Susanne Korbel
fernetzt. Junges Forschungsnetzwerk Frauen- und Geschlechtergeschichte
15 July, 2016
Das Weiße Rössl am Central Park – eine österreichische Kultoperette im New York der 40er Jahre? 1941 und 1947 war das in (Migrant_innen)Cafés am Central Park möglich: Das Stück [von Erik Charell, Hans Müller und Ralph Benatzky] inszenierte ursprünglich eine Liebesgeschichte vor dem traditionellen Hintergrund der Sommerfrische im Salzkammergut. Zwischen unterschiedlichen Traditionen und soziokulturellen wie -politischen Kontexten wurden Versionen des populären Bühnenwerks dann am Central Park in New York kulturell übersetzt. Ein Blick in die Stücke zeigt, dass gerade die Übersetzung von geschlechtsspezifischen Momenten der weiblichen Hauptrolle – der Rösslwirtin – besonders spannend ist. [1]
In den letzten Novembertagen 1941 verzauberte Vilma Kuerer als „Rösselwirtin am Central Park“ das Publikum des Café Vienna. [2] 1947 war es dann Ruth Sherman, die in die Schuhe des „Owner of the Dark Horse Inn“ schlüpfte. [3] Urheber beider Versionen, die unweit des Central Parks im Migrant_innencafé Vienna aufgeführt wurden, war Jimmy Berg. [4] Der soziopolitische Kontext – nationalsozialistischer Terror gleichermaßen wie etwa Vorstellungen von und über Geschlechterspezifika – prägte Bergs Variationen des Stückes Im weißen Rössl. Die Rolle der Rösselwirtin wurde zwischen[5] den beiden Versionen nicht nur personell umbesetzt, sondern erhielt jeweils ein spezifisches Inventar an Dispositionen, über die sie in den Interaktionen – auf der Bühne, wie auch mit dem Publikum – verfügen konnte. [6]
Es handelte sich also nicht um ‚simple‘ Neuinszenierungen der bekannten Operette Erik Charells, mit Liedtexten von Robert Gilbert. Vielmehr entstanden die zwei Variationen im kulturellen Übersetzen[7] des Bühnenwerkes gewissermaßen neu. In diesem Artikel wird anhand der Manuskripte nachgezeichnet, wie in den kulturellen Übersetzungen die Rolle der Rösslwirtin adaptiert wurde. [8]
Die Rösselwirtin
Die “Roesselwirtin” – wie die Hauptprotagonistin 1941 in Das weisse Roessel am Centralpark bezeichnet wurde – war am Beginn des Stückes stark an frühere Inszenierungen angelehnt. Vilma Kuerer [9], die aufgrund der Verfolgung durch Nationalsozialist_innen zur Migration gezwungen war, spielte von November 1941 bis Februar 1942, allabendlich die Rolle. [10] Gekleidet in Trachten sangen die Rösselwirtin und Leopold, der Zahlkellner, zur „Originalmusik“ von Benatzky das Lied „Im weissen Rössel am Wolfgangsee“. [11]
Dieses Versatzstück der Sommerfrische im prä-nationalsozialistischen Österreich wurde bereits im nächsten Dialog gebrochen, wenn die Rösselwirtin in der zweiten Szene die Bühne betrat und sagte:
„Austria you look so strange / Austria how did you change […] Ich pack ein die Dirndlsachen / Nimm die Lederhosen rasch, / Sag zum Abschied leise Servus / Weil ich nach New York Dich lock“
Den Dialog, der von der bekannten Melodie „Hueaho alter Schimmel, hueaho“ umrahmt werden sollte, beendete sie mit: „So let’s go“.
Das Vermischen von Deutsch und Englisch ist typisch für die Adaption von Stücken. Diese (mehr-)sprachliche Überschreibungen können als Auseinandersetzung mit „Identitäts“-/„Ortsverlusten“ unterschiedlicher Qualität (politisch, ökonomisch, sprachlich, geschlechtsspezifisch) gesehen werden. Das Aushandeln von diesen Dislokationen infolge der Migration ist Praxis des kulturellen Übersetzens, die in den Aufführungen von Theaterstücken einen Raum erhält. [12]
Zu diesem Aushandlungsprozess kann auch die Adaption der Rolle der Rösselwirtin gezählt werden: Kaum in New York angekommen, wurde aus der Wirtin eines Hotels im Salzkammergut eine umtriebige Geschäftsfrau, die nicht um ihre Reize verlegen und diese auch einzusetzen bereit war, wenn es darum ging, „ein living zu machen“. Am Central Park flirtete die Rösselwirtin nun nicht mehr mit ihrem Zahlkellner, sondern, der Regienotiz in Skript folgend, „tritt auf und singt – während des Rest des Liedes flirtet der Redakteur immer sichtlicher [!] mit ihr“.
Auch wenn die Szene so entworfen war, dass der bewusst als männlich konnotierte Geschäftsmann die Liaison begonnen hatte, so wurde auch der Wirtin zugetraut, Geschäftssinn zu haben und das Blatt wenden zu können. Sie entschied sich, auf den Flirt mit dem Zeitungsredakteur einzugehen, um gratis „Inches“ für ihr Inserat zu bekommen, denn:
„Ich hab nur geblufft / Tat es fuer’s Geschaeft / Ich war nett zum Redakteur / Und gleich gab er mir drei Inches mehr.“
Eine weitere Facette der Rösselwirtin von 1941 war ihre obsessive Attitüde, deren Inszenierung als elegant sprachlich angepasst – modernistisch bezeichnet werden könnte. Während Leopold an der ‚alten‘ Sprache festhielt, stellte die Inszenierung die weibliche Rolle als diejenige dar, die mit der Situation besser zurechtkam:
„You can see very clearly / I must take more than I can, / But in spite of all I love him dearly – / He is my man. / So I tell him – Oh Darling, / Give me now a little kiss, / But he doesn’t get my Oxford English, / That’s how it is …“
Trotzdem war 1941 klar, dass die Rösselwirtin schlussendlich bei ihrem Leopold bleibt und „ihn als liebende Frau, Immer nur im Walzertakt“ küsst. Auch wenn die Operette verkürzt und Sprachen vermischt wurden, blieb somit das Narrativ und bekannte Lieder erhalten.
„Owner of the ‚Dark Horse Inn‘“
Nun zur Version von 1947. Die Rösselwirtin war mittlerweile „the owner of the ‚Dark Horse Inn‘“ und bekam den Namen Violet Brown. Gespielt wurde sie von Ruth Sherman, einer ausgebildeten Opernsängerin. [13] Leopold verwandelte sich in Mr. Hinterhuber. Er war der einzige, der Deutsch sprach (und mit dem auch Violet auf Deutsch kommunizierte). Sein Herz schlug nach wie vor für die Rösselwirtin (= Violet), die jedoch 1947 keinerlei Notiz mehr von ihm nahm. Mehrere Männer umschwärmten nun Violet Brown – egal ob Sänger oder Gäste – und ihre Obsessivität nahm zu:
„I don’t care for wolves, no siree,[!] So please take it easy with me, / I’m no fool, / I have my rule, / You see. / Don’t go too far, my friend, until we marry / My proposition is cash and carry“.
Hier wurde indirekt auf ein Sujet der Zeit verwiesen, nämlich Forever Amber, das eine Frau beschrieb, die sich durch den Einsatz von Sexualität Eintritt in die obere Gesellschaftsschicht verschaffte. [14]
Offensichtlich wurde dieser Verweis dann in den nächsten (hier nicht zitierten) Sätzen. Da die Besitzerin des „Dark Horse Inn“, das bis zur letzten Szene wieder zum „White Horse Inn“ werden sollte, nicht dieses Idol der Amber verfolgte, betonte sie:
„If you can’t wait, my friend, then make it snappy,/ Just get a preacher, and we’ll be happy“.
Die vielschichtigen sexuellen Konnotationen wurden in einer Szene mit dem „nervösen Gast“ Herrn Meier noch evidenter. Der Gast, der eigentlich zur – vor allem psychischen – Erholung in die New Yorker Berge der Catskills gekommen war, entpuppte sich unerwartet als vielversprechender Liebhaber:
„Mei[er]: In my arms / You’ll fell my secret charms / And you’ll discover / A true lover.
Vio[let]: What surprise / You are, I realize, / A lady killer in disguise…
Mei: It would be wonderful, my dear / To be your Casanova, / The time is now, the place is here, / So kindly think it over.
Vio: You are so tender and so gentle, / So sweet and continental, / But still to fall for your kind / Does remind me that love is blind.“
Während 1941 das Narrativ der sich erfüllenden Liebesgeschichte zwischen der Rösselwirtin und Leopold wie im Original erhalten blieb, endete Mr. Hinterhubers [= Leopolds] Liebe 1947 unglücklich. Violet Brown [= Rösselwirtin] entschied sich letztlich für einen amerikanischen Sänger.
Was aus der Rösslwirtin die „Besitzerin“ machte
Die Rösselwirtin hatte im New York der 1940er Jahre die Attitüde des jazzigen Chansons singenden, erotisierenden Bühnenstars der 1920er und 1930er Jahre. Trotz oberflächlich anmutender Narrative, bieten die zwei Versionen Bergs eine unglaubliche Breite an Aushandlungen von (sexuellen wie kulturellen) Identitäten. Wenn auch versucht wurde, das Stück durch Romantik oder etwa die Begleitung der gesamten Inszenierung von einem „Ballett tanzender Schönheiten“ zum Kassenseller zu machen, [15] wurde gleichermaßen mit Distanzierungen und Abweichungen von Klischees gespielt. So widersprach Violet bewusst vermeintlich weiblichen Stereotypen, war Besitzerin eines Hotels, managte dieses, und inszenierte sich selbstbewusst in der sonst von Männern dominierten Performanz. Die weibliche Rolle konnte scheinbar leichter in das Bild des Bühnenvamps eingepasst – kulturell übersetzt – werden als jene des Zahlkellners in den „modern-amerikanischen“ Mann. Das wurde augenscheinlich in Umbenennungen (aus Leopold wurde Mr. Hinterhuber und aus der Rösselwirtin wurde Violet Brown mit der Beifügung „owner of the ‚Dark Horse Inn‘“). Der bewusste Kontrast vervollständigte letztlich die Rollen und das Narrativ.
Für das Funktionieren des Adaptierens spielen Ähnlichkeiten eine wesentliche Rolle. [16]
In ihnen fußen auf den ersten Blick dichotom anmutende Differenzen: Ähnlichkeiten zwischen den Narrativen der Stücke, aber auch den Rollenentwürfen boten Anknüpfungspunkte für das Publikum. Diese Anknüpfungsmöglichkeit waren wesentlich für das Funktionieren der Aufführungen und die Verwandlung der Rösselwirtin in Violet Brown. Die stereotypisierten Konnotationen des Charakters der Wirtin wurden einerseits mit Stereotypen des vermeintlich ‚Amerikanischen‘ übersetzt. Andererseits war für die Praxis kulturellen Übersetzensdie Wechselseitigkeit der Figuren und Akteur_innen, wie auch die Wechselseitigkeit mit dem Publikum, entscheidend und bedingten letztlich das ‚Produkt‘ der Übersetzung.
[1] Für die Inspiration möchte ich mich bei Joachim Schlör bedanken, im Zuge dessen Seminars am Centrum für Jüdische Studien der Karl-Franzens-Universität Graz 2014, ich auf den Text aufmerksam wurde. Carolin Stahrenberg und Nils Grosch veranstalteten ein Symposium und gaben einen Sammelband zu Im weißen Rößl: Kulturgeschichtliche Perspektiven heraus, in Rahmen dieses behandelte ich die beiden Versionen. Grosch Nils/Stahrenberg Carolin (Hrsg.), Im weißen Rößl: Kulturgeschichtliche Perspektiven. (Populäre Kultur und Musik 18) Münster, London, New York 2016.
[2] Aufbau, 12.12.1941 (Vol. 7, No. 50), 10.
[3] Aufbau, 28.11.1947 (Vol. 13, No. 9), 19.
[4] Jimmy Berg, geboren als Shimson Weinberg 1909 in Kolomea (heute Ukraine), übersiedelte in seiner Kindheit nach Wien. 1931 ging er nach Berlin, um als Interpret aktiv zu werden und für amerikanische Firmen zu arbeiten. Von der Machtergreifung der Nationalsozialist_innen gezwungen, floh er 1933 nach Paris und kam 1934 nach Wien zurück, wo er als Künstler Fuß zu fassen versuchte. Berg übernahm 1935 die musikalische Leitung der Kleinkunstbühne Brettln am Alsergrund (ABC), und arbeitete eng mit Hermann Leopoldi und Jura Soyfer zusammen. Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs 1938 war er politisch, als Mitglied der Theatergruppe des ABC, und rassistisch, als „Jude“, der Verfolgung durch die Nationalsozialist_innen ausgesetzt. Er konnte über die Schweiz und Großbritannien in die Vereinigten Staaten gelangen. Jimmy Berg blieb nach 1945 in New York, wo er 1988 verstarb. Horst Jarka biografierte ihn und gab eine Auswahl seiner Werke heraus. Jarka, Horst (Hrsg.), Jimmy Berg. Von der Ringstraße zur 72nd Street. Jimmy Bergs Chansons aus dem Wien der dreißiger Jahre und dem New Yorker Exil. New York, Washington e.a. 1996. 2002 koordinierten Christian Klösch und Regina Thumser eine Ausstellung im Literaturhaus in Wien, die den Nachlass Jimmy Bergs zum Anlass nahm und sich mit „Exilkabarett in New York 1938 bis 1950“ auseinandersetzte. Vgl. Klösch Christian / Thumser Regina (Hrsg.), „From Vienna“. Exilkabarett in New York 1938 bis 1950, Wien 2002.
[5] Im Sinne eines hochreflexiven ‚Zwischenraumes/in-betweens‘ wie er in den Postcolonial Studies expliziert wird. „These ‚in-between‘ spaces provide the terrain for elaborating strategies of selfhood – singular or communal – that initiate new signs of identity, and innovative sites of collaboration, and contestation, in the act of defining the idea of society itself.“ Zitiert nach Bhabha Homi K., The Location of Culture. London, New York 2004.
[6] Für das Konzept von Performativität siehe Fischer-Lichte Erika, Performativität. Eine Einführung. Bielefeld 22012. Wie auch Performative Turn, in: Bachmann-Medick Doris, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Hamburg 62014: 104–143.
[7] Zu kultureller Übersetzung siehe die Beiträge in Italiano Frederico / Rössner Michael (Hrsg.), Translatio/n. Narration, Media and the Staging of Differences. Bielefeld 2012. Ebenso Translational Turn, in: Bachmann-Medick Doris, Cultural turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Hamburg 62014: 239-284.
[8] Die Manuskripte befinden sich im Nachlass Jimmy Bergs in der Exilbibliothek im Literaturhaus Wien: Jimmy Berg, Das weisse Roessel am Centralpark, N1.EB16/2.1.2, Nachlass Jimmy Berg, Exilbibliothek Österreich. Jimmy Berg, The White Horse Rides Again, N1.EB16/1.1.15, Nachlass Jimmy Berg, Exilbibliothek Österreich.
[9] Besonders spannend ist, dass Vilma Kuerer für den US-Kriegsgeheimdienst OSS als „Propagandastimme“ tätig war. Vgl. Florian Traussnig, Geistiger Widerstand von außen: Österreicher im US-Propagandainstitutionen im Zweiten Weltkrieg. Wien, Köln, Weimar 2016. [in Druck]
[10] Susanne Korbel, „Das weisse Roessel am Central Park. Jimmy Bergs Kurzoperette „in schlechtem Deutsch und ebensolchem Englisch“. in: Grosch Nils / Stahrenberg Carolin (Hrsg.), Im weißen Rößl. Kulturgeschichtliche Perspektiven. (Populäre Kultur und Musik, Bd.16) Münster, New York 2016. [in Druck]
[11] siehe Aufbau, 5.12.1941 (Vol. 7, No. 49), 14.
[12] Joachim Schlör verwies unlängst auf das Potential von Aufführungen, Stücken, Lieder etc. als dritte Räume der Migration. Joachim Schlör, “Werner Richard Heymann in Hollywood: a case study of German-Jewish emigration after 1933 as a transnational experience”, in: Jewish Culture and History, 2016, 1. Klaus Hödl betont explizit, dass Populärkultur einen bedeutenden Raum für das wechselseitige Aushandeln von Kultur und Identität zwischen Jüd_innen und Nichtjüd_innen darstellt. Klaus Hödl, “The quest for amusement: Jewish leisure activities in Vienna circa 1900”. in: Jewish Culture and History, 2013 (14/1), 1-17.
[13] Aufbau, 19.12.1947 (Vol.13, No. 51), 19.
[14] Das Buch Forever Amber erschien 1944 in New York und wurde von Kathleen Winsor verfasst. Er spielt in England im 17. Jahrhundert. 1947 erschien der Film. Kathleen Winsor, Forever Amber, New York 1944. Forever Amber von Darryl Francis Zanuck; Philip Dunne; Ring Lardner, Jr.; et. al. Twentieth Century-Fox Film Corporation, USA 1947.
[15] siehe Inserate.
[16] Zu neuen Forschungsansätzen die über Ähnlichkeitskonzepte arbeiten siehe Beiträge in Anil Bhatti/Dorothee Kimmich (Hrsg.), Ähnlichkeit. Ein kulturtheoretisches Paradigma. Konstanz 2015.
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