est une chose qu’on peut pas oublier… / Se dir‘: c’est moi, moi le premier […]“, II. Akt S. 65f.

[35] Vgl. die Couplets, S. 69-71: „Moi, j’ai fait ça machinalement / Sans savoir comment.“

[36] Dazu Gier, S. 208-214.

[37] Marcel Prévost, Les demi-vierges, Paris 1894.

[38] In Ralph Benatzkys musikalischem Lustspiel Bezauberndes Fräulein! (1933, nach der Komödie La Petite Chocolatière von Paul Gavault) ist Luise die Karikatur einer oie blanche; ihr verklemmter Vater sieht in der mondainen Annette mit Sicherheit eine demi-vierge.

[39] Vgl. Pas sur la bouche… Opérette en 3 Actes. Livret de André Barde. Musique de Maurice Yvain. Partition piano et chant, Paris – New York : Francis Salabert © 1925 [E.A.S. 3417], Duetto no 2 (Huguette – Farandel): « Il n’y a pas longtemps, / Les infortuné’s jeun’s filles, / Dans des costumes montants, / Cachaient c’qu’on trouvait compromettant; / Près de leurs mamans, / Ell’s f’saient des travaux d’aiguille / Et quand on parlait romans / Baissaient les yeux très pudiquement, / Ell’s buvaient d’la camomille, / Les jours de grand tralala, / Ah ! c’était la vi[e] d’famille, / Mais j’avou’ que cett’ vi’ là, / Je l’aim’ mieux autrement […] Je fréquent’ les skatings, / Les grands bars, les dancings, / Zut ! si c’est shocking ! […] Les parents, jadis, / Choisissaient pour le mariage / Un vieux Raminagrobis, / Datant du règne de Charles X ; / Et selon les us, / L’enfant f’sait le p’tit voyage / Dans ce pauvr’ train omnibus, / Et qui n’la m’nait pas au terminus. / Je préfèr’ choisir moi-même / Le mari qu’on veut m’donner […] Pour que l’on vive heureux, / Faut qu’il soit amoureux, / Jeune et vigoureux. »

[40] Zur Zeit der Uraufführung von Pas sur la bouche (1925) lag das Volljährigkeitsalter in Frankreich bei 21 Jahren, vgl. http://geneal30.free.fr/Atelier/majorite_et_puberte.htm (6.6.2015).

[41] ..un soir de réveillon.. Opérette en 2 actes et 10 tableaux de MM. Paul Armont et Marcel Gerbidon. Musique de Raoul Moretti. Couplets de Jean Boyer. Livret, Paris © 1933.

[42] Vgl. I. Akt 1er tableau Szene 4; II. Akt 4e tableau Sz. 2.

[43] Vgl. II. Akt 4e tableau Sz. 3.

[44] Paulette, Vivianes Dienstmädchen, präzisiert (I. Akt 1er tableau 1. Szene): „Madame n’est pas une poule. C’est une femme entretenue. Elle n’a qu’un ami.“

[45] II. Akt 4e tableau 5. Sz. Das bestätigt sich im letzten Bild, wenn Ninon, maskiert und sehr leicht bekleidet, beim Einweihungsfest des Hauses, das Gérard für sie gekauft hat, auf ihren prospektiven Verlobten trifft: Der findet die „jolie petite poule“ äußerst attraktiv und wäre bereit, ihr Entgegenkommen großzügig zu honorieren, d.h. er ist nur bei seiner Ehefrau geizig (II. Akt 10e tableau Sz. 4).

[46] I. Akt 1er tableau Sz. 6.

[47] In diesem Bild wie in allen anderen spielt Honoré, Chauffeur, Kammerdiener und so etwas wie Ninons Ersatzvater, eine wesentliche Rolle (er wurde bei der Uraufführung wie in der Verfilmung von Un soir de réveillon von dem großen Komiker Dranem gespielt), auf die ich hier nicht eingehen kann.

[48] I. Akt 1er tableau 9. Sz.

[49] Zu Honoré, II. Akt 8e tableau Sz. 9.

[50] II. Akt 4. Bild Sz. 2.

[51] II. Akt 7. Bild 1. Szene. – Auch Viviane drängt Monique, Gérards Drängen nachzugeben: Bob, ihr Liebhaber, ist eifersüchtig auf Gérard, den er mehrfach bei Viviane angetroffen hat (da ‚Ninon‘ verschwunden ist, bedrängt Gérard ihre ‚Schwester‘, sie möge ihm ihre Adresse geben); Vivianes Erklärungen überzeugen Boob nicht, er droht, sie zu verlassen, wenn er nicht binnen einer Woche mit eigenen Augen Gérard und ‚Ninon‘ in ein und demselben Bett sieht (II Akt 5. Bild 3, Sz.), Viviane verlangt, daß ihre Freundin ehr den drohenden Verlust erspart (ebd. Sz.5).

[52] Nachdem ‚Ninon‘ zugestimmt hat, läßt Gérard das Haus, in dem es weder Tapeten noch Möbel oder sonstige Einrichtung gibt, binnen eines einzigen Tages zur prunkvollen Bühne für ein venezianisches Fest gestalten; der spektakuläre Beweis für die Allmacht des Geldes erinnert an Wunder, die der Graf von Monte-Cristo des Alexandre Dumas mittels seines unerschöpflichen Reichtums zu wirken vermag (so z.B. die Rettung seines früheren Gönners, des Reeders Morrel, vor dem geschäftlichen Ruin, wenn er eine exakte Replik des gesunkenen Schiffs Le Pharaon bauen und mit der – geretteten – Mannschaft des ersten Pharaon und gleicher Ladung in den Hafen von Marseille einfahren läßt, vgl. Alexandre Dumas, Le Comte de Monte-Cristo [1845/46], Kap. XXX).

[53] Die Parallele zu Franz Lehárs Eva (Buch A.M. Willner / Robertt Bodanzky, 1911) ist sehr deutlich, vgl. dazu Gier, S. 185-191.

[54] II. Akt 10. Bild, Sz. 2 , 6.

[55] Femme de Minuit. Opérette en trois Actes de M. André Barde. Musique de Raoul Moretti. Livret, Paris: Francis Salabert o.J. [1931], 136 S. (hektographiert).

[56] Vgl. ihr Duett, I 6 S. 13: „Mar. Amoureux! / Od. Tous les deux! / Mar. On s’entend. / Od. Tout le temps.“ Hier wie an anderen Stellen in diesem Buch scheint Barde explizit auf Meilhacs und Halévys Opéras-bouffes für Offenbach anzuspielen, vgl. in Barbe-bleue den Beginn des Duetts von Fleurette und Saphir (I 1): „Tous les deux / Amoureux, / Nous tenant un doux langage, / Nous allons, / Nous venons, / Nous parcourons ce bocage.“ Bardes Fortsetzung unterstreicht das Begehren des Paares: „Mar. Viens ici! / Od. Me voici !/ Mar. Viens plus près. / Od. Et après. / Ensemble. J’ai toujours envi’ de toi, c’est vrai. / Mar. Donn’ ton bec ! / Od. Et avec ? / Mar. Donn’ ton corps. / Od. Quoi encor ? / Ens. Nos deux corps vibrent toujours d’accord.“

[57] Anscheinend plagen ihn auch sexuelle Versagensängste, jedenfalls warnt er in seinen Couplets (I 12, S. 31) vor der angeblichen Unersättlichkeit der Frauen: „De même pour l’amour, leur goût paraît / Très discret, / Puis ell’s en veul’nt tous les jours, ma foi, / Plusieurs fois, / Et vous êt’s vidé comme un poulet / Et sur les boulets“. mit der Folge, daß der Mann sich im Rollstuhl wiederfindet.

[58] Béchard und Yette, die ständig auf der Suche nach einer neuen Droge sind und schon alle nur denkbaren Rauschmittel ausprobiert haben (Couplets Yette II 3, S. 57: „J’ai pris du laudanum, / J’ai pris de l’opium, / Et du magnésium, / Tout ça, c’est pas mal, / Mais c’est banal, / J’ai pris de l’arsénite, / Coupé de mélinite, /Et de panclastite, / C’est plus ingénieux, / C’est déjà mieux, / Un cocktail de stupéfiants / Alors ça c’est foudroyant, / [Ç]a rend l’ ciboulot / Rigolo. »), versuchen das neuartige ‘Gift’ und sind begeistert : « Mais c’est exquis, mais je n’ai jamais senti ça… je plane, je plane. » (II 4, S. 60).

[59] Paulos Vorgänger hatte mit Drogen gehandelt (II 8, S. 68, 73), aber der ist längst entlarvt und verhaftet.

[60] Im I. Akt (I 8, S. 22) erwähnt sie, sie sei nur einmal richtig verliebt gewesen – in einen gewissen Bichon, der sich von ihr 30.000 Francs geliehen hat und auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist. Ein aufmerksamer Zuschauer ahnt schon an dieser Stelle, daß Bichon niemand anders ist als Verdurier, was sich im letzten Akt bestätigt (III 16); folglich kann Verdurier Angèle und ihren Angehörigen eigentlich nicht mehr böse sein.

[61] Im ersten Finale von Jacques Offenbachs Périchole (Buch Meilhac und Halévy, 1869) gibt es ein kleines Duett, in dem die Périchole auf Piquillos Ankündigung, er werde sie betrügen, antwortet: „Comme vous ferez, je ferai… / Si vous me trompez, je vous le rendrai“ (Théâtre de Meilhac et Halévy, Bd V, Paris o.J., S. 243). – Eine zweite Strophe, in der sie sich durch seine Drohung, er werde sie verprügeln, nicht schrecken läßt: „Comme vous ferez, / Je ferai, / Si vous me battez / Je vous le rendrai“, fehlt im Textbuch von Meilhac und Halévy, erscheint aber im Klavierauszug (Théâtre des Variétés. Première Représentation le 6 Octobre 1868. La Périchole. Opéra-Bouffe en 2 Actes. Paroles de MM. Henri Meilhac et Ludovic Halévy. Musique de J. Offenbach. Partition chant et paino arrangée par Léon Roques, Paris: G. Brandus et S. Dufour o.J. [1868], Platten-Nr. B. et D. 11,428, S. 80f. [IMSLP108200-PMLP142297-Offenbach­_-_LaPerichole­2ActVS-1, 6.6.2015])

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