“Die Blume von Hawaii” beim Lehár-Festival Bad Ischl. Oder: Jonny als alter ego Pál Ábraháms?

Karin Meesmann
Operetta Research Center
1 August, 2018

Lehár Festival Bad Ischl 2018. Das Konzert- und Kongresshaus gleicht einem Bienenstock, Publikum strömt herbei während das Ensemble sich einstimmt auf den süßen Honig des Abends, die Jazz-Operette Die Blume von Hawaiivon Pál Ábrahám. Möwenkreischen – Meeresrauschen: Ein alter Mann im Frack dirigiert mit weißen Handschuhen ein „imaginäres Orchester“. Ist der Vorhang gezogen, entschlüsselt die Szene: Pál Ábrahám dirigiert auf der Brücke des Schiffes, auf der vorderen Rampe des Orchestergrabens, eine Party an Deck der Gladstone. Ein Orchester ist zu hören, es spielt das Franz Lehár-Orchester dirigiert von Marius Burkert.

Sieglinde Feldhofer und dem Chor des Lehár Festivals Bad Ischl in "Die Blume von Hawaii". (Foto: www.fotohofer.at)

Sieglinde Feldhofer und der Chor des Lehár Festivals Bad Ischl in “Die Blume von Hawaii”. (Foto: www.fotohofer.at)

Das ungarische Libretto von Imre Földes übersetzte Alfred Grünwald 1930 ins Deutsche, Fritz Löhner-Beda dichtete die Liedverse, deren Witz bis heute beißt. Regisseur Thomas Enzinger und eine Kollegin erweitern 2018 die Vorlage um die Figur Pál Ábrahám. Der zudem moderiert und zaubert, dessen Vita mit zahlreichen biographischen Details und Gerüchten erneut ein romantisches Künstlerklischee bedienen. Kunstgriff hin oder her, egal: was zählt ist der Mythos.

René Rumpold, Ramesh Nair und Chor des Lehár Festivals Bad Ischl in "Die Blume von Hawaii". (Foto: www.fotohofer.at)

René Rumpold, Ramesh Nair und Chor des Lehár Festivals Bad Ischl in “Die Blume von Hawaii”. (Foto: www.fotohofer.at)

Zur Handlung: Die legitime Prinzessin Laya des paradiesischen Inselreichs Hawaii, identisch mit der französischen Diseuse Susanne aus Monte Carlo, kommt zurück in ihre Heimat. Sie soll den Verlobten ihrer Kindheit heiraten, Prinz Lilo-Taro, und beim rituellen Blumenfest zur Blüte der Paloma-Rose die Unabhängigkeit Hawaiis proklamieren. Auf der Überfahrt von Monaco nach Hawaii, verliebt sich Kapitän Stone rettungslos in Laya und ein wenig umgekehrt. Ausgerechnet Stone befiehlt der amerikanische Gouverneur Harrison (alias Ábrahám) die Prinzessin und Geliebte beim Versuch des Staatsstreichs zu verhaften. Dieser ‘herrliche’ Mann verweigert den Gehorsam und Laya dankt ab, um ihn zu retten, indessen die Hawaiianer begossen dastehen samt dem edelmütigen Lilo-Taro. Was wird gelitten gegen Ende des zweiten Aktes. Zu guter Letzt kehrt Laya zu Lilo-Taro zurück – ein seriöses Paar, Kapitän Stone begnügt sich mit Susanne Provence, Bessie, die Nichte des Gouverneurs geht zusammen mit Buffy, dem Sekretär des Gouverneurs, und ein Buffopaar muss sein Jim Boy, der in das Stück schneit wie Pontius ins Credo darf die Hula-Tänzerin Raka knutschen.

Gaines Hall und Susanna Hirschler in "Die Blume von Hawaii". (Foto: www.fotohofer.at)

Gaines Hall und Susanna Hirschler in “Die Blume von Hawaii”. (Foto: www.fotohofer.at)

Vier Paare um die Meta-Ebene Ábrahám im Austausch mit seinem Diener Jim Jackson erweitert, lassen die Bühne zeitweilig bersten. Das Gerangel der Paare überdeckt kontroverse Ereignisse, die das Libretto furchtlos bietet: (De-)Kolonisation, Sextourismus, Gender und Rassismus.

Mit Hawaii, dessen Walfanghafen die US-Kriegsmarine seit 1898 als Stützpunkt nützt und zu Pearl Harbor ausbaut, und Monaco werden zwei annektierte Operettenländchen vorgeführt. Gestützt von der starken Metapher, die Gladstone ankert vor Hawaii als mahnender Fels der Freiheit in kolonialer Brandung: Gilt doch William Edwart Gladstone, der liberale englische Premierminister als Gegenspieler Benjamin Disraelis, der Queen Viktoria die indische Kaiserkrone antrug und das British Empire begründete. Ein programmatisches Bild für ein Publikum, dessen konservative Kräfte in Kolonialvereinen dem Verlust „Deutscher Schutzgebiete in der Südsee“ nachweinten. Nur der Kritiker der New York Times äußerte zur Karikatur amerikanischer Diplomatie 1931: „Why bring up a big gun to pot a lame chipmunk?“

Tatsächlich wurde Blume nicht am Westend oder Broadway aufgeführt. Gab diese US-Kritik etwa 1940 Anlass, Ábraháms Einreise in die USA in Frage zu stellen? An diesen Auffassungen scheiden sich die Geister bis heute in Anhänger eines Eichhörnchen-frisierten-Donald und hoffnungslos optimistische Weltverbesserer.

Nina Weiß und Ramesh Nair in "Die Blume von Hawaii". (Foto: www.fotohofer.at)

Nina Weiß und Ramesh Nair in “Die Blume von Hawaii”. (Foto: www.fotohofer.at)

Diese temporeiche Inszenierung von Blume in Ischl setzt auf schwungvollen Solo- und Ensembletanz. Nina Weiß als Radschlagende Bessie in „My little boy“-Charleston und im Duett mit Choreograph und einem showtime-aufgelegten Buffy-Darsteller Ramesh Nair in „Ich hab’ ein Diwanpüppchen“ dazu gelungene Fill-ins aus dem Orchester. Mit Gaines Hall als Jim Boy – stimmlich optimal besetzt im Sinne der Zwischenkriegsoperette als musikalisches Kabarett – steppen sie fetzig zu dritt zur “Jazzband”. Der Erzählfluss ihrer Füße kulminiert im Stepptanz “My golden Baby” als Kontrapart zum Orchester – die Glanz-Nummer. Rasendem Szenenapplaus des Publikums hätte ein Showstopper gebührt, zukünftig eine Gelegenheit, diese Tradition wieder zu beleben.

Synchron stupend ist die Tanzszene zu „Bin nur ein Jonny“ in gefühlter Länge einer Metamorphose eindrücklich gelungen: Jim Boy wandelt zum alter ego Ábrahámsdargestellt von Mark Weigel. Die bekannte back-face Szene in Anlehnung an Al Jolsons Auftritt in Der Jazzsänger von 1929, einem der ersten US-Tonfilme, der den Jazz nach Europa importierte, wird ohne blackfacing gespielt. Frappierend: Einerseits ist der Hinweis auf die afroamerikanische Begabung im Jazz ausgespart, andererseits wird die irreale Vision der Verschmelzung von Schwarz und Weiß, in verblüffende Solidarität gesetzt.

Mark Weigel in "Die Blume von Hawaii". (Foto: www.fotohofer.at)

Mark Weigel in “Die Blume von Hawaii”. (Foto: www.fotohofer.at)

Weiterer Publikumsliebling des Abends ist Sieglinde Feldhofer in der Doppelrolle als Laya und Susanne Provence stimmlich bestens disponiert, wie Clemens Kerschbaumer als Lilo Taro, der optisch eine Elvis Presley Anspielung abgibt. Blumengemusterte Stoffe von Toto setzten sich stimmig in überdimensionalen Blüten am Bühnenrahmen fort und einer singulären Palme, die am oberen Bühnenrand klebt. Bedauerlich, dass das Monitoring zwischen Zuschauerraum, Gesangs-Solisten und Orchester – dem die Bühnenpraktische Rekonstruktion der Dortmunder Fassung vom Februar 2017 vorliegt, nicht immer ausgeglichen zu balancieren war. Geheimnisvolle lyrische Passagen gerieten gelegentlich durch pralles Volumen trivial ohne den Zauber, der im Licht und der Szene angelegt schien.

Clemens Kerschbaumer, Stefan Jovanovic, Sieglinde Feldhofer, René Rumpold und Chor des Lehár Festivals Bad Ischl in "Die Blume von Hawaii". (Foto: www.fotohofer.at)

Clemens Kerschbaumer, Stefan Jovanovic, Sieglinde Feldhofer, René Rumpold und Chor des Lehár Festivals Bad Ischl in “Die Blume von Hawaii”. (Foto: www.fotohofer.at)

Diese kurzweilige Inszenierung bot viel Unterhaltung, deren Tiefe ein wissenschaftliches Symposium im Kontext: Die Blume von Hawaii – Fremdheit, Migration, Musiktheaterdurchaus auszuloten vermochte. In Kooperation mit der Universität Salzburg boten acht WissenschaftlerInnen aus Irland, Deutschland und Österreich in Impulsreferaten von etwa zwanzig Minuten ein breites Spektrum an Aufarbeitung an einem Tag. Ein spannender Ansatz, dem man das hartnäckige Leben von Steinen wünscht.

Hinweis: Am 5. August 2018 um 11 Uhr gibt es Die Blume von Hawaii für Kinder, bei freier Platzwahl und freiwilliger Spende zu Gunsten des Projekts „Alalay“, über das bolivianische Straßenkinder unterstützt werden. Hier erzählt Lehár-Festival-Intendant und Regisseur Thomas Enzinger worum es geht:

Weitere Informationen finden sich hier.

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