Kevin Clarke
Operetta Research Center
15. Juni 2025
Der Theaterhistoriker Wolfgang Jansen widmet sich in seinem neuen Buch der Geschichte des Friedrichstadt-Palast in Berlin, in der Zeit 1945 bis 1961. Also den Geschehnissen unmittelbar nach Kriegsende in der sowjetisch besetzen Zone bis zum Bau der Mauer. Wir sprachen mit ihm über das Projekt.

Wolfgang Jansens “Eine Bühne wie keine andere. Der Friedrichstadt-Palast, 1945-1961″ (Foto: Waxmann Verlag)
Wolfgang, du hast eine Geschichte des Friedrichstadt-Palast geschrieben – aber ‚nur‘ für die Jahre 1945 bis 1961. Warum genau dieser Zeitraum?
Es war meines Erachtens eine zeit- und theatergeschichtlich unglaublich lebendige Zeit, insbesondere in Berlin. Der Aufbau der beiden gegensätzlichen Staatsformen in einer Stadt entfaltete eine enorme Dynamik. Alles, auch die Kultur, befand sich in einem Prozess des Übergangs, im Aufbau ebenso wie im Niedergang, in der Bewahrung des Gewohnten und Geschätzten und der Suche nach Neuem.
Der Friedrichstadt-Palast wird in meinem Buch zum ersten Mal als signifikante Spielstätte für diese Epoche analysiert. In dieser Zeit bestimmten zwei Direktoren und eine Direktorin die Geschicke des Hauses (Marion Spadoni, Nicola Lupo und Gottfried Herrmann, wurde die Spielstätte in einen öffentlichen Spielbetrieb überführt, und nahm das Repertoire seine Entwicklung vom traditionellen Nummernvarieté hin zu ersten Revueversuchen. Das Jahrzehnt besaß zudem zeithistorische Eigenheiten, die ganz erhebliche Auswirkungen auf die künstlerische Praxis im Theater entfalteten, sei es nun der Umstand, dass es in der Stadt zwar Sektorengrenzen, dann eine Staatsgrenze, aber noch keine Mauer gab, oder seien es die Konsequenzen aus dem mit Heftigkeit geführten Kalten Krieg.

Das zerstörte Hinterhaus des ehemaligen Großen Schauspielhauses bzw. Theater des Volkes (Foto: Aus “Eine Bühne wie keine andere”/Waxmann Verlag)
Die vorliegende Textfassung auf Basis umfangreicher quellenorientierter und zeitgeschichtlicher Recherchen berücksichtigt diesen Zusammenhang bei der Betrachtung der Hausgeschichte, doch nur insoweit er Einfluss nahm auf den praktischen Theateralltag.
Ich folge mit der Darstellung dem chronologischen Verlauf, um möglichst die Dynamik jener Jahre mit einzufangen. Zäsuren werden nicht aus der Zeitgeschichte übernommen (etwa die Staatsgründungen), sondern mit dem Wechsel der Direktoren bzw. künstlerischen Leiter gesetzt, denn sie bestimmten durchweg die Geschicke der Bühne, sorgten für das ästhetische Profil der Aufführungen und repräsentierten den individuellen künstlerischen Gestaltungswillen vor dem Hintergrund zeitgeschichtlich gesetzter Möglichkeiten.
Wie schwierig war es, an Material zu kommen, um das Leben unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in (Ost-)Berlin zu rekonstruieren?
Die Recherchen waren zwangsläufig umfangreich. Zwar hatte ich mich schon einmal mit der Geschichte des Friedrichstadt-Palast beschäftig, damals im Anschluss an meine Forschungen zur allgemeinen Gattungsgeschichte des Varietés in den 1990er Jahren, musste meine Arbeit aber dann aufgrund anderer Verpflichtungen unterbrechen. Der entscheidende Impuls, das Thema wieder aufzugreifen, kam durch die Ausrufung des 100-jährigen Jubiläums 2019. Die Intendanz bestärkte mich erfreulicherweise in dem vorgestellten Vorhaben und öffnete mir großzügig den Zugang zum Hausarchiv. Ohne die Einsicht in die dortigen Unterlagen hätten einige Kapitel nicht in der vorliegenden Weise formuliert werden können.

Programmheft zu ersten Revue 1945 im neuen Friedrichstadt-Palast, damals noch “Haus der 3000″ (Foto: Aus “Eine Bühne wie keine andere”/Waxmann Verlag)
Wer hat eigentlich 1945 entschieden, wer die Leitung des ehemaligen Großen Schauspielhauses übernehmen darf? Als Charell 1924 zum Großen Schauspielhaus kam, war das eine kommerzielle Entscheidung. War es bei Marion Spadoni eine politische Entscheidung?
Das ehemalige Große Schauspielhaus war aufgrund der Bombenangriffe stark beschädigt und wurde als nicht mehr bespielbar angesehen. Das Bühnenhaus war komplett eingestürzt, die Bühne nicht mehr benutzbar, und die Saaldecke des Zuschauerraums wies zahlreiche Löcher auf. Insofern interessierte sich auch niemand unter den in der Stadt lebenden vormaligen Theaterleitern an der Übernahme, als die Sowjets begannen, die verbliebenen Spielstätten wieder in Gang zu setzen. Doch dann tauchte die Artistin Marion Spadoni zusammen mit ihrem Vater Paul Spadoni, Besitzer einer Artistenagentur, im Kulturamt auf und erklärte, das vormalige Theater des Volkes als Varieté in privatwirtschaftlicher Form übernehmen zu wollen. Öffentliche Mittel wolle man nicht haben. Zur Vergabe bedurfte es aber der Zustimmung der Sowjets, die erfolgreich eingeworben wurde. Spadoni trug also das volle wirtschaftliche Risiko, zumal sie das Riesengebäude erst wieder bespielbar machen musste. Sie war zudem die einzige Frau in der ansonsten männerdominierten Riege der Intendanten und setzte mit ihren überzeugenden Varietéprogrammen die größte Spielstätte der Stadt beim Publikum durch. Ohne ihr enormes Engagement wäre die Ruine wahrscheinlich abgerissen worden.

Marion Spadoni in ihrem Büro 1946 (Foto: Aus “Eine Bühne wie keine andere”/Waxmann Verlag)
Welchen Stellenwert hatte 1945 „Revue“ für die Gesellschaft in Berlin und speziell in Ost-Berlin? Gab es da schon eine Trennung in Ost/West?
Experimente mit Revue-Programmen begannen im Friedrichstadt-Palast erst unter Gottfried Herrmann, also nach 1954. Revuen waren aufgrund erhöhter Aufwendungen bei der Ausstattung und dem Kostüm deutlich teurer als die normalen Monatsprogramme. Da sich zudem die Varieté-Revuen in den traditionellen Programmwechsel einfügen mussten, konnten die Kosten auch bei einem erhöhten Ticketverkauf kaum eingespielt werden. Darüber hinaus besaß die frühere Ausstattungsrevue in den Zwanziger Jahren aufgrund ihrer Nuditäten sowohl bei den bürgerlichen Intellektuellen als auch bei den Kommunisten keinen guten Ruf. Demgemäß wurde sie in der DDR als nicht systemgemäß abgelehnt. Ob man stattdessen eine „sozialistische“ Revue auf die Beine stellen könnte, musste erst glaubhaft beantwortet werden. Nicola Lupo, der das Theater nach der staatlichen Übernahme leitete, suchte man diesbezüglich künstlerisch unter Druck zu setzen. Doch er trat weder der regierenden Partei bei noch kam er dem Anliegen nach. Erst unter Herrmann, Mitglied der SED, der vor Übernahme der Intendanz noch nie etwas mit Varieté zu tun gehabt hatte, begann mit diesbezüglichen Experimenten, die aufgrund positiver Erfahrungen allmählich zu festen Bestandteilen des Jahresprogramms wurden.

Szene aus einer Revue mit “Faschingstanz”, 1946 (Foto: Aus “Eine Bühne wie keine andere”/Waxmann Verlag)
Was dein Buch sehr besonders macht, ist die reiche Bebilderung, darunter unendliche viele Szenenfotos von Produktionen. Wo kommt dieses Material her? Warum ist es jetzt erst öffentlich zugänglich gemacht worden? Wieso gab es nicht schon mindestens 20 Ausstellungen im Berlin Museum oder DHM?
Natürlich habe ich die Herkunft der Abbildungen im Buch genau angegeben. Wer sich dafür interessiert, kann die entsprechenden Angaben finden. Die Fotos kommen aus verschiedenen Archivbeständen. Eine zentrale Stelle gibt es nicht. Das ist aber eigentlich auch nicht ungewöhnlich. Man muss also schon suchen gehen, wenn man konkrete Vorstellungen hat.
Warum es bislang keine der von Dir genannten Ausstellungen gab, liegt vermutlich auch daran, dass man die zeitgeschichtliche und kulturhistorische Aussagekraft der Fotos (und damit des Varietés) bislang unterschätzt. Bekanntlich gibt es im Kulturbereich gegenüber den populären Genres gewisse Vorurteile. Ich hoffe, mit der neuen Publikation Neugier bei den Kolleginnen und Kollegen zu wecken. Auch für künftige Forschungen. Es gibt noch viel zu entdecken.

Programmheft zur Revue “Glück muss man haben” (Foto: Aus “Eine Bühne wie keine andere”/Waxmann Verlag)
Die Charell-Revuen der 1920er Jahre zeichnet ihre internationale Ausstrahlung aus, die Hinwendung zum Broadway/USA. Wie „weltstädtisch“ waren denn die Friedrichstadtpalast-Revuen jener Jahre? War das noch international konkurrenzfähig? Berichtete die New York Times noch darüber? (Berichtete überhaupt jemand überregional?)
Das ist ein interessanter Aspekt, nach dem die fragst. Die Revuen unter Herrmann wurden in der DDR als „fortschrittlich“ angesehen. Dramaturgisch besaßen sie alle einen dramaturgischen Kern, zumeist eine Reise-Handlung, die dem verordneten sozialistischen Weltbild entsprach. Bei der Revue über den Jongleur Rastelli beispielsweise war dies ein amerikanischer Manager, der aus kapitalistischer Geldgier zum Tod des Artisten beitrug. Die Intendanz sah daher die eigenen Werte als künstlerisch wertvoller an als alle Produktionen im Westen, obwohl man natürlich mit ihnen hinsichtlich der Bedeutung im Wettstreit lag.

Die Rückseite des Friedrichstadt-Palastes nach der Sanierung 1949 (Foto: Aus “Eine Bühne wie keine andere”/Waxmann Verlag)
1955 kam es zu einer Auslandtournee, die über Düsseldorf, Wuppertal und Hannover nach Paris führen sollte. Doch entgegen den Erwartungen floppte die Show beim bundesdeutschen Publikum, ignorierte die Presse die Gastspiele weitgehend, und die wenigen Stimmen in den Feuilletons erklärten die Vorstellung künstlerisch als brav, konservativ und veraltet. Da die Nachfrage seitens des Publikums darüberhinaus hinter allen Erwartungen zurückblieb, brach Herrmann die Tournee zwei Tage nach der Wuppertaler Premiere ab. Die finanziellen Verluste waren erheblich. Herrmann musste zudem darauf achten, dass niemand von den Mitarbeitern die Gelegenheit wahrnahm und im Westen blieb.
Nur in der DDR galten die Produktionen im Friedrichstadt-Palast als hochwertig und zukunftsweisend.
Bei Charell, aber auch später zu NS-Zeiten, war die Verbindung zwischen Revue und Operette sehr eng. Wie ist das nach 1945 … sind die Produktionen, die man erleben konnte, in irgendeiner Weise relevant für eine „Operettengeschichte“?
Nein, das sehe ich nicht, im Hinblick auf die Produktionen. Zumindest nicht für die Zeit bis zum Mauerbau, mit der ich mich beschäftigte.
Mit der städtischen Operettengeschichte allgemein ist der Friedrichstadt-Palast jedoch verbunden durch die Pläne, die zum Lizenzentzug von Spadoni 1947 beitrugen. Da sie die Bespielbarkeit des Theaters wieder hergestellt hatte (mit privaten Mitteln), weckte die Bühne Interesse bei der Intendanz des Metropoltheaters, das Operette in einem Kino-Saal zur Aufführung brachte, zumal der Friedrichstadt-Palast inzwischen öffentlich finanziert wurde. Lupo konnte jedoch die Pläne vereiteln und die Spielstätte dem Varieté erhalten.
Entgegen dem allgemeinen Trend im Varieté, muss man vielleicht hervorheben. Denn die 1950er Jahre erlebten im „Westen“ den Niedergang der durchweg privatwirtschaftlichen Branche. In der DDR wurde das Genre aufgrund der öffentlichen Finanzierung am Leben erhalten. Diese gegensätzliche Tendenz deckt sich wiederum mit der Operettengeschichte, verlor die Operette im „Westen“ doch an Innovationskraft, wohingegen sie im „Osten“ durch Aufträge an die Autoren, Komponisten und Theater künstlich am Leben erhalten wurde.

Programmheft zur Revue “Ein heiteres ABC”, Dezember 1954 (Foto: Aus “Eine Bühne wie keine andere”/Waxmann Verlag)
Die Produktionen von Erik Charell waren in den 1920er Jahren auch wegweisende Beispiele für „queeres“ Musiktheater, mit deutlichem LGBTQ-Subtext. Wie offen für solche Themen war der Friedrichstadtpalast nach 1945? Gibt’s nennenswerte Künstler*innen oder Produktionen, die Akzente in diese Richtung setzten? (Gibt es überhaupt sexuelle Freizügigkeit, die an die große Berliner Revuetradition der 20ern gemahnt?)
Für die Epoche, die ich in meiner Publikation beschreibe, ließen sich keine diesbezüglichen Aspekte finden. Das mag in späteren Jahren anders gewesen sein. Dazu kann ich nichts Konkretes sagen. Wenn man aber bedenkt, dass Mitte der 1950er Jahre der Striptease im „Westen“ vielerorts Einzug hielt in die kleineren vormaligen Varietétheater, diese also in den Bereich der Nachbetriebe hinüberglitten, und die nach dem Krieg verbliebenen großen Häuser aus wirtschaftlichen Gründen schließen mussten, propagierten die Programme unter Herrmann ein durchweg „anständiges“ sozialistisches Frauenbild.

Der Zuschauerraum des Friedrichstadt-Palastes 1949 mit Deckengemälde (Foto: Aus “Eine Bühne wie keine andere”/Waxmann Verlag)
Nach der Sanierung des Zuschauerraums 1949 kehrte man nicht zur berühmten Tropfsteinhöhlenoptik zurück – sondern zu einem eher biederen Interieur. Hatte man – auch von Seiten der Politik – Angst vor zu viel „Dekadenz“?
Ich kenne keine diesbezüglichen Überlegungen und abschließende Entscheidungen. Auch ist mir nicht bekannt, dass die Innenraumgestaltung von Pölzig seitens der Kommunisten als ideologisch „dekadent“ angesehen wurden. Die Sanierung dürfte eher den Notwendigkeiten entsprochen haben, die Schäden am Gebäude, die es weiterhin gab, im Sinne der Bespielbarkeit weiter zu beseitigen. Noch lag 1949 die Stadt weitgehend in Trümmern. Unter diesen Bedingungen muss das Deckengemälde als besondere Leistung gewürdigt werden.
Die SED spielt dann im weiteren Verlauf intensiv mit … ist dein Buch auch eine Warnung vor der politischen Vereinnahmung von Unterhaltung?
Meine Publikation bezieht sich auf die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge in den 1950er Jahren. Dort lässt sich am Beispiel des Friedrichstadt-Palast beobachten, was es heißt, wenn die Politik der Kultur eine bestimmte Aufgabe gibt: In diesem Fall nannte sie sich „Volksbildung“.

“A Chorus Line”? Tanzszene mit dem Ensemble des Friedrichstadt-Palastes (Foto: Aus “Eine Bühne wie keine andere”/Waxmann Verlag)
Kann man die Musik zu den Bildern, die du zeigst, heute noch irgendwo nachhören? Wurden damals Schallplatten gemacht, die noch erhältlich sind oder ihren Weg zu YouTube gefunden haben? Oder wie kann man eine Vorstellung vom „Sound“ des Friedrichstadtpalasts jener Jahre bekommen? (Wie Charells Arbeiten klangen, ist ja sehr umfänglich auf Tonträgern dokumentiert, auch die NS-Zeit ist in der Hinsicht gut „erhalten“.)
Toneinspielungen von den Programmen im Friedrichstadt-Palast aus der Zeit vor 1961 gibt es meines Wissens nicht. Der Grund dürfte in der Musiknutzung im Varieté liegen. Die engagierten Artisten brachten die Musik zu ihrer Darbietung in Form von Noten immer mit. Diese hatte das Orchester im Sinne der Darbietung passgenau zu spielen. Neue Kompositionen wurde dabei kaum gebraucht. Nur neue Arrangements waren zumeist unumgänglich, da das Orchester im Haus vergleichsweise groß war.

Das berühmte Wasserbecken in (Foto: Aus “Eine Bühne wie keine andere”/Waxmann Verlag)
Du zeigst ein Bild von der Revue „Strandkorb“ von 1960 – mit Swimmingpool und Rutsche. Ist das so, wie man sich die Badeszene im „Rössl“ 1930 vorstellen muss? Ist das eine Anspielung? Oder war der „Pool“ schon immer Teil der Friedrichstadtpalast-DNA? (Bis heute.)
Die Handlung von Strandkorb Nr. 13 spielt an der Ostsee. Der Bühnenbildner Wolf Leder hat hierfür also eine optisch passende Dekoration gesucht. Das ganze Parkett wurde dazu entfernt und ein gigantisches Wasserbassin stattdessen aufgebaut. Das Szenenbild weckte viel Aufmerksamkeit, da man dergleichen vorher noch nicht gesehen hatte. Doch die Regie kam nur unzureichend damit zurecht, zu ungewohnt war der Sprung ins Wasser.
Das Wasserballett in späteren Jahren basiert meines Wissens nicht auf diesem Bühnenbild aus dem Jahr 1960, sondern war angeregt durch die internationalen Entwicklungen im Synchronschwimmen.
Inwiefern siehst du diese Theatergeschichte als Teil einer deutschen Kulturgeschichte? Gehört „Entertainment“ dazu, wenn wir über die Entwicklungen in der BRD/DDR reden? Welche neuen oder anderen Erkenntnisse bringt eine Beschäftigung mit „Unterhaltungskultur“ im Vergleich zu reiner Politik oder akzeptierteren Kunstformen wie Literatur usw.?
Die populären Genres („Entertainment“) gehören selbstverständlich zur allgemeinen kulturellen Entwicklung. Wer sich als Theaterwissenschaftler oder Theaterwissenschaftlerin mit der allgemeinen performativen Entwicklung, z.B. im deutschsprachigen Raum beschäftigt, tut gut daran, die Werke, Inszenierungen und Spielstätte des Populartheaters mit einzubeziehen. Die Werke lassen sich inhaltlich und zeitgeschichtlich ebenso aufschlussreich analysieren wie beispielsweise die anspruchsvollen Werke des literarischen Schauspiels. Und gerade vor dem Hintergrund der Nachkriegsentwicklung mit der deutschen Teilung kommt dem Populartheater eine kaum zu unterschätzende Bedeutung zu, lässt sich doch der durchgehende politische Einfluss seitens der SED selbst dort feststellen, wo es vermeintlich um sinnlose „Unterhaltung“ geht. Der Historiker darf hier durchaus einen Unterschied machen zwischen seinem persönlichen Geschmack und den beruflichen Themen, mit denen er sich beschäftigt.

Szene aus dem Kinderprogramm “Ein heiteres ABC”, Dezember 1954 (Foto: Aus “Eine Bühne wie keine andere”/Waxmann Verlag)
Wird es von dir noch ein weiteres Buch geben zur Geschichte ab 1961? Und finden sich im aktuellen Friedrichstadtpalast und seinem Programm noch irgendwelche Spuren von damals?
Ein weiteres Buch zur Geschichte des Friedrichstadt-Palast ist von mir nicht vorgesehen. Doch auch die Jahre unter dem Intendanten Wolfgang E. Struck, ein ehemaliges NSDAP-Mitglied, verspricht kulturgeschichtlich interessant zu werden, da nach dem Bau der Mauer die Bedeutung der Staatssicherheit und deren Einsatz an Bedeutung zunahm. Ich habe das Thema nicht aufgegriffen, weil es vor dem Bau der Mauer noch eher marginal war. Zwar habe ich Einblick genommen in Spitzelberichte über Mitarbeiter am Friedrichstadt-Palast, die sich teilweise selbst auf West-Berlin bezogen, wenn der Bespitzelte etwa dort wohnte, doch die allgemeine Durchdringung des Theaterensembles mit Spitzeln erfolgte erst später.

Intendant Nicola Lupo (l.) bei der Besprechung des Tanzbildes “Capriccio italien”, 1953 (Foto: Aus “Eine Bühne wie keine andere”/Waxmann Verlag)
Nicht auszuschließen ist, dass sich die aktuelle Intendanz entschließt, dieses Kapitel der Hausgeschichte erforschen zu lassen. Es wäre zu begrüßen. Eine weitere Publikation zu Werbezwecken wie die Bände aus DDR-Zeiten braucht jedoch niemand.