Fritz Hennenberg
Operetta Research Center
1 July, 2014
“Was wird bleiben?” Kann bei der „leichten Muse“ überhaupt so hochgestochen gefragt werden? Immerhin wird hier von „Evergreens“ gesprochen! Das musikalische Pantheon als für die Klassik gepachtet anzusehen, ist arrogant. Auch die musikalische Unterhaltung hat ihre Qualitäten. Sogar Adorno rang sich zu dem Paradoxon von der „guten schlechten Musik“ durch!
Ralph Benatzky, Musiker und Poet in Person, hat verwandlungsfähig und ideenreich die musikalische Unterhaltung aufgemischt. Vom witzigen Chanson herkommend, wurde er zu einem Vorboten des Musicals. In seinen kritischen Gesellschaftskomödien haben die Grafen und Barone ausgedient; der kleine Mann wird zum Bühnenhelden, und er gibt sich gar nicht heldisch, eher schüchtern. Die Frauen nehmen – ebenfalls ein Zeichen der Zeit! – das Heft in die Hand. Parallel dazu der neue Zuschnitt der Partituren: weg vom schwerfälligen klassischen Orchester – hin zur „Band“, auch mit Jazzinstrumenten.
Aber Benatzky wird rückfällig. Zu zäh lastet die Tradition und zu stark brennt der Ehrgeiz, mit den Großen seines Fachs gleichzuziehen. So versucht er es 1929 mit einem Ballett für die Staatsoper Berlin und 1940 mit einer Oper für Basel – und scheitert beide Male eklatant. Auch will er in den dreißiger Jahren eine Wiederholung des Triumphs seines Weißen Rössls erzwingen, mit einer Revueoperette, exakt nach den gleichen Maßen geschneidert, nur statt des Sommers in die Winterszeit verlegt, und landet damit ebenfalls einen Flop. Im Singspiel glaubt er eine Marktlücke entdecken zu können und versinkt damit doch nur in dem Kitsch von vorgestern. Es passt ins Bild, dass er gar nicht auf seine „Schlager“ stolz ist, sondern auf die „durchkomponierten“ Akte!
Es bleibt genug, was ihm Interesse sichert über den Tag hinaus. Auch weniger Bekanntes, gar Vergessenes sollte überprüft werden: Nur wenige haben sich so wie er auf die schwierige, fallenreiche Kunst der Unterhaltung verstanden. Hier und da sind dazu Ansätze gemacht worden, auch an Provinztheatern wie jüngst in Nordhausen mit den exzellenten Drei Musketieren.
Auch ein anderes Arbeitsgebiet rückt zunehmend ins Blickfeld. Benatzky hat sein Leben, die Höhen wie die Tiefen, über Jahrzehnte in Tagebüchern protokolliert: ein Opus, das gleichberechtigt neben seinen Bühnenwerken und Chansons steht. Es gibt wohl kaum jemanden, der so scharfsinnig hinter die Kulissen schaut und gleichzeitig so schonungslos sich selber porträtiert hat. Nicht nur die Einsichten, auch die Irrtümer machen diese Papiere so fesselnd: Sie schildern ein Künstlerleben in allen seinen Hoffnungen, auch Verstiegenheiten. Eben darin, dass nirgends Schminke aufgetragen ist, liegt der Wert. Die Wahrheit offenbart sich in einer radikalen Selbstentblößung. Benatzky hat hier Zeitgeschichte geschrieben und zugleich ein psychologisches Protokoll sui generis verfasst.
Verflixte Politik
Der Lehrerssohn aus Mährisch-Budwitz sollte Offizier werden, doch hatte er gar nichts fürs Soldatentum übrig und büxte zu Auftritten als Alleinunterhalter in der Umgebung der Garnison aus. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, verstand er sich zu drücken, was ihn aber nicht davon abhielt, gleich anderen seiner Kollegen, einbeschlossen Lehár und Kálmán, hurrapatriotische Ergüsse abzuliefern. Auch legte er das sentimentale Chanson „Draußen in Schönbrunn“ seinem Kaiser zu Füßen; ironischerweise wurde es Jahrzehnte später für sein Weißes Rössl reaktiviert, hier nun tatsächlich dem Kaiser in den Mund gelegt, aber von strammem Patriotismus gesäubert. Wie er über den Kaiser tatsächlich dachte, hat er in sarkastischen „Randbemerkungen eines ehemaligen Monarchisten zur österreichischen Volkshymne“ formuliert: „Gott beschütze – dass der Tepp wiederkommt“!
Es gehört zum Wesen des Chansons, gegen Prüderie und Bigotterie zu sticheln und es den Mächtigen zu zeigen. In „Die Hosen der Jungfrau von Orleans“ lötet ein sittenstrenger Klempnermeister die Tochter in Blech ein, um ihre Jungfräulichkeit zu bewahren.
„Piefke in Paris“ wird mit einer Parodie des „Deutschlandlieds“ durch den Kakao gezogen. „Was will Majestät mit dem Jungen“, zur Kriegszeit entstanden, empört sich über das Abschlachten der Jugend auf kaiserlichen Ratschluss hin. Für sein Friedenslied „Hunderttausend Kinderhände“, das den Anstoß zum Grabmal des Unbekannten Soldaten am Arc de Triomphe gegeben haben soll, wird Benatzky 1936 zum Ritter der französischen Ehrenlegion geschlagen!
Zeitig bemerkt er den Nazi-Bazillus und macht sich schon im Juni 1924 über das „hakenkreuzlerische Leben“ auf der ostfriesischen Insel Borkum lustig: „Urgermanen mit Wampe und Nackenspeck, mit rückwärts rasiertem und oben hahnenkammartig durch eine Scheitelfrisur gekrönten Schädel, langbeinige, hängebusige Germaninnen, arisch-arrogant oder hühnerhaft, provinzlerisch-gackernd…“
Der Wahlsieg der Nazis 1930 kam für ihn nicht überraschend; der Nationalsozialist war für ihn „in seiner blonden, goischen Präpotenz, Großschnauzigkeit, arroganter Halbbildung, die auf Schlagworte fliegt und von ihrer Bedeutung durchdrungen ist … vielperzentig der Typus der Piefkeschen Mehrheit“.
Doch hing er der Illusion nach, dass die Nazis, an die Macht gekommen, 75% ihrer Forschheit aufgeben und Kompromisse schließen würden. Über die Terroraktionen Hitlers gegen den Marxismus und Kommunismus empört er sich auf seine Weise und sieht sie als den Auftakt zu Hitlers Untergang an. Im August 1933 zitiert er Heinrich Mann – für dessen Einakter Varieté er 1910 eine Bühnenmusik komponiert hatte – : Deutschland hole jetzt „seine Bestien und seine Verrückten hervor“. Als sich 1938 ein neuer Weltkrieg abzeichnet, sieht er in Hitler einen „irren Verbrecher“, der „nie einen Funken von menschenwürdigem Handeln“ gezeigt habe, „sondern, stets nur die Sturität, die brutale, viehische, bodenlos bornierte Dreschflegelmanier des Schlächters“.
Was war die Alternative? Zwar hat Benatzky später mit seinem Kaiser satirisch abgerechnet, aber 1930 meint er, dass die die Staatsform der Monarchie der Republik durchaus vorzuziehen sei. Andererseits hat er, seinem Tagebuch nach, 1921 ein von ihm so genannten „Proletarierlied“ komponiert: „Per aspera“! Und im Juli 1931 will er sogar – es steht so im Tagebuch! – bei der Kommunistischen Partei angefragt haben, ob er Mitglied werden könne. Auf der anderen Seite Lobsprüche auf Mussolini und den „Ordnungsstaat“, den er in Italien geschaffen habe. Der Kommunismus gilt als eine „Katastrophe“; doch sei die endgültige „Bolschewisierung“ Europas, wahrscheinlich der Welt, nicht aufzuhalten. 1940 bezeichnet er das Nazisystem als „eine Revolution gegen Gott, an dessen Stelle die Gewalt gesetzt wurde“; diese „Revolution“ habe kein neues ökonomisches System aufgebaut, sondern sie lebe nach dem Prinzip: „Der Krieg muss sich durch sich selbst bezahlt machen.“
Auf Schlingerkurs
Als Benatzky Hitlers erste Auftritte als Reichskanzler verfolgt, nennt er ihn zwar einen „Phraseur“, zeigt sich aber von der Rhetorik durchaus beeindruckt. Er fragt sich, wie sich die neuen Tendenzen „aufs Theater und so“ auswirken werden.
Die Judenhetze der Nazis sieht er als inszeniert und „Augenauswischerei“, ein Ablenkungsmanöver, an; die mörderischen Folgen schienen undenkbar zu sein. Immerhin geriet er als einer der Ersten ins Visier: Er war mit einer Jüdin verheiratet, seine Librettisten waren weitgehend Juden, und umgehend wurde auch er zum Juden erklärt. So bereits im Frühjahr 1933 in der Zeitschrift „Deutsche Kulturwacht“! Sein Berliner Verleger fordert bei ihm eine beglaubigte Abschrift des Taufscheins und den Stammbaum an, ansonsten habe er in Deutschland keine Chance. Ein Dementi wird veröffentlicht; doch gilt er nunmehr, seiner Mitarbeiter wegen, als „Judensöldling“! Zwar wird er im Oktober von dem für das Theater zuständigen Reichskommissar Hans Hinkel als „Arier“ anerkannt; als aber 1935 „Das musikalische Juden-ABC“ erscheint, ist er dort aufgenommen.
Bei der Neuauflage wird es richtiggestellt; doch die Verunsicherung bleibt, und die Angriffe gehen weiter. Der Fall wird an höchste Stellen getragen, und 1938 beschäftigt sich Goebbels persönlich damit. Die Untersuchung bestätigt den Ariernachweis, und am 15. 7. notiert Goebbels in seinem Tagebuch, dass Benatzky nunmehr „freigegegeben“ sei.
Schon seit 1932 lebte Benatzky in der Schweiz am Thuner See. Da sein Geburtsort in Mähren lag, hatte er auch einen tschechischen Pass; mit der deutschen Besetzung 1939 war dieser wertlos. Er bemühte sich, die Schweizer Staatsbürgerschaft zu erwerben, wurde dabei aber entnervenden Prozeduren unterzogen. Am 5. 4. 1940 bricht es aus ihm heraus: „Was für eine Qual, diese ewigen Gesinnungs-Prüf-Fragen, Beteuerungen, Begutachtungen an Leib und Seele, ständig über sich ergehen lassen zu müssen.“ Tatsächlich lief sich der Vorgang fest. Ohnehin hatte sich Benatzky, aus Sorge, dass die Schweiz von Hitler besetzt werden könnte und mithin seine jüdische Frau gefährdet war, parallel um ein amerikanisches Visum bemüht. Am 18. 5. bricht er mit ihr nach New York auf.
Es scheint diese besondere Situation gewesen zu sein – das Problem der Staatsbürgerschaft in Verbindung mit der ökonomischen Unsicherheit – , die ihn Ende der dreißiger Jahre erneut Kontakte ausgerechnet nach Deutschland anspinnen ließ. In dem Verleger Hans Sikorski, der die arisierte „Vertriebsstelle und Verlag deutscher Bühnenschriftsteller und Bühnenkomponisten“ als Geschäftsführer übernommen hatte, fand er einen dubiosen Mentor. Bei einem Besuch am 24. 7. 1937 in der Schweiz soll ihm Sikorski ohne Verlangen „auf Ehrenwort’“ versprochen haben, seinen Bühnenwerke in Deutschland in Zukunft „durchzusetzen“.
Als sich Benatzky weigert, den „Arier“-Fragebogen der Ufa, der seine Frau einschließen würde, auszufüllen, befürchtet er Auswirkungen auch auf Sikorskis Aktivitäten, ihn „als Bühnenautor im 3. Reich zu favorisieren“, die im übrigen – so hält er es ausdrücklich im Tagebuch fest! – ohne sein „Dazutun“ oder seine „Initiative“ unternommen worden seien.
Nachdem ihm aber 1938 Goebbels den „Persilschein“ ausgestellt hatte, scheint es anders ausgesehen zu haben. Jedenfalls bringt im April 1939 ein Besuch von Sikorski, der die „Vertriebsstelle“ zu einem eigenen „Neuen Theaterverlag“ umfirmierte und nach Autoren Ausschau hielt, das Ergebnis, daß er sowohl Benatzkys Oper Angielina als auch sein Singspiel Landrinette übernimmt. Das Singspiel wird brav eingedeutscht und erhält den Titel Der Silberhof; obwohl es bereits in Bern uraufgeführt worden war, ist die Premiere am 4. November 1941 am Staatstheater Mainz abermals als Uraufführung angezeigt!
Benatzky galt zwar als „nichtarisch versippt“, war aber Mitglied der Reichskulturkammer und mit ministeriellen Sondergenehmigungen tätig. 1937 hat er die Musik zu dem ersten Zarah-Leander-Film der Ufa Zu neuen Ufern komponiert. Dann wurde er wegen seiner jüdischen Frau ausgebootet.
Überraschenderweise knüpft die Ufa 1939 eine neue Verbindung zu ihm und bietet ihm einen Film mit Zarah Leander an; seinem Tagebuch nach hat er die Sache verzögert. 1941 – längst war er nach New York emigriert! – trifft ein neuer Auftrag ein, nun gleich für vier Filme. Er schlägt ein; noch am 20. 5. des folgenden Jahres – seit dem 11. 12. 1941 standen Deutschland und die USA im Kriegszustand! – depeschiert ihm sein Schweizer Mittelsmann, dass der Ufa-Vertrag einzuhalten sei. Am 9. 7. 1942 vermerkt Benatzky im Tagebuch, dass er die Titel für den Zarah-Leander-Film „rechtzeitig und ordnungsgemäß“ geliefert habe. Am 3. 3. 1943 kommt der Ufa-Film Damals in die Kinos. Für die Musik zeichnet Lothar Brühne; und doch ist im Vorspann eigens vermerkt, dass Benatzky – der Emigrant! – ein Chanson beigesteuert hat.
Benatzky fand in den USA weder als Komponist noch als Bühnenautor, geschweige beim Film, Anschluss und musste weitgehend von seinen Ersparnissen zehren.
Nachdem er 1946 die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben hatte, kehrte er umgehend in die Schweiz zurück. Aber auch in Europa blieben ihm die Türen versperrt: Die Moden der Unterhaltungsindustrie sind kurzlebig, und er zählte zum alten Eisen.
1947 versuchte er es in Zürich mit einem musikalischen Lustspiel Kleinstadtzauber nach Gogols Der Revisor – und erlebte damit ein Fiasko. Als musikalischen Leiter hatte er Peter Kreuder engagieren lassen, der in den Unterhaltungsfilmen der Nazizeit Karriere gemacht hatte; als die Sache schief ging, beschuldigte er ihn, gemeinsam mit anderen „Nazis“ Sabotage verübt zu haben. Es war eine Schutzbehauptung: Das Stück ist nie wieder aufgeführt worden. Benatzky zog sich vom Theaterleben weitgehend zurück und ist kaum beachtet am 16. Oktober 1957 in Zürich verstorben.