Performing Operettas From Nazi-Times Today: Interview With Jakob Brenner

Kevin Clarke
Operetta Research Center
14 November, 2014

In Stendal, in Saxony-Anhalt, the Theater der Altmark will present a new production of Fred Raymond’s Maske in Blau. It’s a show from 1937, written and originally produced by Nazi Germany’s top operetta man, Heinz Hentschke, then director of the Metropol Theater. He co-authored a whole string of titles with Raymond from 1934 onwards: Lauf ins Glück (1934), Ball der Nationen (1935), Auf großer Fahrt (1936), and Maske. After that show the team split up, the reasons are unknown. Hentschke continued working with Ludwig Schmidseder, Willy Meisel and Friedrich Schröder (Hochzeitsnacht im Paradies). Raymond’s new operettas premiered in Kiel and Dresden: Saison in Salzburg (1938) and Die Perle von Tokay (1941). We spoke to the musical director of the Theater der Altmark, Jakob Brenner, about their new production – and what it’s like performing an operetta from Nazi times in 2014. The interview is in German.

Conductor Jakob Brenner. (Photo: Kerstin Jana Kater)

Conductor Jakob Brenner. (Photo: Kerstin Jana Kater)

Maske in Blau ist 1937 in Berlin uraufgeführt worden, mitten in der Nazi-Zeit, die ja mit vielen der „wilderen“ Elemente der Zwanziger Jahre aufräumen wollte. Spürt man das in der Musik, dass die Roaring Twenties vorbei sind?

Sicherlich hat Raymond die Musik – gezwungen oder ungezwungen – mit einem „Nazi-Weichzeichner“ versehen. Pfiffige Modulationen und waghalsige Rhythmen finden sich zwar, man muss aber nach ihnen suchen. Vor allem durch die Instrumentierung: Über allem liegt – wie eine Schablone – die „ süßliche Geigensoße“ und das „marschierende Blech“. Hat man diese aber erst einmal entfernt, lassen sich durchaus Harmonien und Melodien finden, die nicht nur „roaring“ sondern richtig „hot“ sind.

Maske in Blau setzt von Aufbau und Machart die Tradition von Paul Abrahams großen Revueoperetten à la Ball im Savoy fort. Wenn man Raymonds „schmissige“ Musik mit Abrahams eklektischen Jazzklängen vergleicht, wie verhalten sich beide zueinander?

Man könnte sagen: Abraham durfte, Raymond durfte nicht. Die Musik Abrahams ist experimenteller und frecher, Raymonds Musik ist etwas zurückhaltender, vielleicht braver, wenn auch schmissig. Das Verhältnis lässt sich allerdings auch noch nachträglich etwas verändern, in dem “wie” man die Musik und mit der Musik spielt. Oft braucht es nur ein wenig beschwingteres Tempo, eine andere Artikulation, eine transparente dynamische Balance, einen frecheren Groove im Schlagzeug und schon beginnt Raymonds Musik zu leben und verliert jeglichen Staub der auf ihr lastet.

Raymond wurde berühmt mit dem sentimentalen Lied „Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“. Ist diese Nostalgie-Note in Maske auch vorhanden?

In so einer hinreißenden Liebesgeschichte warten wir doch auf die sehnsuchtsvollen Momente. Raymond hat sie natürlich auch hineinkomponiert. Die Künstlerfreunde um Armando Cellini, die Hauptfigur, sind aber eher frech als säuselnd. Dass hingegen eine waschechte Ungarin, in Italien lebend und von ihrem Lebensgefährten nicht geehelicht 16 Takte Heimweh hat, fällt da kaum ins Gewicht.

Maske in Blau ist sehr showhaft. 1937 gab es für so etwas passende Darsteller, wie etwa Marika Rökk und Johannes Heesters. Wie besetzt man ein Stück wie Maske in Blau heute? Wo sind die Schwierigkeiten?

Die Herausforderung liegt sicherlich in den schnellen Wechseln zwischen Liedern und Dialogen. Auf den ersten Blick scheint das nicht so schwierig zu sein: man spielt eine Szene, dann singt man ein Lied, es wird weiter gespielt. Doch so entkoppelt voneinander darf man das Ganze nicht betrachten. Wir wollen dem Zuschauer eine Geschichte erzählen, er soll Spaß daran haben, die Figuren zu entdecken, ja er soll förmlich ins Geschehen hineingezogen werden. Deswegen müssen Übergänge fließend sein, Lieder müssen aus den Szenen entstehen. Kurz: Das Timing muss stimmen. Dazu kommt das Tanzen, das natürlich richtig körperliche Arbeit ist, allerdings kinderleicht aussehen muss. Für die Besetzung heißt das: Sänger und Schauspieler mischen.

Das funktioniert wunderbar und bietet eine enorme Flexibilität und Wendigkeit um die Operette dem verstaubten Heimatfilm-Klischee zu entreißen.

Oder wie es Barrie Kosky vor kurzem in einem Interview mit Die Zeit auf den Punkt gebracht hat: „Opernsänger mit Nichtopernsängern zu mischen ist sehr sexy“.

Scene from "Maske in Balu" at the Theater der Altmark, 2014. It shows a colorful "Argentinia" where the last scenes are set.

Scene from “Maske in Balu” at the Theater der Altmark, 2014. It shows the young cast in a colorful “Argentinian” setting, in which the last scenes are set.

In seiner Kulturgeschichte der Operette urteilte Bernard Grun: „Die neue Komponistengeneration, der durch die geänderten politischen Verhältnisse die Fortführung der Operettentradition zufiel, zeigte sich samt und sonders der Situation nicht gewachsen. Keinem einzigen der nun auftauchenden Werke kommt mehr als ephemere Bedeutung zu, und keine der nun erscheinenden Melodien brachte es auch nur zu vorübergehender Popularität. […] Die uralte ‚Bin verliebt, so verliebt’-Weise war wieder da, das ‚Heimatland, dein gedenk ich immerdar’-Lied, der ‚Einmal rechts’rum, einmal links’rum’-Tanz; Etelka, das Ungarmädel, Mariele, das Schwarzwaldmädel, die altbewährte Heirat zum Schein, die Zigeunergeige und die Kaiserin Maria Theresia – alle erschienen noch einmal. Tokaier reimte sich auf Feuer, die ‚süße Melodei’ auf das ‚Lied von Glück und Treu’ unendlich bieder.“ Grun bezieht sich dabei explizit auch auf Raymond. Können Sie dieses negative Urteil nachvollziehen?

Sicherlich hat Bernard Grun Recht was die Sujets angeht, die der Ideologie der Zeit so wunderbar entgegen kommen. Allerdings sind es meist die Texte, die hierbei den Unterschied zwischen bieder und spritzig ausmachen, weshalb ich die Aussage speziell für Fred Raymond als zu pauschal betrachte. 20er-Jahre-Schlager wie „Ich hab das Fräulein Helen baden sehn“, oder „Ich reiß‘ mir eine Wimper aus“, beide in Zusammenarbeit mit jüdischen Textdichtern (Fritz Grünbaum und Charles Amberg) entstanden, zeugen durchaus davon, dass Fred Raymond musikalischen Witz und Qualität besaß, die ihn – hätte er 15 Jahre früher am Metropoltheater gearbeitet – vielleicht auf die Selbe Stufe wie Paul Abraham oder Ralph Benatzky gebracht hätten. Dass durch das enge künstlerische Korsett der Nazis seine musikalische Qualitäten mitunter nicht vollkommen zur Geltung kamen ist bedauerlich. Deshalb wäre es falsch ihn pauschal abzuurteilen, oder wie Volker Klotz sogar als „minder begabt“ zu bezeichnen. Und trotz allem kann selbst die Tokaier-Seligkeit und Puszta-Sehnsucht unglaublich unterhaltsam sein, wenn man sie mit der nötigen Priese Ironie versieht!

Raymond hat gleich mehrere sogenannte Ersatzoperetten geschrieben: Statt des „entarteten“ Rössl die Saison in Salzburg, für Abrahams Savoy eben jene Maske in Blau. Merkt man – Ihrer Meinung nach – der Musik das Epigonenhafte an?

Ich glaube man darf das nicht so eng sehen. Wir sind heute daran gewöhnt, dass einem Hit in der Popmusik ein paar Wochen später mehrere Soundalikes folgen und stören uns meistens nicht sehr daran.

Vielmehr genießen wir einfach Beats oder Melodien, die in den Körper oder ins Ohr gehen, auch wenn sie sich an einem Vorbild orientieren.

Raymond hat im Grunde nichts anderes gemacht, mit dem Unterschied, dass seine Operetten musikalisch viel eigenständiger sind, als die aktuellen Soundalikes der Popmusik. Es gibt nunmal keine Hit- oder Erfolgsformel für Musik, da verwundert es nicht, dass Raymond sich strukturell am Rössl bzw. am Ball im Savoy bedient. Musikalisch betrachtet bleibt Raymond am Ende doch Raymond.

Was hat Sie selbst an der Musik und an der Operette am meisten überrascht?

Poster for the "Maske in Blau" production of the Theater der Altmark, 2014.

Poster for the “Maske in Blau” production of the Theater der Altmark, 2014.

Es ist ein wenig wie mit einem Kronleuchter den man in Omas Keller findet: Der ist verstaubt und das Silber ist angelaufen, irgendwie alt und zu Recht ausrangiert. Außerdem gehören Kronleuchter in eine andere Zeit. Wenn man ihn aber ordentlich putzt und poliert und in den passenden Raum zu den passenden Möbeln hängt, hat er unglaublichen Style und ist cool. Es war für mich schon überraschend, dass in dem sogenannten „B-Titel“ so viel A-Titel-verdächtiges steckt. Tolle mitreißende Jazz-Nummern, wunderbare lyrische Passagen, aber vor allem unglaublich viel Komik, Erotik und Exotik. Man muss sich nur trauen, mal ordentlich den Staub abzuputzen.

Wie geht Ihr junges Ensemble und Team mit der Nazi-Vergangenheit des Stücks um? (Muss man damit umgehen, kann man’s auch einfach ignorieren?)

Sicherlich haben wir im Leitungsteam über die Vergangenheit der Operette diskutiert und unsere künstlerischen Schlüsse daraus gezogen. Die Schauspieler und Sänger auf der Bühne müssen die Texte und die Musik greifen, transportieren und zu „ihrem“ machen. Dafür kann man’s auch einfach ignorieren.

Das Textbuch hat der Ober-Operettennazi geschrieben, Heinz Hentschke. Spürt man in den Texten die allseits bekannte Nazi-Ideologie? (Oder ist es der geniale Trick, dass man es nicht mitbekommt, wie man indoktriniert wird?)

Director of the Metropoltheater, Berlin in Nazi times, Heinz Hentschke. A photo from the archive of the "Bund der Antifaschisten Köpenick."

Director of the Metropoltheater, Berlin in Nazi times, Heinz Hentschke. A photo from the archive of the “Bund der Antifaschisten Köpenick.”

Natürlich bedient sich Hentschke spezieller, eindeutiger Rollenbilder von Mann und Frau, die allerdings bis in die 60er Jahre noch aktuell waren. Macht man sich aber Hentschkes politische Gesinnung bewusst, erscheint ein dramaturgischer Kniff tatsächlich in einem anderen Licht. Ein Beispiel: Ein junger Mann ist mit einer Ungarin zusammen, sie möchte heiraten, er allerdings wehrt sich mit Händen und Füßen; ja er sagt ihr sogar: „Hätte ich jede Frau geheiratet, der ich was von Liebe erzählt habe, dann hätte ich jetzt einen ganzen Harem.“ Ein makelloser Casanova, für den die Bindung ein Todesurteil wäre. Das scheint so gar nicht zur Ideologie der Nationalsozialisten zu passen. Nichts desto trotz handelt es sich um Seppl Fraunhofer und seine Juliska, zwei der Hauptcharaktere der Maske in Blau. Dadurch dass Hentschke die Figur Seppl Fraunhofer aber als mittellosen, von sich selbst überzeugten Künstler zeichnet, wird auch sein Verhalten gegenüber Frauen zur logischen Konsequenz seines extravaganten, aber mittellosen Lebensstils. Legt man darunter die bekannten Nazi-Ideologien, so kann man den imaginären moralischen Zeigefinger nur schwer unterdrücken. Blendet man die Nazi-Ideologien aber aus, wird aus Seppl Fraunhofer ein frecher, heutiger Charakter, mit dem man sich – zumindest für zweieinhalb Stunden – gerne mal identifiziert.

In der DDR waren Hentschke-Operetten verboten bzw. wurden nicht gespielt. Wie reagiert Ihr lokales Publikum in Stendal auf den Titel vorab?

Die Premiere ist bereits ausverkauft. Alles Weitere wird sich zeigen.

Very blue: A scene from "Maske in Blau" at the Theater der Altmark.

Very blue: A scene from “Maske in Blau” at the Theater der Altmark.

Passt Maske in Blau, mit seinem argentinischen Setting und der bunten Mix aus Stilen, zum aktuellen Operettenrevival, das die Komische Oper mit ihren Jazzausgrabungen angestoßen hat?

Definitiv ja! Die Maske in Blau bietet Tiefe, Ernsthaftigkeit, Freundschaft, bunte Farben, Walzerklänge, frische jazzige Rhythmen, tanzende Mädels, eine Liebesgeschichte… Schlichtweg alles, was ein unterhaltsamer Abend bieten muss und was die Operetten an der Komischen Oper so erfolgreich gemacht hat.

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